Die letzten Entwicklungen zu den Morden von Paris und offene Fragen

Als am 9. Januar 2013 die Meldung von der Ermordung von den drei kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris durch die Welt ging, war der Schock innerhalb der kurdischen Gesellschaft groß. Ein Massaker dieser Art mitten in Europa trägt das Potential, den kurdisch-türkischen Konflikt auf eine ganz neue Ebene zu tragen. Dass dieser Mord kurz nach dem Bekanntwerden von der Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und den Vertretern des türkischen Staates durchgeführt worden ist, sagt viel darüber aus, welche Interessen hinter solch einer grausamen Tat stecken.

Nach dem 9. Januar 2013 ist es jedoch nicht zu einem Wiederauflammen des Krieges in Kurdistan gekommen, was in erster Linie der besonnen Haltung der kurdischen Freiheitsbewegung geschuldet ist. Auch wenn der sog. Lösungsprozess in der kurdischen Frage, der im Zuge der Gespräche zwischen Öcalan und dem türkischen Staat begann, derzeit aus anderen Gründen in einer Krise steckt, ist das Ziel des Mörders der drei Frauen und seiner Hintermänner offensichtlich gescheitert. Dennoch bleiben weiterhin viele Fragen zu der Tat offen.

Fluchtpläne des Tatverdächtigen – Komplize aus Deutschland?

Neun Tage nach den Morden von Paris wurden zunächst zwei Tatverdächtige festgenommen. Einer wurde kurze Zeit darauf wieder entlassen, weil sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärtet hat. Der Zweite, ein gewisser Ömer Güney, blieb in Haft. Am 13. Mai dieses Jahres vermeldete die französische Nachrichtenagentur AFP nun, dass eben dieser Tatverdächtige Pläne geschmiedet haben soll, um aus der Haft zu entfliehen. Güney, gegen den am 7. Mai ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist, soll geplant haben, entweder mit einer Waffe oder mit Sprengstoff aus dem Gefängnis zu entfliehen. Interessant ist, dass im Zusammenhang mit den Fluchtplänen der Name von Ruhi S. auftaucht, angeblich ein alter Arbeitskollege von Güney aus seiner Zeit in Deutschland. Der dringend Tatverdächtige Güney besuchte Ruhi S. weniger als einen Monat vor der Ermordung der drei Frauen in Ankara. Zudem soll Ruhi S. im Januar dieses Jahres Ömer Güney im Gefängnis besucht haben. Möglicherweise soll bei dieser Zusammenkunft der Fluchtplan für Güney ausgeheckt worden sein.

Wird in alle Richtungen ermittelt?

Mitte Januar dieses Jahres tauchten Mitschnitte von Tonbandaufzeichnungen im Internet auf, in denen Ömer Güney mit zwei weiteren Personen über Attentatspläne an kurdischen Politikern spricht. Bei den beiden Gesprächspartnern handelte es sich vermutlich um Mitglieder des türkischen Geheimdienstes MIT (wir berichteten davon, siehe: Morde von Paris – Tonaufzeichnungen deuten auf Beteiligung des türkischen Geheimdienstes). Der MIT hat die Echtheit der Aufnahme und ihre mögliche Involvierung bislang nicht geleugnet. Es hieß lediglich, dass man interne Untersuchungen anstellen werde. Eine abschließende Erklärung für diese angeblichen Untersuchungen blieb jedoch aus. Die französischen Behörden bestätigten hingegen, dass es sich höchstwahrscheinlich bei einer der drei Stimmen auf den Aufzeichnungen, um die Stimme Ömer Güneys handele. Die Aufzeichnungen seien aus Deutschland ins World Wide Web hochgeladen worden, heißt es aus französischen Ermittlerkreisen. Aus den Aufnahmen, die vermutlich im Zuge des Zwists zwischen Erdogan und der Gülen-Gemeinde von Letzteren ins Netz gestellt worden ist, geht hervor, dass Güney seine spätere Tatwaffe in Belgien besorgt hat.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, weshalb bislang keine Ermittlungen seitens der belgischen Behörden aufgenommen worden sind? Güney sagt in den Tonbandaufzeichnungen, dass er zwei Waffen in einem Laden mit arabischen Inhabern gekauft habe und diese seit acht Jahren kenne. Man muss kein Spezialist sein um zu wissen, dass die Ermittlungen auch auf die Verkäufer der Tatwaffen ausgeweitet werden müssen.

Auch bleibt die Frage offen, weshalb die deutschen Behörden noch keine Ermittlungen gegen die Person Ruhi S. gestartet haben. Dieser Name taucht, wie oben beschrieben, immer wieder im Zusammenhang mit Güneys Person auf.

Solange die Ermittlungen allein auf Frankreich beschränkt bleiben, solange also nicht in alle Richtungen über die französischen Grenzen hinaus ermittelt wird, eben solange wird sich der Verdacht halten, dass kein Interesse an der vollständigen Aufklärung der Morde von Paris besteht. Selbst eine geheimdienstliche Beteiligung gewisser europäischer Staaten an diesem Mord erscheint in diesem Fall im Bereich des Möglichen zu liegen. Wie sonst konnten inmitten einer europäischen Hauptstadt drei kurdische AktivistInnen, die alle unter Beobachtung der französischen Behörden standen, an einem Ort ermordet werden, der ebenso unter der ständigen Beobachtung derselben Behörden stand?

Soll dieser Verdacht aus der Welt geschaffen werden, müssen die Ermittlungen ausgeweitet und die Hintermänner der Tat aufgedeckt werden. Einen anderen Weg gibt es nicht.

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