Delegationsbericht, 26.03.2014

Gespräch mit einem Mitglied des IHD-Vorstands in Amed

Frage: Was und wer steckt hinter den Angriffen auf die HDP in der Westtürkei? Sind staatliche Stellen beteiligt?

A: Zunächst ist es so, dass der IHD an keine Partei gebunden. Was wir aus der Presse mitbekommen haben ist folgendes: Bei den Angreifern handelt sich um faschistische, rassistische Kräfte. Es gibt bis jetzt keine Beweise für eine direkte Beteiligung staatlicher Stellen, sie verhalten sich aber häufig passiv, greifen nicht ein, wenn Angriffe stattfinden und ermutigen so die FaschistInnen. In Fethiye haben allerdings wähend der Angriffe der Polizeichef und der Bürgermeister das Schild der Parteibüros abmontiert, das heißt, der Staat ergreift Partei.

Frage: Welche Folgen hat die Abschaffung der Sondergerichte? Wird sich dadurch etwas verbessern?

A.: Die Sondergerichtsfälle wurden normalen Gerichten übertragen. Die Obergrenze für U-Haft ist nun auf 5 Jahre begrenzt, bisher waren es 10. Viele der von den Ergenekon-Verfahren Betroffenen wurden deshalb freigelassen, auch wenn sie noch keine 5 Jahre in Haft waren. Auch einige der KCK-Gefangenen wurden freigelassen.

Anträge auf Entlassung in KCK-Verfahren wurden von den Provinzgerichten abgelehnt, ein Urteil des obersten Gerichts gibt es dazu noch nicht.

Bei den KCK-Gefangenen, die im Zuge der Massenverhaftungen vom 14. April 2009 festgenommen wurden, darunter Hatip Dicle, läuft die 5-Jahresfrist demnächst ab. Gespannte Erwartung gibt es, ob der Staat sich an seine Rechtsprechung hält.

Die KCK-Verfahren sind politische Prozesse. Die Gefangenen sind politische Geiseln des Staates, weil die Dauer ihrer Haft bei weitem nicht den nach gültigem Recht zu erwartenden Strafen entspricht.

Inzwischen sind viele Gefangene der KCK-Verfahren in den kleineren Städten frei. In den Hauptverfahren von Amed und Istanbul sind jedoch die meisten in Haft, der IHD erwartet jedoch wegen der 5-Jahresfrist ihre Freilassung.Es gibt in den KCK-Verfahren 92 kranke Gefangene.Ihre Anwälte haben einen Antrag auf Entlassung beim obersten Gericht gestellt, es besteht aber wenig Hoffnung, dass das Gericht dem nachkommt.

Frage: Haben die Massenverhaftung und Repression insgesamt zu einer Schwächung der Bewegung geführt? Haben die KCK-Verfahren die in den Lösungsprozess gesetzten Hoffnungen gedämpft?

A.: Er war beabsichtigt worden, mit der Festnahme und Inhaftierung von 10.000 Aktivistinnen, BürgermeisterInnen, JounalistInnen, AnwältInnen und FunktionärInnen die kurdischen Strukturen zu zerschlagen. Dies hatte jedoch nicht den gewünschten Erfolg, aber man kann auch nicht sagen, dass sie überhaupt keine Auswirkungen gehabt haben..

Frage: Können Sie etwas zu der islamistischen Hüda-Par sagen, die bei diesen Kommunalwahlen antreten?

A: Wir sind wie gesagt nicht parteigebunden, können zu Hüda Par sagen, dass sie eine legale Partei ist. Wie erfolgreich sie hier sein wird, wird sich zeigen. Aus der Presse wissen wir, dass sie in der Tradition der (kurdischen) Hisbollah stehen.

Frage: Wie ist die Situation der in den KCK-Verfahren angeklagten Rechtsanwälte? Sind die an den Verfahren beteiligten Verteidiger Repressionen ausgesetzt?

A: Auf diese Frage kann ein Mitglied der Anwaltskammer besser antworten. Die AnwätInnenvon Abdullah Öcalan wurden inzwischen alle freigelassen.

Frage: Wie ist die Situation von Kindern und Jugendlichen in Haft? Hat sich seit den auch in Europa bekannt gewordenen Mißbrauchsällen im Gefängnis von Pozanti etwas verändert?

A.: Mit dem von Herrn Öcalan eingeleiteten Lösungsprozess hat sich die Lage der Kinder verändert. Die Repression hat etwas abgenommen, einige kamen frei,aber es sind noch viele inhaftiert und Kinder und Jugendliche sind viel schutzloser als Erwachsene. Die staatliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche findet verstärkt durch die Polizei auf der Strasse statt. Erst gestern wurdeder 10-jährige Mehmet Ezer in Silwan lebensgefährlich verletzt.

Frage: Wie erklären Sie sich die schwachen bis völlig ausgeblieben Reaktionen von internationalen Organisationen wie Amnesty International, Unicef , dem CPT (Folterschutzkomitee der EU) u.a. auf die Gewalt gegen Kinder in türkischen Gefängnissen oder die Lage der kranken Gefangenen?

A: Die Vorfälle in Pozanti wurden vom IHD öffentlich gemacht, das war ein großer Erfolg, weil viele Gefangene aus Angst vor weiterer Repression Verstöße nicht melden. Es gibt kaum Unterstützung bei europäischen Menschenrechtsorganisationen. Z.B. sind 202 Gefangene lebensbedrohlich krank. Gerichtsmedizinische Atteste, die die Notwendigkeit einer Haftentlassung feststellen, finden keine Beachtung.Viele Kranke wurden nun in weit entfernte Gefängnisse im Westen der Türkei verlegt. Sie sind zumeist auf Versorgung durch andere Gefangene angewiesen und für die Angehörigen ist es nun fast unmöglich, sie regelmäßig zu besuchen. Durch die Verlegung soll der Druck auf die kranken Gefangenen und ihre Angehörigen zusätzlich erhöht werden. Begründet werden die Verlegungen (auch bei anderen Gefangenen) immer mit Kapazitätsmangel.Der IHD macht eine Kampagne gegen das Sterben im Gefängnis, es sind schon einige Gefangene gestorben, aber die Regierung reagiert nicht.

Frage: Es gibt ein Abkommen der EU mit der Türkei über die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft. Im Gegenzug soll sie als erweiterter Dublin3 Raum nun Flüchtlinge zurücknehmen, die über die Türkei eingereist sind. Wie ist die Situation der Flüchtlinge vor diesem Hintergrund in der Türkei?

A.: Als Menschenrechtsorganisation, die auf Anfrage arbeitet, bekommt der IHD recht wenig davon mit. Bekannt ist uns der Fall von 25 kurdischen IranerInnen, die in Ankara in einen Hungerstreik getreten sind, weil sie an der Weiterreise nach Europa gehindert wurden, obwohl sie in der EU angeblich anerkannt wären. Besonders KurdInnen werden aufgehalten, weil sie angeblich nicht in die EU einreisen dürften.

(Der Fragesteller wies darauf hin, dass es kein entsprechendes Gesetz in der EU gäbe und sowohl Maßnahme als auch Begründung illegal seien. Womöglich sind sie die ersten Opfer des Abkommens. Die Türkei ist auf die Konsequenzen dieses Abkommen in keiner Weise vorbereitet.)