Presseerklärung, 30.01.2014

Für die Ermöglichung humanitärer Hilfe in den kurdischen Provinzen Syriens - Rojava

Die kurdische Bevölkerung setzt sich in Syrien seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 intensiv für Frieden sowie den Aufbau einer demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft ein. Trotzdem – oder gerade deshalb – verhindern sowohl das syrische Regime als auch Gruppen, die zur Al-Qaida gehören, ebenso wie die Türkei, Saudi-Arabien, Katar sowie weitere Regionalmächte, dass humanitäre Hilfsmittel und lebenswichtige Ressourcen wie Lebensmittel, Öl, Gas, Wasser und Medikamente diese Region erreichen können. Faktisch wird seitens der genannten Akteure, neben ständigen militärischen Angriffen, ein Embargo gegen die kurdische Bevölkerung und die demokratischen Strukturen in der Region aufrechterhalten.

Als Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit - Civaka Azad, fordern wir dazu auf, alles Notwendige zu unternehmen, um dieses Embargo zu überwinden. Nur so kann die längst notwendige humanitäre Hilfe in diese Region gewährleistet werden.

Wir unterstützen die Initiative des Bundestagsabgeordneten Jan van Aken, der nach der Teilnahme an einer Delegationsreise in die kurdischen Provinzen Syriens, an der auch ein Mitarbeiter unseres Zentrums teilnahm, die Bundesregierung im Bundestag dazu aufgefordert hat, das Embargo zu überwinden, Rüstungsexporte an die Türkei einzustellen und die demokratischen Bemühungen der KurdInnen zu unterstützen.

An den demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen, die die überwiegend kurdische Bevölkerung in den nördlichen Teilen des Landes (Rojava-Westkurdistan) aufgebaut hat, sind sämtliche dort lebenden Bevölkerungs- und Religionsgruppen beteiligt. Rojava ist derzeit beispielsweise die einzige Region des Landes, in der assyrische Christen sicher leben und sich an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen können.

Der „Kurdische Hohe Rat“, in dem sämtliche kurdischen Parteien Syriens organisiert sind, ist Teil der Übergangsverwaltung dieser Region (siehe auch http://civaka-azad.org/index.php/556-demokratische-autonomie-in-rojava.html). In den selbstverwalteten Regionen besteht zudem eine 40%ige Geschlechterquote in sämtlichen Gremien. Auch das ist einmalig. Die Realität in Rojava ist mittlerweile von Menschen geprägt, die nicht weiter bereit sind, patriarchale Gesellschaftsstrukturen oder andere Unterdrückungsmechanismen hinzunehmen.

Das gesamte Projekt der Selbstverwaltung in Rojava könnte als Vorbild zur Transformation mittelöstlicher Gesellschaften zu fortschrittlichen Demokratien gesehen werden. Gerade das ist jedoch Regionalmächten und Dschihadisten aus dem Al Qaida Netzwerk ein Dorn im Auge. Die Türkei, Katar und Saudi Arabien unterstützen die dschihadistischen Gruppen mit Waffen, Strategien zur Kriegsführung, Geldern, ärztlicher Versorgung und militärischer wie ziviler Infrastruktur, um eine Stabilisierung der kurdischen Regionen Syriens mit allen Mitteln zu verhindern. Folge davon sind Massaker gegen die Zivilbevölkerung. Auch das Assad Regime will eine weitere stabile Entwicklung dieser Region, in die seit 2012 mehr 1,3 Million InlandsmigrantInnen geflohen sind, verhindern.

In einem aktuellen Reisebericht von Jan van Aken heißt es: „In diesem Rahmen verweigert auch die autonome kurdisch-irakische Regionalregierung unter Masud Barzani der kurdisch-syrischen Bevölkerung jegliche direkte Hilfe und hält die Grenzen geschlossen. Wahrscheinlich geschieht das unter Druck der Türkei, dem wichtigsten Wirtschaftspartner Barzanis, da kann man aber nur spekulieren. Die türkische Regierung hält die Grenzen fest verschlossen. Sie versucht das Experiment der kurdischen Selbstverwaltung zu zerstören – wohl auch, weil eine treibende Kraft im Norden Syriens die „Partei der Demokratischen Union“ (PYD) ist. Eine Partei, die aus Sicht der Türkei der PKK zu nahe steht. Insgesamt fürchten die Regionalmächte, dass ein basisdemokratisches Experiment mit Frauenrechten sich auf ihre Gesellschaften abfärben könnte.“

Die kurdische Bevölkerung Syriens ist bestrebt eine friedliche Lösung im Syrienkonflikt voranzubringen. Aus diesem Grunde begrüßt sie auch internationale Bemühungen, die dasselbe Ziel teilen. Sie setzt sich ein für das Recht auf ein freies Leben, in einem demokratischen Syrien, in dem sämtliche Bevölkerungs- und Religionsgruppen gemeinsam und partnerschaftlich miteinander leben. Damit das Bestreben zur Umsetzung dieses Ziels gestärkt wird, sind allerdings auch die Unterstützung der dortigen Bevölkerung mit lebensnotwendigen Hilfsgütern und die Beendigung der Verhinderung des freien Handels notwendig.

Genf 2 und humanitäre Hilfe

Leider wurde bei der Syrien-Friedenkonferenz im schweizerischen Montreux keine eigenständige kurdische Delegation eingeladen. Das ist ein Ausdruck großer Ignoranz gegenüber der Realität in der Region. Für einen nachhaltigen Frieden in der Region ist es wichtig, alle Akteure im Land in die Friedensverhandlungen einzubeziehen. Dass gerade die VertreterInnen jener Region, die eine demokratische Perspektive für Syrien aufweisen, aus diesen Gesprächen herausgehalten werden, erscheint geradezu absurd.

Über humanitäre Hilfsleistung wird im Reisebericht erklärt: „Durch das Embargo kommen derzeit kaum Hilfsorganisationen in die Region Rojava. Einzig „Ärzte ohne Grenzen“ sind vor Ort. Selbst die UN kann nicht direkt helfen und musste Hilfsgüter zu absurd hohen Preisen über eine Luftbrücke nach Qamishli fliegen“ Organisationen vor Ort die sich um humanitäre Hilfe und Binnenflüchtlinge kümmern erklärten, dass diese lediglich dem Regime übergeben wurden und somit die kurdische Bevölkerung nicht erreichten.

Weiter heißt es in dem Bericht: „Es fehlt an Zucker, Öl, Reis, Tee und vor allem an Medikamenten. Chronisch Kranke können kaum noch versorgt werden. Eine Pharmazeutin des Roten Halbmond berichtete uns im Gespräch, dass z.B. die chronisch Nierenkranken in Qamishli entweder geflüchtet oder bereits gestorben sind.“

Auch die kurdischen Organisationen in Rojava, die sich um die Binnenflüchtlinge kümmern, werden in keiner Weise international unterstützt. Da die Region Rojava trotz Embargo und Angriffen relativ stabil ist, floh eine große Anzahl von Binnenflüchtlingen dorthin. Der kurdische Rote Halbmond von Rojava (Heyva Sor a Kurd a Rojava) hat dazu folgende Zahlen veröffentlicht:

Region Afrin: Einwohnerzahl: 400.000 und ca. 500.000 Binnenflüchtlinge

Region Kobani: Einwohnerzahl: 300.000 und ca. 350.000 Binnenflüchtlinge (allein in den letzten 15 Tagen kamen aufgrund der gewaltsamen Auseinandersetzung in der Region 10.000 Flüchtlinge nach Kobani)

Region Cizîre: Einwohnerzahl: 1.300.000 und mehr als 500.000 Binnenflüchtlinge

Ein Teil der Binnenflüchtlinge lebt bei Bekannten oder Verwandten, andere sind in Turnhallen, Schulen oder in größeren Gebäuden untergebracht. Die Ressourcen reichen nicht aus - vor allem nicht um alle Binnenflüchtlinge zu versorgen.

Wir fordern die sofortige Überwindung des Embargos gegen Rojava (die kurdischen Provinzen Syriens), die Gewährleistung humanitärer Hilfe durch Regierungen der EU, NGO‘s und Hilfsorganisationen, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.

Wir fordern die Beendigung sämtlicher Waffenlieferungen an die Türkei, um die Massaker und Menschenrechtsverstöße der Al Qaida-Gruppen zu beenden.

Für weitere Informationen und die Vermittlung von Kontakten zur Lieferung der Hilfsgüter an regionale Hilfsorganisationen stehen wir Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung.

Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.

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