Abschlussresolution der 1. Frauenkonferenz des Mittleren Ostens

Vom 31. Mai bis zum 2. Juni fand in Amed (Diyarbakir) die 1. Frauenkonferenz des Mittleren Ostens statt. Die von der DÖKH (Demokratische Freie Frauenbewegung) organisierte Veranstaltung stand unter dem Motto “Jin Jiyan Azadi” (Frauen – Leben – Freiheit) und war den drei am 9. Januar in Paris ermordeten kurdischen Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez gewidmet. Drei Tage diskutierten 250 Frauen aus 26 Ländern des Mittleren Ostens sowie Nordafrikas über ihre Erfahrungen und Perspektiven im Kampf für die Befreiung vom patriarchalen Herrschaftssystem und über die aktuellen politischen Entwicklungen in der Region.
Am zweiten Tag der Konferenz wurde im Namen der Teilnehmerinnen mit einer vor dem Tagungsort verlesenen Presseerklärung die Polizeigewalt in Istanbul verurteilt. „Der Taksim-Platz gehört allen“, hieß es in der Erklärung: „Die Angriffe richten sich gegen demokratisch legitimierte Rechte der Bevölkerung, wie das Recht auf Protest und Einspruch. Wir Frauen unterstützen alle Menschen, die sich für Bäume, die Natur und das Recht zu atmen einsetzen.“
Am Ende der dreitägigen Konferenz hielt die Co-Vorsitzende der BDP Gültan Kisanak im Namen der Delegierten eine Rede, in der sie darauf hinwies, der Zweck der Konferenz sei die Stärkung der internationalen Solidarität und des gemeinsamen Kampfes „fernab des westlich-orientalistischen Blickwinkels“ gewesen: „Wir danken der DÖKH dafür, dass sie uns zusammengebracht hat, und wir grüßen den Hohen Rat der Frauenbewegung Kurdistans KJB, der revolutionäre Veränderungen im Frauenbefreiungskampf initiiert hat. In diesem Sinne betrachten wir auch diese Konferenz als ein Ergebnis des Kampfes kurdischer Frauen.“
Zu den im Mittleren Osten und in Nordafrika stattfindenden Entwicklungen erklärte Gültan Kisanak: „Für uns Frauen birgt diese kritische Phase sowohl neue Möglichkeiten als auch Risiken. Wir tragen die historische Verantwortung, uns in diesen Veränderungsprozess organisiert und richtungsweisend einzubringen.“
In der anschließend verlesenden Abschlussresolution heißt es:
„Wir werden ein Kommunikationsnetzwerk für alle Konferenzteilnehmerinnen aufbauen. Um unsere Zusammenarbeit zu stärken, wird bis zur Durchführung der zweiten Konferenz eine rotierende Koordinationsgruppe die Kommunikation und die politische Solidarität zwischen den Delegierten gewährleisten.
Wir werden eine Beobachtungsgruppe für die Flüchtlingslager zusammenstellen, in denen vor dem Krieg in Syrien geflohene Frauen leben.
Auch Frauen sind von den Veränderungen im Mittleren Osten und Nordafrika betroffen. Sie beteiligen sich aktiv an den stattfindenden Kämpfen. Aber bei jedem Machtwechsel werden die Rechte von Frauen weiter abgebaut. In Kollaboration mit dem patriarchalen Herrschaftssystem werden Gewalt, Übergriffe und Vergewaltigungen als Mittel eingesetzt, um uns Frauen aus dem politischen und öffentlichen Bereich und den Entscheidungsgremien rauszudrängen. Unser Geschichtsbewusstsein und unsere Erfahrungen zeigen, dass radikale Religiosität und auf der Vorstellung eines monistischen Nationalstaates beruhender Laizismus zu den grundlegenden Gefahren für die Freiheit von Frauen gehören. Ein Hauptthema unseres Kampfes ist deshalb, unseren Kampf gegen diese beiden Modelle zu verstärken und den gegenwärtigen Veränderungsprozess in eine Frauenrevolution umzuwandeln. Keine Ideologie, Religion oder Glaubensrichtung darf als Druckmittel gegen Frauen verwendet werden. Die Wahl einer Frau bezüglich ihrer Lebensweise oder ihrer Kleidung darf zu keiner Form von Diskriminierung führen oder ihre sozialen, politischen, Bildungs-oder Arbeitsrechte einschränken.
Wir erklären, dass wir gegen Vergewaltigung, Steinigung, weibliche Genitalverstümmelung, Frauenmorde, staatliche und patriarchale Männergewalt gegen Frauen kämpfen werden, genauso wie gegen die neoliberale Politik, die Frauen in ungesicherte Arbeitsverhältnisse drängt. Wir teilen außerdem mit, dass wir gemeinsame Aktivitäten starten werden, um eine internationale Öffentlichkeit zur Unterstützung von Frauen herzustellen, die von der Todesstrafe bedroht sind. Gemeinsam werden wir gegen Folter und Misshandlungen in Haft kämpfen.
Wir stellen uns gegen jede Form der Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft, Ideologie, religiöser Überzeugung, sexueller Identität und Orientierung. Auch die Rechte derjenigen ohne religiöse Überzeugung müssen verteidigt werden. Alle Völker haben das Recht, ihre Muttersprache zu bewahren und zu verteidigen. Das Recht auf Bildung und Leben in der Muttersprache gehören zu den Forderungen von Frauen.
Wir sind gegen jede Form von Besatzung und äußerer Intervention. Wir glauben daran, dass nationale und soziale Kämpfe nicht von dem Kampf für Frauenrechte getrennt werden können und dass diese Kämpfe zusammen geführt werden müssen.
Wir lehnen das mono-nationalstaatliche Modell ab und schlagen ein demokratischpluralistisches Nationenmodell vor. Gegen die imperialistische Politik kämpfen wir für die Geschwisterlichkeit der Völker. Der Kampf gegen Faschismus und jede Art der Diktatur gehört zu unserer Grundhaltung.
Wir erklären, dass wir bis zur Freilassung aller aus politischen Gründen inhaftierten Frauen, die sich in den auf der Konferenz vertretenen Ländern für unsere Rechte, unsere Freiheit und Demokratie einsetzen, auf politischer, juristischer und demokratischer Ebene weiterkämpfen werden. Wir rufen die Regierungen dazu auf, diese Gefangenen unverzüglich freizulassen.
Wir erklären hiermit den 9. Januar, an dem die kurdischen Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez in Paris ermordet wurden, im Gedenken an alle Frauen, die in den auf der Konferenz vertretenen Regionen im politischen Kampf ihr Leben verloren haben, zum gemeinsamen Aktionstag gegen politische Morde.
Als Frauen meinen wir, dass Friedensverhandlungen nicht zu einem wirklichen Friedensaufbau führen können, wenn nicht eine gleiche und auf Geschlechtergleichberechtigung beruhende Vertretung von Frauen gewährleistet ist. Deshalb laden wir alle Frauen ein, verstärkt für die Repräsentation von Frauen in Friedensverhandlungen zu kämpfen. Wir unterstützen die Friedensgespräche, die zwischen Abdullah Öcalan als Vertreter des kurdischen Volkes und dem türkischen Staat eingeleitet wurden. Wir erklären, dass wir uns einsetzen werden, damit aus diesen Verhandlungen Resultate hervorgehen, die den Freiheitsforderungen des kurdischen Volkes entsprechen. Wir fordern Freiheit für Abdullah Öcalan. Wir unterstützen den Kampf um Rechte und Freiheit in Kurdistan, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts von vier Staaten kolonialisiert wurde.
Wir Frauen betrachten die Frage der Befreiung des kurdischen und des palästinensischen Volkes und der palästinensischen Flüchtlinge als Hauptprobleme im Mittleren Osten. Ohne die Freiheit dieser beiden Völker kann es in der Region keinen wirklichen Frieden geben. Wir unterstützen den Befreiungskampf des palästinensischen und des kurdischen Volkes und aller anderen Völker. Wir erinnern an das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Wir erklären, dass wir den Kampf des palästinensischen Volkes für das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und die Befreiung des palästinensischen Territoriums gegen den Zionismus unterstützen.
Wir fordern die Freilassung der kurdischen politische Gefangene Zeynep Celaliyan; der tunesischen Aktivistin Amina, die inhaftiert wurde, weil sie sagte „mein Körper gehört mir“; der palästinensischen Anführer Ahmat Saadat und Marwan Barguti sowie des Menschenrechtsaktivisten Abdulhadi Al Khawaja aus Bahrein.
Als Frauen lehnen wir politisch, ideologisch und ethnisch begründete Diskriminierungen hinsichtlich der Rechte und Freiheit von Frauen ab. Wir erklären, dass wir unabhängig von der politischen Meinung und ideologischen Herangehensweise gemeinsam gegen unsere gemeinsamen Probleme kämpfen werden, mit denen wir aufgrund unseres Frauseins konfrontiert sind.
Deshalb werden wir zeitgleich eine gemeinsame Kampagne gegen staatliche und patriarchale Gewalt durchführen, um damit die gegen Frauen gerichtete Gewalt im öffentlichen und privaten Raum sichtbar und bekannt zu machen. Als Zeitpunkt schlagen wir den 25. November vor, den Kampftag gegen Gewalt an Frauen.
Wir werden uns auch gegen die Zerstörung der Natur und unserer kulturellen Geschichte durch Besatzung und Krieg stellen.
Die Konferenz stellt für uns Frauen eine neue Ausgangsbasis für einen internationalen gemeinsamen Kampf gegen die Herrschenden, die Diktatoren und das patriarchale Herrschaftssystem dar. Es liegt an uns, diese Grundlage kontinuierlich zu stärken. Wir Frauen vertrauen uns selbst und wir sagen, dass es Frauen sein werden, die dieser Region den Frieden bringen.“

Düsseldorf, 4. Juni 2013

Cenî -Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
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