Dialog statt Vernichtungspolitik - Zum Gedenken an das Massaker von Halabja, Gazi und Qamushlo

In sämtlichen Teilen Kurdistans, im Irak (Südkurdistan), in der Türkei (Nordkurdistan), in Syrien (Westkurdistan) und im Iran (Ostkurdistan), ist die kurdische Bevölkerung seit Jahrzehnten mit Methoden der Vernichtungspolitik konfrontiert. Im Rahmen dieser Politik wurden neben Sprachverboten, Massenverhaftungen, Folter und Kriegsverbrechen auch immer wieder Massaker an KurdInnen, AlevitInnen, ArmenierInnen und weitere Minderheiten verübt.

Die jeweils kurz vor dem kurdischen Neujahrsfest Newroz durchgeführten Massaker von Halabja (Irak), am 16. März 1988, von Istanbul-Gazi (Türkei), vom 12. bis 15. März 1995 und von Qamushlo (Syrien), am 12. März sind drei Beispiele für diese menschenverachtende Politik.

Am 16. März 1988 bombardierte die irakische Armee die kurdische Stadt Halabja mit Chemiewaffen. Mehr als 6.000 ZivilistInnen starben sofort durch dieses Kriegsverbrechen, mindestens 7.000 weitere in der Folgezeit. Der Angriff auf Halabja war der Höhepunkt der Vernichtungspolitik der irakischen Armee gegen die kurdische Bevölkerung. Mehr als 4.500 Dörfer und Städte wurden innerhalb weniger Jahre zerstört, ihre BewohnerInnen ermordet oder in militärisch kontrollierte Sammelstädte deportiert, große Teile der Region vermint. Mehr als 400.000 Menschen wurden verschleppt, unzählige "verschwanden". Das irakische Regime war u.a. als Widersacher Irans mit westlichen Waffensystemen hochgerüstet worden. Neben konventionellen Waffen wurden von deutschen Firmen Labore und Fertigungsmaterial geliefert, mit denen chemische und biologische Kampfstoffe hergestellt werden konnten. Die Chemiewaffen, mit denen Halabja bombardiert wurde, stammten aus deutscher Fabrikation. Die Verantwortlichen aus der BRD konnten ermittelt werden, blieben aber bis heute straflos.

Vom 12. bis zum 15. März 1995 fand das Massaker von Gazi statt, das als Pogrom gegen die alevitische Bevölkerung endete. Mindestens 23 Menschen wurden dabei von Ultranationalisten und Polizisten ermordet. Anfang der 90er Jahre hatten die türkische Regierung und das Militär mit einem Schmutzigen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung, im Rahmen des bewaffneten Konflikts mit der PKK, begonnen. 17000 kurdische PolitikerInnen, JournalistInnen, Intellektuelle, ArbeiterInnen und Oppositionelle wurden von Geheimdienstlern, Polizisten und Paramilitärs ermordet, über 4000 Dörfer entvölkert. Mehrere Millionen KurdInnen flohen in die türkischen Metropolen oder nach Europa. Türkei wird bis heute sicherheitspolitisch und militärisch von der Bundesrepublik unterstützt und aufgerüstet.

Das Gazi- Massaker richtete sich, wie schon das Massaker von Sivas im Jahr 1993 gegen AlevitInnen. Von "Unbekannten Tätern" aus nationalistischen Kreisen wurde im Istanbuler Stadtteil Gazi ein Taxi entführt, dem Fahrer die Kehle durchgeschnitten. Die Täter schossen daraufhin im Vorbeifahren mit automatischen Waffen wahllos in alevitische Cafés, Kulturhäuser und Konditoreien. Drei Menschen starben, zahllose wurden verletzt. Daraufhin kam es zu Protesten vor einer Polizeiwache, die 200 Meter vom Tatort entfernt lag. Die friedliche Demonstration eskalierte, als ein Militärpanzer in die Menschenmenge fuhr. Die "Sicherheitskräfte" ermordeten 20 DemonstrantInnen durch gezielte Schüsse und verwunderten Hunderte. Das Pogrom war von systematischen Massenverhaftungen, Hausdurchsuchungen und Polizeiübergriffen in mehreren Istanbuler Stadtteilen begleitet. Einige der Inhaftierten gelten, wie weitere tausende KurdInnen, bis heute als "verschwunden". Seit 2009 ließ die AKP Regierung erneut ca. 10000 KurdInnen inhaftieren und eskalierte den militärischen Konflikt mit der PKK.

Am 12. März 2004 ereignete sich in der syrisch-kurdischen Metropole Qamushlo ein Massaker Während und nach einem Fußballspiel kam es zu Angriffen aus chauvinistischen, arabischen Kreisen, an denen sich auch Sicherheitskräfte beteiligten, auf KurdInnen. Mindestens 30 kurdische ZivilistInnen wurden getötet, mehr als 1000 verletzt, viele verhaftet. Die kurdische Bevölkerung reagierte mit Massenprotesten. Auch die syrische Regierung beschnitt lange Zeit systematisch die Rechte der KurdInnen. An der türkisch-syrischen Grenze wurde ein "arabischer Gürtel" eingerichtet, aus dem KurdInnen vertrieben werden sollten. Mehr als 100000 syrische KurdInnen verloren ihre Staatsbürgerschaft. In den kurdischen Provinzen Syriens haben im Verlauf der Erhebungen seit 2011 basisdemokratische Rätestrukturen, die mehrheitlich in der Partei der demokratischen Einheit PYD und im "Hohen kurdischen Rat verankert sind, weitgehend friedlich die Macht übernommen. In dieser Region ist die Situation im Vergleich zum Rest des Landes relativ stabil und friedlich.

Wir trauern gemeinsam mit den Familien der Opfer dieser Massaker und der beschriebenen Vernichtungspolitik und verurteilen diese aufs schärfste. Statt Vernichtungspolitik, juristischer Repression, Krieg, Massenverhaftungen und Massakern ist ein Friedensdialog in der Türkei und Syrien notwendig, um die u.a. durch die kolonialistische Grenzziehung nach dem ersten Weltkrieg ausgelösten langjährigen Konflikte zwischen den Staaten und der kurdischen Bevölkerung zu lösen. Abdullah Öcalan hat mit seiner Roadmap für den Frieden eine Lösung für die Türkei entworfen und mit dem Konzept der Demokratischen Autonomie ein Demokratisierungskonzept für den gesamten Mittleren Osten. Als YEK-KOM setzen wir uns seit Jahren für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ein. Der jetzt begonnene Dialog zwischen der türkischen Regierung und Abdullah Öcalan sowie der PKK kann der Anfang eines lang ersehnten Friedensprozesses sein, wenn auch die türkische Regierung ernsthaft daran interessiert ist und Schritte der Vertrauensbildung geht.

Wichtige Schritte für den Frieden wären u.a.:

. die Freilassung der mehr als 12000 politischen Gefangenen in der Türkei
. ein beidseitiger Waffenstillstand
. die Aufarbeitung geschehenen Unrechts in Wahrheitskommissionen
. die Freilassung Abdullah Öcalans
. ein auf Frieden orientierter Dialog in Syrien
. die Anerkennung der Rechte der KurdInnen und aller Minderheiten in der Türkei und Syrien

YEK-KOM
Düsseldorf, 12.03.13