An die Öffentlichkeit

Die Morde in Paris dürfen nicht in Vergessenheit geraten

Am 9. Januar 2013 wurden in der französischen Hauptstadt Paris die Mitbegründerin der PKK und führende Persönlichkeit der kurdischen Frauenbewegung, Sakine Cansiz, unsere Genossinnen Fidan Dogan (Rojbîn) und Leyla Saylemez (Ronahî) ermordet. Obwohl bereits ein Monat vergangen ist, wurden diese Morde immer noch nicht ausreichend aufgeklärt. Der französische Staat enthält der Öffentlichkeit seine Erkenntnisse vor. Diese Vorgehensweise deutet darauf hin, dass die Rolle Frankreichs und des türkischen Staats bezüglich der Morde in Paris nicht außerhalb eines gemeinsamen Konzeptes mit der AKP-Regierung zu suchen ist. Als Frauenbefreiungsbewegung Kurdistans sehen wir es nicht als ausreichend an und akzeptieren es nicht, dass die Aufklärung dieses Verbrechens auf die Festnahme eines Täters oder einiger Täter begrenzt wird. Bis auf die Verhaftung eines Tatverdächtigens hat die französische Regierung innerhalb von einem Monat keine Erklärung zu diesem Verbrechen abgegeben. Außerdem hat der französische Staat keinerlei Stellungnahme veröffentlicht, in der die Öffentlichkeit über Erkenntnisse zu dem Tatverdächtigen Ömer Güney, weitere Dokumente, Zeugenzeugenaussagen und Videoaufnahmen informiert wird. Hinsichtlich Aufklärung der Morde in Paris betreibt Frankreich eine manipulative Politik der Verschleppung. Der französische Staat steht in der Pflicht, umgehend eine offizielle Erklärung über die Gründe und Hintergründe dieser Morde zu veröffentlichen, in der dargelegt wird, von welchen Kräften diese Morde begangen wurden und über welche Beziehungen sie verfügten.
Die Verschleppung der Aufklärung der Morde an den drei kurdischen Politikerinnen stellt einen Versuch dar, dieses Verbrechen in Vergessenheit geraten zu lassen und zu normalisieren. Im Kern bedeutet dies eine Legitimierung von Völkermord und Feminizid. Wir rufen alle Frauen, die kurdische Bevölkerung und die Öffentlichkeit dazu auf, gegenüber dieser unverschämten und heuchlerischen Politik wachsam zu sein und mit weiteren Aktionen Manipulationen bei der Aufklärung zu verhindern. Die dunkle Politik tiefer Kräfte, die sich der öffentlichen Kontrolle entziehen will und die Existenz progressiver Kräfte bedroht, muss ans Tageslicht gebracht werden. Mit gemeinsamem Widerstand und Kampf wird es uns gelingen, alle Hintergründe und Verbindungen zu diesen Morden offen zu legen. Wir sind davon überzeugt, dass der Einsatz und die Aktionen der kurdischen Bevölkerung, insbesondere kurdischer Frauen sowie der demokratischen Kräfte weltweit, die Aufklärung dieses Verbrechens sicherstellen werden.

Grenzenloser Feminizid unter der AKP-Herrschaft
Unter der Herrschaft der AKP ist das Konzept des Feminizids und der gesellschaftlichen Zerstörung gegen alle Frauen in der Türkei und alle in der Türkei lebenden Völker in Aktion getreten. Das herrschende patriarchale System, das auf kapitalistischem Profitdenken beruht, ermordet mit den Händen, der Sprache und der Rechtsprechung des AKP-Regierungsstaates kontinuierlich Frauen. Mit dem Feminizid geht ein Konzept der Zerstörung von Gesellschaften und des Völkermordes einher. Der starke Anstieg von Gewalt gegen Frauen und gehäufte Frauenmorde in der Türkei sind Bestandteile dieses Konzeptes. Die Ermordung von fünf armenischen Frauen; die Ermordung von drei revolutionären kurdischen Frauen in Paris; Dutzende sogenannter Ehrenmorde aufgrund von Scheidungen oder Willensbekundungen der Frauen; verschiedenste Gewalttaten, die in jeder Stunde gegen Dutzende von Frauen verübt werden, sind offene Ausdrücke dieses Feminizids. Hiermit werden Frauen und zugleich die gesamte Gesellschaft, Völker und Kulturen angegriffen. Mit der Ermordung revolutionärer kurdischer Frauen wurde dem kurdischen Volk der Genozid verkündet, mit der Ermordung von armenischen Frauen dem armenischen Volk, mit der Ermordung von Frauen aus der Türkei, den dort lebenden Völkern. Alle Frauenorganisationen, Gesellschaften und Völker müssen ihren Kampf gegen die faschistische, frauenfeindliche Einstellung verstärken, mit der die AKP alle “anderen” zu Feinden erklärt.

Fortsetzung des Unterdrückungs- und Vernichtungskonzepts der AKP in den Gefängnissen
Im vergangenen Monat wurden hunderte kurdischer politischer Gefangene ohne jegliche rechtfertigende Begründung durch den AKP-Staat zwangsweise in andere Gefängnisse verlegt. Die Zwangsverlegungen gleichen regelrecht einer Verbannungsstrafe. Unterdrückung und Folter in den Gefängnissen wurde weiter verschärft; Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Mit den Zwangsverlegungen will sich die AKP geradezu an den kurdischen politischen Gefangenen für den Erfolg ihres großen Hungerstreiks rächen.1 Wir rufen alle Menschen zur Solidarität mit den revolutionären Gefangenen auf; die Zwangsverlegungen müssen beendet, die Grundrechte und Menschenrechte der Gefangenen müssen geschützt werden.

Fortsetzung der Verleugungs- und Vernichtungspolitik der AKP in Westkurdistan
Die faschistische Einstellung, der zufolge alle beseitigt werden müssen, die nicht so wie die AKP denken bzw. sich nicht zu ihren Handlangern machen lassen, tritt auch in der Syrienpolitik der AKP und in den Angriffen auf die Bevölkerung in Westkurdistan deutlich zutage. Nachdem das AKP-Regime in der westkurdischen Stadt Serekanî auf einen entschlossenen Widerstand der Bevölkerung getroffen ist, beabsichtigt es, seine Völkermordpolitik über Westkurdistan auszuweiten. Die bislang erfolglosen Angriffe der AKP richten sich gegen das basisdemokratische Selbstverwaltungssystem in den kurdischen Gebieten. Aber auch zukünftig werden ihre Angriffe keinen Erfolg haben. Wir rufen zur Solidarität mit der Bevölkerung Westkurdistans auf, die um ihre Existenz und ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpft. Die Völkermordpolitik und die völkerrechtswidrigen Angriffe der AKP auf die Bevölkerung in Westkurdistan und in Syrien dürfen nicht hingenommen werden.

Koma Jinên Bilind (KJB) - Koordination
07.02.2013

1 - zwischen dem 12.9. und 18.11.2012 waren insgesamt 10.000 kurdische politische Gefangene in der Türkei in den Hungerstreik getreten und hatten damit die türkische Regierung zur Wiederaufnahme des Dialogs mit dem inhaftierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan bewegt.