Welche Rolle spielt die antikurdische Politik Frankreichs?

Der Mord an den drei kurdischen Aktivistinnen untern den Augen der französischen Regierung?

Mako Qocgiri, Mitarbeiter von Civaka Azad, 14.01.2013

Die Verantwortung der französischen Behörden bei der Aufklärung der Morde an den drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez am 9. Januar in Paris ist groß. Am Samstag den 12. Januar haben rund 100 000 Kurdinnen und Kurden aus ganz Europa nicht nur im Gedenken an den drei ermordeten Frauen in Paris demonstriert. Mit dieser Demonstration unterstrichen sie, dass sie solange den französischen Behörden auf die Finger schauen werden, bis der Fall lückenlos aufgeklärt ist.
Durch diese schrecklichen Morde wird allerdings der Blick auch auf die bisherige Politik des französischen Staates gegenüber KurdInnen gelenkt. Und wenn wir dies tun, wird auch deutlich, weshalb das kurdische Vertrauen in die französischen Behörden mehr als angeknackst ist.

Inhaftierung des KNK-Mitglieds Adem Uzun
Ein weiteres Beispiel der Repressionen des französischen Staates gegen kurdische AktivistInnen dürfte die Festnahme des Mitglieds des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) Adem Uzun am 06. Oktober letzten Jahres darstellen. Adem Uzun war im Namen des KNK nach Paris gereist, um dort an einer Konferenz über die Entwicklungen in Westkurdistan am 13. Oktober in den Räumlichkeiten des französischen Parlaments teilzunehmen. Die Tatsache, dass zwei der ermordeten Frauen ebenfalls Mitglieder des KNK waren, wirft ein neues Licht auf die Festnahme von Uzun. Denn der französische Staat könnte durch die Festnahme eines Mitglieds des Kurdischen Nationalkongresses gleichzeitig andere Mitglieder des KNK zur Zielscheibe von Angriffen gemacht haben. Zusätzlich weist die Festnahme von Uzun in Frankreich eine weitere wichtige Eigenschaft auf: Rund eine Woche vor dieser Festnahme hatte sich der türkische Ministerpräsident bei einer Fernsehsendung beschwert, dass europäische Staaten wie Deutschland und Frankreich ein Interesse an der „Nichtlösung des Terrorproblems“ hätten. Denn „in diesen Ländern können sich die Terroristenführer, wie sie gerade Lust haben, frei bewegen“, so Erdogan. Die französischen Staatsanwälte Thierry Fragnoli und David Benichou dürften sich wohl angesprochen gefühlt haben und wollten der türkischen Regierung unter Beweis stellen, wie ernst sie es mit der „Terrorismusbekämpfung“ im eigenen Land nehmen, indem sie kurz darauf Herrn Uzun festnahmen.

Systematische Repressionen
Unter dem Vorwurf der „Nichtlösung des Terrorismusproblems“ versucht Erdogan die europäischen Staaten dazu zu drängen, die Kriminalisierung der kurdischen AktivistInnen in Europa zu verstärken. Allerdings bedurfte es in Frankreich dieser Mahnungen Erdogans nicht. Denn der französische Staat hat laut Angaben der Nachrichtenagentur Firat (ANF) allein seit 2007 rund 200 kurdische AktivistInnen festgenommen. Davon wurden rund 80 Personen inhaftiert, von denen sich aktuell immer noch 4 Personen im Gefängnis befinden. Der französische Staat unterhält die wiederfreigelassenen kurdischen AktivistInnen, deren Prozesse am weiterlaufen sind, einer verschärften Kontrolle. In diesem Rahmen müssen sich die meisten AktivistInnen, auch die deren Verfahren eingestellt worden sind, wöchentlich bei der Polizei einfinden. Zudem reiste am 6. Oktober 2011 der damalige französische Innenminister Claude Guéant eigens in die Türkei, wo er mit seinem türkischen Amtskollegen einen Vertrag „über die engere Zusammenarbeit in Fragen der inneren Sicherheit“ unterschrieb. Seit 2007 arbeiteten die französischen und türkischen Behörden eng zusammen, wenn es um Festnahmen kurdischer AktivistInnen in Frankreich ging.
In Frankreich herrscht ebenso wie in Deutschland ein Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Dieses Betätigungsverbot öffnet Tür und Tor für die Kriminalisierung kurdischer AktivistInnen und kann zum Vorwand für willkürliche Festnahmen, Auslieferungen oder Vereinsverbote genutzt werden. Letzteres geschah am 02. November ebenfalls in Paris, als der kurdische Verein „Ahmet Kaya Kulturzentrum“ durch die französischen Behörden verboten wurde. Dieses Vorgehen des Staates wiederum ermutigt andere Kreise auf eigene Faust kurdische Institutionen anzugreifen, wie es beispielweise bei dem immer noch unaufgeklärten Brandanschlag auf den kurdischen Verein in der französischen Stadt Mulhouse am 26. Dezember 2011 geschehen ist. Durch die systematischen Repressionen des französischen Staates gegen kurdische AktivistInnen steht unweigerlich die Frage im Raum, ob die Täter sich durch die antikurdische Politik des französischen Staates zu ihrer Tat ermutigt gefühlt haben?

Reaktion der französischen Regierung ein gutes Zeichen
Kurz nach Bekanntwerden der Morde hat der französische Innenminister Manuel Valls den Tatort besucht und auch der französische Präsident Francois Hollande meldete sich zu Wort. Beide versicherten, dass man alles Mögliche für eine Aufklärung der Tat unternehmen werde. Dies kann von der kurdischen Seite als ein gutes Zeichen aufgefasst werden. Allerdings werden die KurdInnen die Haltung Frankreichs an ihren Taten messen. So fordert die kurdische Seite von der französischen Regierung sowohl eine lückenlose Aufklärung des Dreifachmordes, als auch ein Überdenken ihrer eigenen Politik gegenüber den KurdInnen. Die Tat muss zum Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Rolle bei Ermordung der kurdischen AktivistInnen genommen werden. Es sollte eine Abkehr von der Kriminalisierungspolitik gegenüber kurdischen AktivistInnen stattfinden. Das überholte PKK Betätigungsverbot bedarf ebenso sehr einer Korrektur, wie die Auflistung der PKK auf der EU-Terrorliste.
Innerhalb der kurdischen Gemeinschaft stellt sich immer wieder die Frage, wie an einem belebten Ort, wie der Rue Lafayette in Paris, drei kurdische Aktivistinnen auf diese Art und Weise ermordet werden konnten, obwohl doch aus den Ermittlungsakten gegen andere kurdische AktivistInnen in Frankreich zu lesen ist, dass kurdische AktivistInnen genauso sehr unter staatlicher Beobachtung stehen, wie vermutlich der Tatort, das Kurdistan Informationszentrum, auch. Es liegt in der Hand der französischen Regierung und der französischen Behörden, ob sie die Vermutung der KurdInnen, dass auch Frankreich eine Rolle bei der Ermordung von Sakine, Leyla und Fidan zukommt, ausräumen können.
Im Kurdistan Report Nr. 161, Mai/Juni 2012 wurde ein Interview mit dem kurdischen Politiker Nedim Seven unter der Überschrift „Instrumentalisiert für Profitinteressen. Repression gegen KurdInnen in Frankreich am Beispiel Nedim Sevens“ veröffentlicht. In diesem Artikel wird unter anderem nochmals die Zusammenarbeit von französischen und türkischen Behörden bei den Repressionen von kurdischen AktivistInnen in Frankreich deutlich. Der Artikel ist unter folgenden Links zu finden:
http://www.nadir.org/nadir/periodika/kurdistan_report/2012/161/20.htm oder http://civaka-azad.org/index.php/analysen/europa/100-instrumentalisiert-fuer-profitinteressen.html