Ismail Besikci
Istanbul / Türkei

Frau Kersten Steinke MdB
Vorsitzende des Petitionsausschusses
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Anerkennung der kurdischen Identität in Deutschland

Istanbul, 1. Oktober 2012

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,


Ich möchte zunächst damit beginnen, Ihnen meine besten Wünsche zu überbringen. Weiterhin möchte ich Ihnen mitteilen, wie erfreut ich darüber bin, dass am 15.Oktober im Petitionsausschuss des Bundestages eine Sitzung über die Anerkennung der kurdischen Identität in Deutschland stattfindet.

Ich erhoffe mir, dass diese Sitzung zur Erfüllung der berechtigten Forderungen von Kurdinnen und Kurden beiträgt und einer gleichberechtigten Angleichung zwischen anderen Migrantengruppen und den Kurden dient.

Dass die Angelegenheiten der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden je nach Farbe ihrer Passes als Türken, Araber oder Perser behandelt werden, dass sie in Statistiken und öffentlichen Studien nicht ihrer eigenen Identität entsprechend aufgenommen werden, dass ihnen im Gegensatz zu anderen Migrantengruppen in einigen Bundesländern das Recht auf muttersprachlichen Unterricht verwehrt wird, dass Eltern ihren kurdischen Kindern keine kurdischen Namen geben dürfen, dass Beratungsdienste nicht auf Kurdisch angeboten werden – diese und viele weitere Fakten widersprechen den freiheitlich-demokratischen Werten der Bundesrepublik Deutschland, mit denen sie sich rühmt.

Diese Handhabung bedeutet im Grunde genommen die Verleugnung der kurdischen Identität auch hier in Deutschland. Dass kurdische Familien ihren in Deutschland geborenen Kindern nicht die von ihnen gewünschten kurdischen Namen geben können und dass die deutschen Meldebehörden von ihnen das Aussuchen eines türkischen Namens aus einem durch Mitarbeiter der türkischen Botschaft oder des Konsulats übergebenen Katalog fordern, zeigt die Weitergabe der Verleugnung der kurdischen Identität von der Türkei nach Deutschland.

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

Die kurdische Frage ist Folge der Aufteilung Kurdistans während der Zeit des Völkerbunds in den 1920er Jahren, als den Kurdinnen und Kurden das Recht auf die Gründung eines unabhängigen Staates abgesprochen wurde.

An diesem über Kurdistan hereingebrochenem Unheil haben die damaligen imperialistischen Staaten, allen voran Großbritannien und Frankreich, der Westen, Europa eine große Verantwortung zu tragen. Der Westen unterstützt auch heute mit der Verleugnung der kurdischen Identität und der Unterteilung der Kurdinnen und Kurden in Türken, Araber und Perser diese rassistische und ausbeutende Politik.

Organisationen wie der Europarat, die Europäische Union und die OSZE raten der Partei für Frieden und Demokratie (BDP), deren Abgeordneten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern häufig, „sich vom Terror zu distanzieren“. Dies ist meines Erachtens eine falsche Warnung. Vielmehr müssen diese Organisationen wegen ihrer grenzenlosen Unterstützung des Terrors des Staates Türkei kritisiert werden. Es muss von diesen Organisationen und den Staaten, die in diesen Organisationen vertreten sind, gefordert werden, dass sie sich vom Staatsterror distanzieren. Und solange sie diesen weiter unterstützen, können ihre Vorschläge dieser Art nicht ernst genommen werden.

Es ist eine falsche Haltung, mit der Aussage, gegen Terrorismus zu sein, den Staatsterror grenzenlos zu unterstützen.

Welche Bedeutung haben die Charta von 1945, der Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinigten Nationen (1966) für unterdrückte Völker?

Was bedeutet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950), das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995) und die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats für Kurdinnen und Kurden?

Ich hoffe, dass Ihr Parlament diese Fragen im Sinne der Grundrechte und Freiheiten beantwortet und zur Frage der Rechtmäßigkeit der kurdischen Identität in Deutschland eine neue Phase eingeleitet wird. Möge auf diesem Weg zu einer demokratischen und friedlichen Lösung der kurdischen Frage beigetragen werden.


Mit freundlichen Grüßen

Ismail Beşikçi
Soziologe