Die Revolution in Westkurdistan – Teil 8

Die Revolution in Westkurdistan ist zugleich auch eine Revolution der Frau. Denn die Frauen organisieren sich im Zuge dieser Revolution, bauen Frauenzentren in den befreiten Städten auf und spielen eine Vorreiterrolle in den Volksräten, den Bildungseinrichtungen und den Volksverteidigungseinheiten. Die Organisation der kurdischen Frauen heißt „Rojavayê Kurdistanê Yekitiya Star“ – zu Deutsch „Westkurdischer Verband Star“. Star ist in der kurdischen Mythologie der Name der ersten Göttin und bedeutet im heutigen Sprachgebrauch auch Stern. Alle Frauen, die sich in Westkurdistan in sozialen, politischen oder militärischen Bereichen engagieren, sind stets auch Mitglied der Yekitiya Star.

Bildung und Organisierung

In allen befreiten Städten Westkurdistans bauen die Frauen ihre eigenen Bildungseinrichtungen unter dem Namen „Navenda Zanist û Perwerdeyê Jinê“ auf. Diese zentralen Anlaufstellen für Frauen gibt es nun seit rund zwei Monaten. Sie sollen nicht nur in den westkurdischen Städten aufgebaut werden, sondern auch in den arabischen Städten mit hohem kurdischen Anwohneranteil. Die Frauen kommen in diese Zentren, um mit anderen Frauen über ihre familiären und sozialen Probleme zu sprechen und um gemeinsam Lösungen für diese zu finden. Zusätzlich gibt es ein wöchentliches Bildungsangebot für die Frauen. Bei diesen Bildungsveranstaltungen geht es dann um Themen wie den gesellschaftlichen Sexismus, die Geschichte der Frau, die Demokratische Autonomie oder die legitime Selbstverteidigung.
Schauen wir uns das Beispiel Kobanîs an: Dort haben die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums erfolgreich den Aufbau des Frauenrates von Kobanî vorangetrieben, damit alle Frauen die Möglichkeit haben für sich selbst zu entscheiden. Zuvor waren die Frauen ausschließlich in den insgesamt neun Stadtteilräten von Kobanî aktiv. In jedem dieser Räte gibt es eine feste Geschlechterquote; von zwei SprecherInnen des Rates ist eine eine Frau. Nun haben die Frauen neben ihrer Tätigkeit in den gemischten Strukturen auch ihren eigenen Rat aufgebaut und ihre Delegiertinnen gewählt. Insgesamt 135 Frauen bilden gegenwärtig den Frauenrat von Kobanî. Den Anstoß für die Selbstorganisierung in Kobanî und ganz Westkurdistan erklärt die Co-Vorsitzende des Volksrates von Kobanî, Ayşe Efendi, mit folgenden Worten: „Wir haben festgestellt, dass es keinen Sinn macht, im Schatten von gewissen Kräften zu sitzen und von ihnen eine Wohltätigkeit zu erwarten. Das haben wir uns klar gemacht und beschlossen, dass wir jetzt selbst anpacken müssen.“

Die Reporterin der Frauennachrichtenagentur JINHA, Hazal Peker, sprach mit verschiedenen Frauen über die Rolle der Frau in der Revolution von Westkurdistan:

„Wir müssen die alte Mentalität überwinden“

Die Vorsitzende des Volkshauses von Qamişlo, Remziye Muhamed, erklärt , welche Schwierigkeiten es in ihrer Stadt gibt, die Frauen zu organisieren: „Wir wissen als kurdische Frau, dass ohne uns die Revolution nicht erfolgreich verlaufen kann. Die Frau kann nicht nur alleine einen Haushalt führen, sie kann zugleich auch eine Vorreiterrolle in der Organisierung der Bevölkerung spielen. Wenn wir dieses Potential der Frauen nicht umsetzen können, ist das eine große Schwäche unserer Gesellschaft. Wir führen gerade den Kampf diese Tatsache in das Bewusstsein der Menschen hier hineinzutragen. Denn, ob frau will oder nicht, das Regime und die arabische Mentalität haben das Denken unserer Männer über die Jahre sehr stark beeinflusst. Wir müssen nun diese alte Mentalität mit aller Kraft überwinden. Wir werden große Mühen aufbringen, damit die Frauen in dieser Stadt ihre Vorreiterrolle einnehmen können. In den Städten zeigt unsere Arbeit bereits Früchte. Viele Familien motivieren bereits ihre Töchter dazu, sich gesellschaftlich zu engagieren. In den Dörfern ist unsere Arbeit traditionell etwas schwieriger. Aber auch dort scheuen wir keine Arbeit, um unser Ziel zu erreichen. Diese Schwierigkeiten sind nichts außergewöhnliches in einer revolutionären Phase.“

„Es ist die Aufgabe der Frau die Gesellschaft zu demokratisieren“

Gegenwärtig sind zwei der zehn MitgliederInnen des Kurdischen Hohen Rates Frauen. Eine dieser Frauen ist Ilham Ahmet. Sie sagt, dass sie sich über ihre Rolle in diesem Rat nur verhalten freuen kann, weil die Geschlechterquote von 40 % nicht eingehalten werden konnte. Sie bringt mit folgenden Worten ihre Gefühle zum Ausdruck: „Im Kurdischen Hohen Rat habe ich und eine weitere Freundin von Anfang an teilgenommen. Dass auch Frauen in diesem Rat vertreten sind, hat der Bevölkerung Mut und uns gegenüber Vertrauen gegeben. Denn die Aufgabe, diese Gesellschaft zu demokratisieren, fällt vor allem den Frauen zu. Leider sind wir zurzeit nur zwei Frauen in diesem Rat. Wir konnten die Geschlechterquote in diesem Gremium nicht durchsetzen. Es wird zu den Aufgaben unseres Widerstandes als Frauen gehören, dass diese Quote in Zukunft eingehalten wird. Die Frau muss die Stellung erhalten, die ihr gebührt. Denn überall in der Revolution in Westkurdistan spielen die Frauen eine Vorreiterrolle. Schaut euch die verschiedenen Aktionen hier an, die verschiedenen Organisationen. Überall werdet ihr Frauen in den vordersten Reihen finden. Der Großteil der Gesellschaft akzeptiert diese Stellung der Frau bereits. Und diejenigen, die es noch nicht akzeptieren, werden wir auch überzeugen. Wenn die aktiven Frauen die Familien besuchen, werden sie mit großer Freude empfangen. Jede einzelne von ihnen ist für das Volk eine Heldin, eine Revolutionärin.“

Das Volk wird von bewaffneten jungen Frauen geschützt
Auch in den Reihen der Volksverteidigungseinheiten (YPG) sind neben den jungen Männern auch zahlreiche junge Frauen organisiert. Nach einer militärischen Grundausbildung ist ein Teil der jungen Leute für die Sicherheit auf den Zufahrtsstraßen in die Städte verantwortlich. Ein anderer Teil kümmert sich um die Sicherheit und die Ordnung in den Städten selbst. Hazal Peker sprach mit zwei jungen Frauen die sich der YPG angeschlossen haben.

Mizgin Mahmud: „Ich bin als junge Kurdin bereit meiner Verantwortung in der kurdischen Revolution gerecht zu werden. Deswegen hatte ich auch keine Scheu den Dienst für die Sicherheit der Bevölkerung bei der YPG zu beginnen. Ich arbeite sowohl an den Kontrollpunkten vor der Stadt, als auch in der Stadt. Das ist eine Aufgabe, von der ich mit Stolz eines Tages meinen Kindern berichten werde. Wir bauen nämlich für unsere Kinder ein Land auf, in welchem sie sich selbst verwalten, sich selbst verteidigen und in ihrer Muttersprache sich in den Schulen bilden können.“

Newroz Suleyman: „Viele denken, dass die Selbstverteidigung des Volkes eine Aufgabe der Männer sei. Sie liegen falsch, denn auch die Frau kann die Aufgabe der Selbstverteidigung diszipliniert übernehmen. Der beste Beweis hierfür ist das, was heute in Westkurdistan passiert. Wir sind als Kurdinnen und Kurden stolz darauf, dass wir diese Revolution unblutig und unter der Vorreiterrolle der Frau bisher umsetzen konnten.“