Pressemitteilung

Türkei: Jede/r kann der nächste sein - Der Bürgermeister der kurdischen Metropole Van Bekir Kaya wurde verhaftet

Wir sind empört über die Verhaftung des Oberbürgermeisters von Van Bekir Kaya und 13 weiteren PolitikerInnen sowie die Erschießung des 15,jährigen Özgür Tasar mit scharfer Munition durch Polizisten bei einer Beerdigung in Hakkari/Yüksekova.

Der Jugendliche ist das 12 Todesopfer, dass von „Sicherheitskräften“ bei Protesten seit 2010 mit scharfer Munition oder Tränengasgranaten ermordet wurde. Zuvor waren u.a. der Stadtrat von Van Yildirim Ayhan von der kurdischen demokratischen Friedenspartei BDP (im Sommer 2011) und der BDP Stadtteilvorsitzende Haci Zengin (Newroz 2012) mit Tränengasgranaten getötet worden.

Das Sicherheitskräfte in der Türkei offensichtlich systematisch bei Protesten Menschen erschießen, ist nicht hinnehmbar. Für das internationale Schweigen und die Untätigkeit der verantwortlichen PolitikerInnen dazu kann sich jeder Mensch mit einem Gewissen nur schämen.

Bekir Kaya ist seit langem für sein Engagement für Frieden und die demokratische Gestaltung der Türkei bekannt. In der Metropole Van hat der Politiker in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und weiteren BezirksbürgermeisterInnen eine Kommunalpolitik, die an den Interessen der Menschen und den regionalen Begebenheiten orientiert ist, umgesetzt.

Bei den neben Bekir Kaya inhaftierten handelt es sich u.a. um den Bürgermeister von Van Özalp, Murat Durmaz, den Anwalt und BDP Vorsitzenden von Van, Cüneyt Canis, den ehemaligen Bürgermeister von Van Baskale, Ihsan Güler, den ehem. Kreisvorsitzenden von Baskale Derviş Polat, den Bürgermeister von Van Edremit Abdulkerim Sayan, den Kreisvorsitzenden von Caldiran Metin Adugit. Auch die Verhaftung dieser PolitikerInnen kann nur als zynisch bezeichnet werden, da diese sich seit Jahrzehnten für die Menschenrechte und Frieden einsetzen.

Van wurde erst jüngst von einem Erdbeben erschüttert und in großen Teilen zerstört. Die Kommunalverwaltung tat alles Menschenmögliche um die Situation der Erdbebenopfer sowie der BürgerInnen der Stadt lebenswürdig zu gestalten und zu verbessern. Die Regierung Erdogan bremste die Hilfe für Erdbebenopfer, anstatt ihrer Verpflichtung der Unterstützung der Hilfsbedürftigen nachzukommen. Die Kommune Van wurde, da sie von der kurdischen Demokratischen Friedenspartei BDP regiert wird, ohnehin systematisch von der in den Richtlinien der EU festgelegten Förderung der Kommunen ausgegrenzt und gezielt infrastrukturell geschwächt. Nun soll vor den Kommunalwahlen 2013 offensichtlich jegliche politische Arbeitsstruktur zerstört werden, da bei den Parlamentswahlen 2011 selbst trotz massiven staatlich organisierten Wahlbetrugs die BDP Mehrheiten errang.

Die Inhaftierung von Bekir Kaya und weiterer 32 BürgermeisterInnen sowie 6500 Menschen seit 2009 im Rahmen der so genannten KCK Verfahren ist nicht hinnehmbar. Die Regierung Erdogan betreibt eine zynische und menschenverachtende Politik der juristischen Verfolgung Oppositioneller. Anhand konstruierter Vorwürfe und auf Grundlageanebüchener juristischer Konstrukte soll jede nicht opportune politische Kraft ausgeschaltet werden.

Die Bundesregierung verhält sich aus wirtschaftlichen und geostrategischen Gründen unterdessen wie die drei Affen von Gibraltar. Sie stellt sich blind, taub und stumm. Das muss ein Ende haben. Es ist an der Zeit der türkischen Regierung zu verdeutlichen, dass nur ein Dialog zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage Lösung und der Demokratisierung der Türkei international geduldet werden. Die von der AKP betriebene Politik der Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und des Versuchs der juristischen, psychischen und physischen Vernichtung der politisch aktiven KurdInnen und der militärischen Zuspitzung des Konflikts mit der PKK, muss international geächtet werden.

„Auf allen Ebenen verschärft die Regierung Erdogan gegenwärtig ihren repressiven Charakter. So wurden in den letzten Wochen ein de Facto vollständiges Abtreibungsverbot sowie ein Streikverbot für die Beschäftigten der türkischen Luftverkehrsgewerkschaft Hava-İş erlassen. Es ist endlich Zeit, dass die Bundesregierung entschiedene Schritte gegen die zunehmend autokratisch agierende Regierung Erdogan unternimmt. Dazu muss politischer Druck entfaltet werden, der auch die Freilassung der politischen Gefangengen im Rahmen der KCK Verfahren zum Ziel hat.“ erklärt Andrej Hunko.

Die Nürnberger Stadträtin der Linken Liste Marion Padua war im Rahmen der Solidaritätsinitiative „Nürnberg hilft Wan“ im April vor Ort und hat Herrn Kaya kennen gelernt. „Mit großem Engagement hat der Oberbürgermeister für die Linderung der Erdbebenfolgen gearbeitet. Mit der Verhaftung setzt der türkische Staat ein Zeichen, dass die verheerenden Folgen nicht gelindert werden sollen“, so Padua

„Die kurdische Frage kann nur in einem Dialog sämtlicher beteiligter AkteurInnen einschließlich der PKK und Abdullah Öcalan gelöst werden. Eine Demokratisierung des Landes am Bosporus kann nur auf einer friedlichen Grundlage umgesetzt werden. Die Verhaftung des Bürgermeisters von Van Bekir Kaya sowie weiteren PolitikerInnen und erneute Verurteilung Leyla Zanas sind Zeichen dafür, dass die AKP die Türkei eine ähnlich menschenverachtende und aussichtslose Politik betreibt wie die Regierungen in den 1990er Jahren. Das ist nicht hinnehmbar,“ ergänzt Cansu Özdemir Bürgerschaftsabgeordnete der Stadt Hamburg.

Um Voraussetzungen für Fortschritte bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte zu schaffen, müssen zudem die militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der gegenwärtigen türkischen Regierung eingestellt und die Waffenexporte sofort beendet werden.


Andrej Hunko, MdB Die Linke und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
Ingrid Remmers, MdB Die Linke
Harald Weinberg, MdB Die Linke
Cansu Özdemir, Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, Die Linke
Marion Padua, Stadträtin Nürnberg, Linke Liste
Hamide Akbayir, Die Linke NRW
Yilmaz Kaba, Landesvorstand Die Linke Niedersachsen
Michael Knapp, Historiker
Martin Dolzer, Soziologe


Hintergrund

Auch die kurdische Parlamentsabgeordnete und Sacharowpreisträgerin Leyla Zana wurde kürzlich von einem türkischen Gericht erneut zu einer Haftstrafe von 10 Jahren Haft verurteilt. In den 1990er Jahren verbüßte die Politikerin der Friedens und Demokratiepartei BDP gemeinsam mit Hatip Dicle und weiteren PolitikerInnen bereits eine Haftstrafe von mehr als 10 Jahren, wegen Kurdisch Sprechens im Parlament. Als Folge internationalen Drucks wurde Zana nach zehn Jahren Haft entlassen.

Vorgeworfen wird der Politikerin nun in den Jahren 2007 und 2008 bei Meinungsäußerungen Propaganda für eine illegale Organisation gemacht zu haben sowie Straftaten in deren Namen begangen zu haben ohne Mitglied zu sein.

„Mit dem Konstrukt, mit dem Leyla Zana und die mehr als 6500 Inhaftierten im Rahmen der KCK Verfahren kriminalisiert werden, beabsichtigt die AKP Regierung die Ausschaltung der kurdischen Opposition. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und weitere Grundrechte werden seitens der türkischen Regierung und Justiz erneut mit Füßen getreten“, so...........

Noch immer befinden sich auch 6 ParlamentarierInnen der BDP, darunter Hatip Dicle und 33 BürgermeisterInnen, nach den Wahlen zum türkischen Parlament 2011, in Haft. Unter der Weisung der grauen Eminenz der AKP, dem Prediger Fethullah Gülen, orientiert die Regierung auf eine militärische Lösung der kurdischen Frage und die Vernichtung der politisch tätigen KurdInnen. In diesem Zusammenhang wird immer wieder von systematischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung, samt deren Tötung, wie im Dezember 2011 in Roboski/Sirnak berichtet. 34 Menschen starben bei einem bewussten Bombardement der Zivilbevölkerung durch die türkische Armee.

Als Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) vor kurzem im Verlauf eines Parlamentariertreffens sein Befremden über derartige Zustände zum Ausdruck brachte, versuchte der türkische Botschafter ihn zu zensieren. Immer wieder stören Anhänger der Gülen Bewegung auch Informationsveranstaltungen über die Situation in der Türkei oder versuchen gar diese zu verhindern.

All das sind Anzeichen für eine besorgniserregende und nicht hinnehmbare Entwicklung der Politik der türkischen Regierung, die zum Ziel hat die türkische Gesellschaft unter Ausschaltung jeglicher Opposition autokratisch organisiert und feudalistisch orientiert umzugestalten.