Zum Antikriegstag 2011:

Kurdische Frauen wollen keinen Krieg - sondern Demokratische Autonomie und die Anerkennung ihres Status!

Anlässlich des Anti-Kriegstages am 1. September finden in allen Teilen der Welt Proteste gegen
Militarismus, Faschismus, NATO-Kriege und Besatzung statt. Als Kurdisches Frauenbüro für Frieden –
Cenî e.V. beteiligen wir uns an diesen Kundgebungen, die für uns ein Zeichen der internationalen Solidarität
und des gemeinsamen Widerstandes darstellen. Unser Einsatz für Friedens- und Demokratisierungsprozesse
in der Türkei, im Mittleren Osten und in anderen Teilen der Welt bedeutet für uns zugleich, am Aufbau
gesellschaftlicher und politischer Alternativen mitzuwirken und uns entschlossen gegen Sexismus,
Rassismus und jegliche Form von Ausbeutung und Herrschaft zu stellen.
Während wir heute gemeinsam gegen Krieg und Rüstungsexporte – für die Aufklärung und Bestrafung von
Kriegsverbrechen demonstrieren, geht das systematische Morden in vielen Ländern weiter. So auch in
Kurdistan: Seit dem 16. August 2011 bombardiert die türkische Luftwaffe ununterbrochen die
Grenzregionen Südkurdistans (im Nordirak). Durch die Bombardierungen wurden massive Waldbrände
ausgelöst, Viehherden getötet, Ackerflächen, Brücken und Häuser zerstört. Allein bei einem der Luftangriff
auf das Qandil-Gebiet verloren sieben Angehörige einer Familie am 21. August 2011 ihr Leben.
Demgegenüber versucht die türkische Polizei, den Widerstand gegen den Krieg zu ersticken. Die
andauernden Proteste der kurdischen Bevölkerung gegen die Luftangriffe in Südkurdistan und breit
angelegte Militäroperationen in Nordkurdistan/Türkei werden mit brachialer Polizeigewalt und
Massenverhaftungen beantwortet. Ein Vorstandsmitglied der BDP, Yıldırım Ayhan, wurde am 28. August
2011 bei den Protesten in Çukurca von der Polizei erschossen. Tausende von AktivistInnen für Frieden,
Demokratie und Frauenrechte – unter ihnen sechs kurdische Parlamentsabgeordnete – sind in türkischen
Gefängnissen inhaftiert; täglich finden neue Verhaftungen, Angriffe und Massenprozesse statt.
Auf die neuen Angriffe und Bombardierungen der türkischen Armee reagierte als erste die Initiative der
Friedensmütter mit einer entschlossenen und mutigen Aktion: Mütter aus verschiedenen Städten Kurdistans
und der Türkei begaben sich als „lebendige Schutzschilde“ auf den Weg in die Operationsgebiete. Am 21.
August 2011 besetzten sie die Stellungen türkischer Soldaten in der Bergregion von Şırnak, als sich die
Soldaten auf einer Operation im Gelände befanden. Jedoch fanden die Friedensmütter, von denen viele um
das Leben ihrer Kinder bangen, in diesen Nächten keinen Schlaf. Denn unentwegt flogen neue
Kampfbomber über ihre Köpfe hinweg zu neuen Angriffen nach Südkurdistan (Nordirak). Als die Soldaten
von der Operation zurückkehrten und wieder ihre Stellungen beziehen wollten, standen sie den
Friedensmüttern verblüfft gegenüber. Der Anweisung ihres Kommandanten “bereitet die Handgranaten vor!”
folgend warteten sie hinter Barrikaden verschanzt auf den Rückzug der lebendigen Schutzschilder, der
jedoch nicht erfolgte. Während sich die Soldaten zum Abzug in ihre Militärstationen gezwungen sahen,
besetzten die Friedensmütter weitere Stellungen auf den umliegenden Hügeln. Ihre Parolen lauteten “Wir
wollen keinen Krieg!”, “Unterdrückung kann uns nicht einschüchtern!” und “Die PKK ist das Volk und das
Volk ist hier!”
Nicht nur kurdische, sondern auch türkische Mütter, die die gleichen Sorgen und Forderungen teilten,
beteiligen sich an der Aktion und fordern eine sofortige Beendigung der Bombardierungen des Qandil-
Gebietes. Emriye Ektiren, eine 53-jährige türkische Mutter aus Tokat, deren Sohn Guerillakämpfer ist,
erklärte: “Wir haben nichts mehr zu verlieren. Es wird einen Grund haben, dass mein Sohn in die Berge
gegangen ist. Das Blutvergießen muss beendet werden.” In den folgenden Tagen bekamen die
Friedensmütter weitere Unterstützung von tausenden von Menschen aus verschiedenen Regionen Kurdistans,
die sich ebenfalls als lebendige Schutzschilder den türkischen Truppen im Grenzgebiet entgegenstellten.
Verschiedene Frauenorganisationen aus Asien, Europa, Nord- und Südamerika bekundeten ihre Solidarität
mit den Aktionen der Friedensmütter.
Diese internationale Solidarität ist sehr wichtig. Denn hinter den Angriffen auf die kurdische Bevölkerung
steht die Absicht des türkischen Staates und seiner Verbündeten, die kurdische Freiheitsbewegung und die
Hoffnung auf ein Leben jenseits staatlicher und patriarchaler Herrschaft zu zerschlagen. Während die
türkische Regierung den Dialog für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage verweigert, hält die
kurdische Bevölkerung an ihrer Lösung fest: Mit dem Aufbau von demokratisch-ökologischen
Selbstverwaltungsstrukturen und der Demokratischen Autonomie entstand in den kurdischen Gebieten eine
faktische Alternative zu der staatlichen Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik. Diese legitime Lösung soll
nun mit Bomben, Granaten und Bodenoffensiven des iranischen und türkischen Militärs zerschlagen
werden. Es ist kein Zufall, dass die Militäroffensive nur einen Tag nach der Ausrufung der Demokratischen
Autonomie begann, zu der sich 850 Delegierte des Demokratischen Gesellschaftskongresses in der
kurdischen Stadt Amed (Diyarbakir) zusammengefunden hatten.
Demgegenüber treibt die AKP in einer Phase, in der die politische Lösung der kurdischen Frage erstmalig in
greifbare Nähe geraten war, eine Eskalation des Krieges voran. Abdullah Öcalan, dem Millionen von
KurdInnen als ihrem legitimen politischen Repräsentanten ihr Vertrauen aussprechen, bemüht sich seit
Jahren um eine friedliche, demokratische Lösung der kurdischen Frage. Obwohl eine Delegation des
türkischen Staates auf der Gefängnisinsel Imrali mit Abdullah Öcalan den Dialog suchte und im Juli 2011
eine gewisse Übereinstimmung bezüglich der notwendigen Schritte für einen Friedensprozess erzielt werden
konnten, wurden all diese Bemühungen seitens der türkischen Regierung ignoriert und mit neuen antidemokratischen
Angriffen beantwortet. Ein Bestandteil dieser Politik ist, dass seit 5 Wochen die
Anwaltsbesuche unter fadenscheinigen Begründungen durch den Staat behindert werden. Denn mittlerweile
sind sich auch breite Kreise der Öffentlichkeit in der Türkei und des Staates darüber bewusst, dass Abdullah
Öcalan eine Schlüsselrolle für einen Friedensprozess und die Demokratisierung der Türkei spielen kann.
Dies versucht die AKP-Regierung mit allen Mitteln zu verhindern.
Die Erfahrungen aus anderen Konfliktgebieten haben uns gezeigt, dass ein gerechter Friede und Demokratie
nur über einen offenen Dialog aller Parteien möglich ist. Genauso wie mit der Freilassung von Nelson
Mandela das Apartheidregime in Südafrika überwunden werden konnte, sind wir der Meinung, dass mit der
Freilassung von Abdullah Öcalan eine friedliche Lösung der kurdischen Frage und eine nachhaltige
Demokratisierung der Türkei in unmittelbarer Nähe liegt.

Wir fordern:
· Kriege und Rüstungsexporte stoppen! Nein zum Krieg – Frieden jetzt, in Kurdistan und weltweit.
· Sofortige Einstellung aller militärischen Operationen und politischen Repressionen gegen die
kurdische Bevölkerung!
· Schutz der Bevölkerung – insbesondere im Qandil-Gebiet - und die Ermöglichung einer sicheren
Rückkehr der Vertriebenen!
· Sicherstellung der Gesundheitsversorgung, Sicherheit und Bewegungsfreiheit für Abdullah Öcalan
sowie die Aufnahme eines offenen Dialoges für eine friedliche, demokratische Lösung der
kurdischen Frage!
· Offizielle Anerkennung der Demokratischen Autonomie in Kurdistan!
· Anerkennung der Identität sowie politischen, demokratischen Rechte von KurdInnen in Europa!
Düsseldorf, 1. September 2011

Kurdisches Frauenbüro für Frieden – Cenî e.V.