Schlag gegen die Demokratie: Hoher Wahlrat der Türkei erklärt die Wahl des kurdischen Abgeordneten Hatip Dicle für nichtig

Am 12. Juni 2011 fanden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Wieder einmal hat sich bestätigt, dass Wahlen in der Türkei weder frei noch fair ablaufen. Neben der bestehenden 10%-Hürde, welche eine adäquate Repräsentanz der kurdischen Bevölkerung sowie aller Minderheiten im Parlament verhindern soll, kam es auch in diesem Jahr nach Berichten ausländischer und regionaler Wahlbeobachter zu schwerwiegenden Verletzungen des Rechtes auf freie Wahlen: Polizei- und Militärpräsenz in und um die Wahllokale, gefälschte Wahlscheine, mehrfache Stimmabgaben, Festnahmen, verschwundene Wahlurnen, Drohungen gegen Wähler sind nur einige Beispiele hierfür.

All diese Repressionen konnten jedoch nicht verhindern, dass 36 Abgeordnete des Blockes für Frieden, Arbeit und Demokratie – 31 aus Kurdistan und fünf aus den türkischen Metropolen –als unabhängige Kandidaten den Einzug ins türkische Parlament schafften. Erstmalig in der Geschichte der türkischen Republik zog ein aramäischer Christ, Kandidat in der kurdischen Stadt Mêrdin, ins Parlament ein. Auch die ehem. DEP- Abgeordnete und Sacharow-Friedenspreisträgerin Leyla Zana, deren Immunität wegen ihrer Forderung nach einer politischen Lösung der kurdischen Frage aufgehoben wurde und die eine zehn jährige Haftstrafe verbüßte, wurde gewählt. Gewählt wurden auch sechs inhaftierte PolitikerInnen, die aufgrund ihrer Meinungsäußerung seit Monaten bzw. Jahren im Gefängnis sitzen. Einer davon ist der ehem. DEP- Abgeordnete Hatip Dicle, der bereits mehr als 10 Jahre im Gefängnis verbrachte, weil er als Abgeordneter für die Rechte des kurdischen Volkes eintrat.

Seine Wahl wurde nun vom hohen Wahlrat der Türkei (YSK) für nichtig erklärt und damit auch der Wille seiner knapp 80000 Wähler bzw. aller Wähler des Blockes für Frieden, Arbeit und Demokratie. Diese Entscheidung ist entgegen der Erklärung des YSK ein ausschließlich politischer Entschluss, der jeglicher juristischer Grundlage entbehrt und bewusst gefasst wurde. Sie ist als Entscheidung im Hinblick auf die Lösungsart der kurdischen Frage zu werten und zeigt offenkundig, dass die Bemühungen der kurdischen Seite für eine politische Lösung seitens des türkischen Staates keine Beachtung finden. Die parallel hierzu verstärkten Militäroffensiven der türkischen Armee bestätigen dies. Der Entschluss des YSK stellt eine Provokation dar, die das Land in ein leidvolles Chaos stürzen wird, welches sicherlich nicht im Sinne der Völkerverständigung und des Leitbildes einer Demokratischen Republik Türkei steht.

Das kurdische Volk wird sich jedoch von seinem Weg zu einem selbstbestimmten, freien Leben in einer Demokratischen Autonomie nicht abbringen lassen und auch diese Hürden überwinden; so auch die Überzeugung vieler WahlbeobachterInnen aus Europa, die die Parlamentswahlen in der Türkei mitverfolgt haben. Nach Bekanntgabe der Entscheidung des YSK in den Medien, noch bevor die Anwälte von Herrn Dicle oder dieser selbst informiert wurden, gingen zehntausende Menschen in der Türkei und in Kurdistan auf die Straßen; es gab Tote und verletzte.

Wir appellieren daher an die Internationale Staatengemeinschaft und die Öffentlichkeit, umgehend zu intervenieren und die Einhaltung internationalen und türkischen Rechts einzufordern. Für eine politische Lösung der kurdischen Frage und die Gestaltung einer neuen, demokratischen Verfassung ist der Einzug von Hatip Dicle und allen anderen inhaftierten Abgeordneten ins Parlament unerlässlich.

YEK-KOM - Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.

CENI - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.

ISKU - Informationsstelle Kurdistan e.V.

KURD-AKAD - Netzwerk kurdischer AkademikerInnen e.V.

YXK - Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.

Für Fragen und Informationen

E-Mail: k.delegationen@googlemail.com, isku@nadir.org Internet: http://isku.org