Öcalan: Bereitet die demokratische Autonomie-Verfassung vor

Am 12.11. 2010 kam es zu Konsultationen zwischen Abdullah Öcalan und seinen Anwälten. A. Öcalan ist dabei auf eine Reihe aktueller Themen eingegangen. Viel Aufmerksamkeit widmete er der Notwendigkeit der Bildung einer parlamentarischen Untersuchungskommission um die Geschehnisse der letzten 30 Jahre aufarbeiten zu können und zu einem demokratischen und waffenlosen Umgang miteinander zu finden. Weitere Themen waren die Arbeiten zu einer neuen demokratischen Verfasssung und der Aufbau der Selbstverwaltung.

Abdullah Öcalan erklärte: „Der Beschluss zur Fortsetzung der Waffenruhe hat in der europäischen Presse ein positives Echo gefunden. Bedeutet dies, das Europa sich über die Bedeutung des Problems bewusst geworden ist, betrachtet Europa das jetzt liberaler, positiver? Kann das als der Beginn dafür bewertet werden, dass die PKK von der Liste der terroristischen Organisationen strichen wird? Das kann man noch nicht wissen. Die im Europaparlament zum 7. Mal alljährlich stattfindende Kurdistan Konferenz ist in diesem Monat. Von hieraus möchte ich aus Anlaß der Konferenz folgendes erklären: In den letzten einhundertfünfzig Jahren habt ihr mit eurer Politik hier auf diesem Boden das Massaker an 4 Völkern ausgelöst. Die Freiheit der Völker habt ihr einer handvoll ökonomischer Interessen und Profite geopfert, habt sie für den Profit verschachert, habt euch mit dem in der Türkei herrschenden System arrangiert. Diese Politik brachte keine Lösung der Probleme und führte in eine Sackgasse. Daran hat auch Europa seine Verantwortung. Dieser Verantwortung müsst ihr euch stellen. Ansonsten werdet ihr euch der Geschichte gegenüber nicht freisprechen können.

Ich beobachte den KCK-Prozeß in Amed (Diyarbakır) und weis, dass das Problem der Sprache in den Vordergrund gerückt wird, dazu werde ich nichts weiter sagen. Nur stelle ich einen Mangel an Verständnis gegenüber dem System der KCK fest. Ich stelle fest, dass das Element KCK nicht ganz verstanden wird und es seit 5 Jahren falsch gehandhabt wird. Die Situation der Gefangenen gleicht einer Geiselnahme. Sie werden nicht anders als Geiseln behandelt. Seit zwei Jahren werden sie unrechtmäßig und ohne Prozeß im Gefängnis festgehalten. Auch in Silivri ist das nicht anders. Wenn das so weiter geht wie bisher, können diese Art der Prozesse noch 10 Jahre fortdauern. Sie wollen uns zermürben. Die früheren wurden ermordet, die jetzigen zermürbt.

Vedat Aydın ist jedem ein Begriff. Ohnehin waren er und Hatip Dicle nahe Freunde. Vedat haben sie ermordet, Hatip versuchen sie im Gefängnis vermodern zu lassen. Er war zuvor schon 10 Jahre inhaftiert, jetzt wollen sie ihn im Gefängnis vermodern lassen. Hatip Dicle kenne ich. Mit Waffen und so hat der nichts zu tun. Was er getan hat, was er gesagt hat, bewegt sich alles im Rahmen der Meinungsfreiheit. Die Ermordung von Vedat Aydın und das Vermodern lassen von Hatip Dicle sind ein und dasselbe. Es sind verschiedene Formen der gleichen Politik. Dieser Gefahr muss man sich gewahr werden. Ohne diesem gewahr zu werden kann man nicht die richtige Haltung einnehmen. Wie ich aus der Presse ersehe, ist ein Anwalt aufgestanden und hat gesagt: „Hört auf damit so stur zu sein. Es sind Feiertage. Eure Familien warten zu Hause auf euch.“ Es ist eine persönliche Meinung. Das mag sein. Aber die eigene Muttersprache ist deine Ehre. Bei diesem Thema hart zu bleiben gereicht jedem zur Ehre, bewahrt die eigene Existenz, es geht um Sein oder Nicht-Sein, ist existenziell. Wie können da welche auftreten und sagen: Verzichtet. Die Hälfte der Anwälte versteht überhaupt nicht worum es geht. Bemühen sich jeden einzelnen losgekoppelt von allem aus dem Gefängnis zu holen. Und dann mit solchen Mitteln. Nach dem sie das geschafft haben sagen sie sich, wir haben unseren Mandanten retten können und betrachten das auch noch als Erfolg. Das macht sie glücklich. Das ähnelt der bekannten Geschichte von Nasrettin Hoca, dessen Esel verloren ging. Zuerst verlieren sie den Esel von Hoca. Danach finden sie ihn wieder und sagen „Und Hoca, freust Du dich?“ Die Lage der KCK-Gefangenen ähnelt dem. Unrechtmäßig werden sie wie Geiseln festgehalten, danach fordert man ihre Kapitulation. Jene die kapitulieren werden einzeln frei gelassen. Das wird dann auch noch wie ein Entgegenkommen dargestellt und erwartet, dass sie sich freuen und man dankbar ist. Die KCK-Verhaftungen sich nichts Anderes als eine Politik des Zermürbens. Ich habe das zuvor schon als politischen Genozid bezeichnet. Das hat seine historischen Wurzeln.

Meinem Empfinden nach beginnt der politische Genozid an den Kurden am 15. Februar 1925. Warum ich das sage? Obwohl Şeyh Sait am 15. Februar 1925 überhaupt nicht vorbereitet war, war er frühzeitiger als geplant zum Aufstand genötigt worden. Als Şeyh Sait in einem Dorf Nahe des Flusses Dicle war kommt jemand, der gesucht wird, um Schutz bittend ins Dorf'. Ihm werden unbewaffnete Soldaten nachgesandt, die die herausgabe des Mannes fordern. Şeyh Sait ist ein stolzer Mann. Kann jemand wie er, jemanden der bei ihm Schutz sucht, heraus gegeben werden? Er weigert sich. Als er ihn nicht heraus gibt, kommt es zum bewaffneten Gefecht. Dabei kommen Soldaten zu Tode. Auf diese Weise wurde Şeyh Sait von ihnen, obwohl er überhaupt nicht darauf vorbreitet war, zum Aufstand genötigt. Wann beginnt der Aufstand? Am 15. Februar 1925. Auch der Tag meiner Auslieferung durch ein Komplott fällt auf den 15. Februar (1999). Seltsam nicht wahr? Die Verhängung der Todesstrafe über mich fällt auf den 29. Juli, auf den Tag an dem Şeyh Sait hingerichtet wurde. Das alles kann kein Zufall sein. Am 15. Februar 1925 begann die Geschichte des politischen Genozids. Danach wurde er von Amed bis nach Dersim, überall in ganz Kurdistan, umgesetzt und dauert bis heute an. Und unter dem Namen KCK-Prozesss wird aktuell die gleiche Politik des politischen Genozids in Amed fortgesetzt. Was für die Armenier der 24. April 1915 , ist für die Kurden der 15. Februar 1925.

Sehr wichtig, ja das Wichtigste zur demokratischen Lösung des Kurden-Problems, ist die Bildung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission. Der Name ist nicht wichtig, wichtig ist seine Funktion, ist es die Wahrheit herauszufinden, Gerechtigkeit walten zu lassen. In der Türkei gibt es zum Thema Fachleute, Leute mit Erfahrung. Die Kommission sollte gebildet werden aus Fachleuten mit einschlägiger Erfahrung, die aus den einzelnen (gesellschaftlichen) Bereichen stammen, aus dem zivilen oder militärischen, aus dem akademischen Umfeld, Intellektuelle oder eben auch aus dem Volke. Die Zahl muss nicht gering gehalten werden. Es können so um die 30 bis 50 sein. Ohne den Beschluss durch das Parlament ist die Bildung der Kommission aber nicht möglich, schon aus politischen wie rechtlichen Erwägungen. Der Beschluss durch das Parlament ist unverzichtbar. Ähnliche Erfahrungen überall auf der Welt bestätigen das. Südafrika verfügt in der Hinsicht über die meiste Erfahrung. Aber 16 Länder überall auf der Welt haben in ähnlicher Weise, also mit ihm als Methode, ihre Probleme gelöst.

Nicht von der Regierung, nicht vom Nationalen Sicherheitsrat, nicht von der MIT, nicht von den Sicherheitsbehörden, von niemandem kann dieses Problem ganz allein gelöst werden. Ohne den Beschluss durch das Parlament wird es schwer werden. Wichtig ist unter Federführung des Parlaments eine Kommission, in der ein bereitgefächerter Kreis vertreten ist, zu bilden. Warum sage ich parlamentarische Kommission; Wie bearbeitet das Parlament ein Problem? Das geht nicht direkt in die Vollversammlung. Bevor ein Thema vor die Generalversammlung (des Parlaments) kommt, kommt ein Thema erst vor eine Kommission und von dort vor die Generalversammlung. Das wäre auch in diesem Falle so. Hier ist nicht der Name der Kommission wichtig. Wichtig ist, dass die Wahrheit herausgefunden wird. Diese Kommission kann eine Arbeit tätigen die die letzten 30 Jahre beinhaltet. Sie untersucht die Ereignisse der letzten 30 Jahre, klärt sie. Jeder konnte es verfolgten. In den letzten Tagen sind der Bruder von Turgut Özal, der Sohn, die Frau aufgetreten und sagen er, Turgut Özal, sei ermordet worden. Ich war der erste, der das sagte, wie man sich erinnern wird. Es gibt eine solche These. Der Bruder hat recht wenn er sagt: Der Ort das zu klären ist nicht die Staatsanwaltschaft, ist nicht das Gericht, sondern das Parlament, nur eine parlamentarische Untersuchungskommission kann das aufklären. Er hat Recht. Es gibt viele ähnliche Bespiele. Eşref Bitlis, die anderen Kommandanten, die Ermordung der 9 Guerilleros, die Explosion vom Taksim, und weitere. Das kann nur allein durch die Arbeit einer derart gelagerten Kommission geklärt werden. Für die Wahrheitsfindung wird diese Kommission alle Betreffenden anhören, Tansu Çiller, Doğan Güreş, mich. Auch ich werde meine Ansichten darlegen.

Diese Kommission klärt wer die Verantwortlichen der erlebten und bis heute andauernden schmerzlichen Geschehnisse sind, bringt es im Parlament ein und fordert vom Parlament dazu Entscheidungen ein. Für die Bildung der Kommission ist zuvorderst die Entscheidung der Regierung notwendig, danach dann das Übereinkommen der Parteien darüber. Es ist für die AKP nicht notwendig damit bis nach den Wahlen zu warten. Denn diese Kommission handelt im Auftrag des Parlaments. Sie ist nicht begrenzt auf eine Wahlperiode. Sie ist also nicht allein Auftrag des aktuellen Parlaments sondern kann sich auch bis in die nächste Legislaturperiode hinein erstrecken. Damit ist sie unabhängig von Wahlergebnissen. Bei manchen Themen mag die AKP bis nach den Wahlen warten aber nicht in dieser Frage. Denn sie ist unabhängig von den Wahlen. Es sollte bei ihr nicht bis nach den Wahlen gewartet werden. Diese Kommission sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt gebildet werden.

Ich gehe davon aus dass in Bezug auf diese Kommission bei allen Parteien Übereinstimmung herrscht. Die AKP ist dafür, die CHP ist es auch, ich glaube in der Hinsicht hat die CHP auch einen eigenen Vorschlag eingebracht. Jeder sollte sich mit aller Kraft für dass Thema einsetzen. Auch die BDP sollte in ihrem Rahmen das Thema behandeln. Zum frühestmöglichen Zeitpunkt sollte diese Kommission gebildet werden. In der aktuellen Phase arbeitet die AKP zweigleisig. Aber wir werden nicht der Tyrannei der AKP dienen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir werden ihr nicht als Werkzeug dienen. Ich bin ein Anhänger der Republik, der demokratischen Republik. Ich werde weder die 80-jährige Hegemonie der CHP noch die 8-jährige Hegemonie der AKP akzeptieren. Ich bin gegen beide, lehne beide ab.

Ich bin für den Verzicht der Waffen und das aus Prinzip. Aber um auf die Waffen verzichten zu können ist die Aufklärung der Wahrheit und das Erreichen eines Konsenses in der Gesellschaft notwendig. Dafür muss vor allem eine Wahrheitsfindungskommission gebildet werden. Wenn die gebildete Kommission in der Hinsicht einen Beschuss fassen sollte, werden wir uns dem beugen. Wenn die Kommission ihrer Aufgabe gerecht werden sollte, wenn sie in der Hinsicht Fortschritte erzielen sollte, dann können die bewaffneten Kräfte hinter die Grenze zurückgezogen bzw. innerhalb des Landes an einem bestimmten Ort zusammengezogen werden – inklusive des in Kenntnis setzens des Staates, der Regierung. Das können wir bewirken.
Wenn es jedoch nicht zur Bildung der Kommission kommen sollte, wie soll dann das Problem gelöst werden. Wenn es jedoch ungelöst bleiben sollte – so muss ich sagen, ich habe Verantwortung gegenüber dem Volk, gegenüber der Geschichte. Wenn ich das so sage, sollte es sich auch keiner einfach machen und sagen: Öcalan hat uns bedroht. Ich warne nur, weil ich das als meine Verantwortung betrachte und die Folgen absehen kann. Die Gespräche hier auf Imrali mit mir mögen bis zu einer gewissen Ebene gehen, das mag Fortschritte mit sich bringen. Vor 4–5 Jahren, also 2006 haben mich Kreise, dazu gehörten auch die Kurden, zu einem Waffenstillstand genötigt. Sie erklärten, ich müsse unbedingt einen Waffenstillstand eingehen. Man bedrängte mich sehr. Ich lasse mich heute nicht mehr auf solche Spielchen ein. Wenn es zu Fortschritten kommen sollte, werde ich mich einschalten und eine Rolle übernehmen, auch inklusive eines Rückzuges. Jeder sollte sich jedoch über folgendes im Klaren sein; ein Rückzug u.ä. sind existenzielle Fragen. Entscheidungen in existenziellen Fragen werde nur ich treffen und sonst keiner.

Nur manchmal passieren Sachen die mich wirklich verwundern, mich wütend machen. Wie ich aus der Presse erfahre treten manche unverantwortlich auf und sagen: „Die Ära des bewaffneten Kampfes ist vorbei“. Wie kommen sie darauf dass sie das beschließen? Wie kommen sie darauf dass sie das Recht dazu haben? Wenn zu Themen wie der Position der Guerillakräfte und deren Zukunft nicht einmal Kandil Entscheidungen allein trifft, wie kommen sie dann dazu, so etwas zu äußern? Ich sage das ganz offen; nicht einmal Kandil hat in diesen Themen die alleinige Entscheidungsmacht. Nicht einmal Kandil vermag das Problem zu lösen. Wie wollen dann jene das können? Jene, die das erklären, haben nicht einmal Beziehungen zu den bewaffneten Kräften. Wie können sie da in deren Namen sprechen. Jeder sollte sich um das wofür er verantwortlich ist kümmern, sich darüber Gedanken machen und nur dazu sprechen. Es gibt jedoch einige die vernachlässigen ihre eigenen Aufgaben und reden über die Angelegenheiten der bewaffneten Kräfte. Das steht ihnen nicht zu. Warum mischen sie sich in anderer Angelegenheiten anstatt ihre eigenen zu machen? Das verstehe ich wirklich nicht. Bergreifen sie denn überhaupt nichts?

Auch denke ich, jeder gibt sich zwar den Anschein als sei er involviert in die Arbeit, aber es gibt nicht wirklich jemanden der sich Gedanken über die Zukunft der Kurden, über deren Freiheit macht. Das sollte nicht falsch verstanden werden; Tausende, Zehntausende unserer Freunde leisten ihren Beitrag. Aber das ist eben nicht genug. In meinen neuerlichen Verteidigungsschriften habe ich das Thema behandelt. In literarischer Rhetorik erkläre ich, wie ich begonnen habe, wie ich es bis hierher gebracht habe. Die meisten, die den politischen Kampf führen sind zwar rein körperlich gesehen dabei, aber sie machen sich keine Gedanken dazu. Alle stützen sich immer noch auf mich. Erwarten alles von mir. Deshalb raubt es mir hier den Schlaf, zerbreche ich mir den Kopf. Aber während es so viel zu tun gibt was getan werden sollte - und nicht einmal das machen sie anständig- ereifern sie sich über Dinge, die über sie hinaus gehen, Dinge wie die Frage nach den bewaffneten Kräften, die ja selbst die USA und Europa nicht zu lösen vermögen. Wenn es zu lösen wäre, hätten die USA und Europa es gelöst. Aber selbst die haben erkannt, dass das ein Problem ist, das über sie hinausgeht. Seht euch die Erklärung nur an und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als selbst die USA und Europa beginnen in mir den Einzigen zu sehen, der in dem Thema über den notwendigen Einfluss verfügt! Selbst als Çevik Bir hier mit mir sprach sagte er: „Du hast sie in die Berge geführt, Du holst sie da auch wieder herunter.“ Natürlich lag darin auch eine Drohung. Aber wenn dem auch so sein sollte: Wichtig ist die in diesen Worten verborgene Realität zu erfassen. Während der Treffen der letzten Zeit hier haben selbst jene der Delegationen immer erklärt, ich wäre der Einzige der das könne. Die unsrigen begreifen dass nicht, während jeder andere es sieht. Stattdessen treten sie auf und erklären die Ära des bewaffneten Kampfes sei um. Wird die AKP dich denn gewähren lassen? Sie haben Geld, haben Möglichkeiten aller Art, sind stark. Und was hast Du? Sie werden dich vernichten. Was ist los mit euch, dass ihr das nicht seht? Werdet ihr dann noch so ungestört Politik betreiben können wie ihr das jetzt könnt. Wird der Staat euch wirklich gewähren lassen. Im Gegenzug zu was, sagt ihr, sollen denn die Waffen nieder gelegt werden? Das mag sehr banal klingen aber in Amed sind in einer Baustelle von TOKI zwei Kinder ertrunken. Was ist unternommen worden, um diese Tode zu vermeiden. Wenn auch nur zwei Schaufeln Sand in die Grube gekippt worden wären, das Loch geschlossen worden wahre, hätte es diese Tode nicht zu geben brauchen.

Das soll nicht falsch verstanden werden. Ich befasse mich hier nicht mit Personen. Ich hinterfrage das Verständnis das dahinter steht. Versuche das Spiel, das da getrieben wird aufzuzeigen. Sie treiben ein Spiel mit uns. Versuchen den Kurden den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Die meisten sind sich dessen nicht einmal bewusst. Aber es wird ein Spiel mit uns getrieben. Vor der Volksabstimmung hat die AKP lautstark „die NGOs sollten mutig sein und in den Vordergrund treten“ geschrieen. Alles was ich sagen will ist; Erklärungen dieser Art leisten diesem Spiel den Vorstoß. Im Ergebnis ermutigen diese Art von Initiativen nur die AKP im Hinblick auf ihre Politik der Liquidation. Das ist das Problem. Erkennen sie denn nicht, sehen sie denn nicht, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen werden soll? Bemerken sie denn nicht das Risiko das sie eingehen, wenn sie sich auf das Spiel einlassen? Dieses System, so wie es jetzt ist, lässt sie nicht auch nur einen einzigen Tag gewähren. Mit Erklärungen dieser Art gießen sie nur Wasser auf die Mühlen derer die unsere Liquidation betreiben. Die Presse stellt sie bewusst in den Vordergrund. Die türkische Presse hat in der Hinsicht viel Erfahrung. Sofort rücken sie diese Tendenz in den Vordergrund, sagen „seht, diese sind als Ansprechpartner die notwendigen“. Jeder sollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Wie kannst Du zu einem Thema, das nicht einmal Kandil zu lösen vermag sagen, es soll so oder so sein? Bist du ihr Erschaffer? Das gehört sich nicht, ist respektlos. Apo hat ein Gewissen, ist ein Gerechter, ist ein nach der Wahrheit Suchender. Ich weis was mir zu steht, aber hierbei mache ich keine Konsessionen.

Die bewaffneten Kräfte hinter die Grenze zurückzuziehen, darüber ist hier (in Imralı) keine Vereinbahrung getroffen worden. Mag man die Gespräche mit der Delegation zum jetzigen Zeitpunkt nun Dialog nennen oder auch Verhandlungen, das ist letzlich nicht wirklich wichtig und sollte auch nicht überbewertet werden. Seit 11–12 Jahren bemühe ich mich hier nun schon um einen demokratischen und unbewaffneten Weg der Lösung des Problems. Ich habe hier viele Gespräche geführt. Nach all den Gesprächen die bisher geführt worden sind beginnen wir gerade erst einander zu verstehen. Nach 11–12 Jahren beginnen wir gerade erst eine gemeinsame Sprache und einander gegenüber Respekt zu entwickeln. Das zu erreichen war wirklich nicht leicht. Den Delegationen, die unzählige Male zu Gesprächen zu mir kamen, erklärte ich immer wieder eines. Erklärte ihnen: „Sie verstehen nicht einmal, wo die Wurzeln des Problems liegen, deshalb können sie es auch nicht lösen.“ Das Problem ist Ergebnis der englischen Politik. Sie beginnen gerade erst mich zu verstehen und sich darauf einlassen zu können. Das zu erreichen, war natürlich nicht leicht. Deshalb komme ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Akademien für eine demokratische Politik zu sprechen. In wie weit das umgesetzt wird, das weis ich nicht. Aber diese Akademien sind ein absolutes Muss wenn es darum geht die richtige Politik und deren Rhetorik hervorbringen zu wollen. Hier entwickeln wir eine Sprache (im Umgang) mit dem Staat. Auf der Basis gegenseitigen Respekts bringen wir uns Verständnis entgegen. Wenn dem nicht so wäre, würden ungeahnte Massaker die Folge sein.

Zum Thema der demokratischen Autonomie möchte ich folgendes erklären; denn auch hierin gibt es Mängel. Ich beobachte den KCK-Prozeß. Es wird nur auf das Thema Sprache eingegangen. Jedoch ist unser Verständnis von demokratischer Autonomie nicht allein auf die Sprache begrenzt. Unser Verständnis von demokratischer Autonomie ist tiefgründiger. Es fußt auf der Analyse eines demokratischen Weltsystems, der Philosophie einer demokratischen Politik, einem demokratischen Organisierungsmodel. Unser Verständnis von demokratischer Autonomie ist umfassend und Ganzheitlich. Es ist notwendig, sich dem auch Ganzheitlich zu nähern. Es ist ein gesellschaftliches Administrationssystem. Juristen könnten zu dem Thema nützliche Beiträge leisten. Warum tun sie das nicht? Ich verstehe das wirklich nicht? Was hindert sie bloß daran? Hier geht es um die Freiheit eines Volkes, das ist eine ernsthafte Sache.

Zuvor habe ich gesagt; arbeitet zum Thema demokratische Autonomie-Verfassung. Dazu könnten Juristen beitragen. Die Autonomie-Verfassung soll nicht falsch verstanden werden. Es handelt sich nicht um eine separate Verfassung. Es ist ein Teilabschnitt der allgemeinen Landesverfassung. Also nicht autonom von der generellen Verfassung zu sehen. Die demokratische Autonomie habe ich in meinen früheren Verteidigungsschriften behandelt. Ich sprach von ihren sechs Bereichen, die sie umfasst. Diese sind; das Juristische, das Ökonomische, das Politische, das Kulturelle, das Soziale, die Sicherheit bzw. Verteidigung. Diese sechs Bereiche können weiter gestaltet werden. Es können weniger aber auch mehr Bereiche werden, das spielt letztlich keine große Rolle. Die demokratische Autonomie-Verfassung ist auf der Basis der Bereiche zu entwickeln. Über jeden einzelnen Bereich der demokratischen Autonomie ließe sich tagelang, ja monatelang diskutieren. Dazu sollte auch nicht zu wenig Zeit eingeplant werden. Wenn ich hier zum Beispiel die zeitliche Möglichkeit hätte, würde ich allein über den Bereich der Sicherheit zehn Stunden referieren können. Die Arbeit dazu sollte sofort aufgenommen werden, Tag und Nacht sollte ohne Unterlass gearbeitet werden. Im Rahmen dieser Arbeit rufe ich die BDP zu zwei Herangehensweisen auf.
Erstens: Sie sollte in Gleichberechtigung mit der DTK arbeiten, die schwerpunktmäßig in Amed sich mit der demokratischen Autonomie-Verfassung des kurdischen Volkes befasst.
Bei den Arbeiten daran kann sich auf die Verfassung von 1921, vor allem aber auf deren Abschnitte betreffs der Autonomie bezogen werden. Außerdem sind da noch, aus jenen Tagen, die Erklärungen von Mustafa Kemal betreffs der Autonomie und wie ich zuvor schon erwähnte das Gesetz zur Kurdischen Autonomie vom 10. Februar 1922. Das kann untersucht und öffentlich gemacht werden. Wie jeder weis war Fethi Okyar erster Ministerpräsident Mustafa Kemals. Weil er erklärte: „Ich werde meine Hände nicht mit dem Blut der Kurden besudeln“ ist er später politisch ruhig gestellt worden. Er war Ministerpräsident, aber er wurde liquidiert, danach nahm die Geschichte dann ihren Lauf. Das Duo İnönü-Çakmak, unter Hegemonie der Engländer, kam an die Macht. So wurde Mustafa Kemal von ihnen in die Zange genommen und seines Einflusses beraubt. Die Kurden wurden zu Ausgestoßenen. Die späteren Verfassungen sind bekannt.
Zweitens: die BDP sollte, mit Schwerpunkt in Ankara, mit demokratischen Kräften zusammen an der neuen demokratischen Verfassung arbeiten. Dafür sollte dringend eine Konferenz für (die Erarbeitung des Entwurfs) einer demokratischen Verfassung einberufen werden.
“Ich habe es vorher schon einmal vorgeschlagen; die (Stadt)Räte. In allen Provinzhauptstädten, allen voran denen in Kurdistan, sind diese Stadträte zu bilden. Des Weiteren ist ein Regionalrat zu bilden bestehend aus allen außerhalb der Provinzhauptstadt aber zu ihnen gehörenden Landkreisen und Dörfern. Ich führe dafür ein Beispiel an. Für die Provinzhauptstadt Amed (Diyarbakır) wird ein Stadtrat gebildet. Dieser Stadtrat beinhaltet alle NGOs der zentralen (Provinzhaupt)stadt, das Handwerk, den Handel, die Jugend, die Frauen, alle Vertreter der Stadtteile und Vororte. Und dann gibt es da noch jene Landkreise, die zwar zu Amed (Diyarbakır) gehören, aber außerhalb (der Zentralstadt/Provinzhauptstadt) liegen. Aus ihren Vertretern und denen der betreffenden Dörfer ist ein Regionalrat zu bilden. Alle Probleme sollten vor ihm diskutiert werden. Dies sind Arbeiten im Hinblick auf den Aufbau der Selbstverwaltung. Wer auch immer nach mir fragen sollte, wer auch immer Grüße senden mag, entrichte ich meine ganz besonderen Grüße. Ganz spezielle Grüße und alle Liebe entrichte ich nach Dersim.”

Quelle: ANF, 14. November 2010

Fußnoten:
1-Vom 17. bis 18. November tagte die 7. Kurdistan Konferenz im Europa Parlament in Brüssel
2-Gemeint ist das Gebiet des ehemaligen Osmansichen Reiches
3-der kurdischen Muttersprache
4-Silivri ist ein Landkreis von Istanbul. Hier findet seit August 2010 ein Prozess im Rahmen der Ermittlungen gegen ERGENEKON statt. Unter den 153 Angeklagten befinden sich auch Veli Küçük (Brigadegeneral a.D.) und Doğu Perinçek (Generalsekretär der Arbeiter Partei). Beiden wird u.a. vergeworfen Gründer der ERGENEKON geannten Organisation zu sein.
5- V. Aydın war Vorsitzender der HEP in Amed (Diyarbakır), als er am 5. Juni 1991 entführt und zwei Tage später Tod aufgefunden wird
6-In der Türkei dauert das Opferfest vom 16. bis 19. November 2010
7-Am 24. April 1915 wurden 235 armenische Intellektuelle in Konstantinopel (heute Istanbul) verhaftet. Heute gilt die Verhaftungswelle vom 24. April als Auftakt zum Völkermord an den Armeniern.
8-Eşref Bitlis verlor am 07. Februar 1993 bei einem Flugzeugunglück, dessen Ursache bis heute ungeklärt ist, sein Leben. Es heißt er sei gegen die Gründung der JITEM uä. gewesen
9-in Hakkari
10-Tansu Çiller war von 1993 bis 1996 Ministerpräsidentin der Türkei
11-Doğan Güreş war von Dezember 1990 bis August 1994 Generalstabschef der Türkei
12-A.Öcalan sagt das in Richtung Osman Baydemir, aber auch A. Tugluk usw.
13-General a. D. Çevik Bir war im Jahr 1993 Oberkommandierender der Uno-Truppen in Somalia und danach bis 1998 stellvertretender Chef des türkischen Generalstabs
14-Toplu Konut İdaresi (TOKI)
15-für Abdullah Öcalan
16-Fethi Okyar war vom 14. August bis zum 27. Oktober 1923 türkischer Ministerpräsident.
17-Der 19. November ist der Jahrestag der Hinrichtung von Seyit Rıza und 6 weiteren Anführeren des Aufstandes in Dersim im Jahre 1938. Ihrer wurde dieser Tage in diversen Veranstaltungen im In- und Ausland gedacht. Unter anderem findet dazu am 24. November auch eine Konferenz in Berlin statt.

 
ISKU | Informationsstelle Kurdistan