Den Befreiungskampf steigern – die Vergewaltigungskultur überwinden!

Aufruf zum 6. internationalen Zilan-Frauenfestival

Das 5000-jährige patriarchale System befindet sich angesichts der von ihm geschaffenen Probleme in allen gesellschaftlichen Bereichen in einer Krise. Es existiert durch Gewalt und bezieht seine Stärke daraus, dass es alle sozialen Strukturen, die eine Alternative darstellen könnten, besetzt, ausraubt und gefangen hält. Dabei versucht es, alle davon zu überzeugen, dass kein anderes Leben möglich ist. Es arbeitet daran, die Gedanken und alle Schönheiten zu beschlagnahmen. Ziel dieser Vereinnahmungsangriffe sind die Natur, die menschliche Gesellschaft und vor allem die Frauen. Die Vergewaltigungskultur wird uns als Kultur des patriarchalen Systems in jedem Bereich des Lebens aufgedrängt. Mit dieser Kultur wird die geistige und körperliche Besatzung von Frauen vollzogen. Das kapitalistische System geht dabei eher mit subtilen Methoden vor, das feudale System mit brutaler Gewalt. In dieser Vergewaltigungskultur kommen sich der Kapitalismus, der Frauen als Ware vermarktet, und der Feudalismus, der Frauen als Objekte von Sünde und Ehre vom gesellschaftlichen Leben fernhält, nahe. Vergewaltigung ist eine von diesen Systemen bewusst erschaffene und angewandte Methode der Unterdrückung, Einschüchterung und Versklavung. Die bestehenden geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze geben dieser Kultur recht und präsentieren uns diese als einzig möglichen Lebensweg. Diese Gesetze befürworten die Massaker an Frauen in jeder Dimension: Frauen, die im Iran zur Todesstrafe verurteilt werden, die in Afrika an heilbaren Krankheiten sterben, weil sie nicht an die notwendigen Medikamente kommen, deren Arbeits- und Lebenskraft in Indien gnadenlos ausgebeutet wird, deren Sexualität in Europa als vermeintliche Freiheit vermarktet wird, die in der Türkei “im Namen der Ehre” ermordet werden, denen in Kurdistan im Krieg die Kinder genommen werden – kurz gesagt Frauen, die auf der ganzen Welt Schmerz und Gewalt erleiden, sollen zu einem Leben in dieser Vergewaltigungskultur verurteilt sein.

Aber ebenso, wie durch diese Kultur grausame Fakten geschaffen werden, gibt es auch sichtbare Ergebnisse des Kampfes von Frauen unter allen Bedingungen und überall auf der Welt gegen diese Kultur. Um uns mit den Frauen zu treffen, die in der Überzeugung, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Frauen sein wird, ihren Kampf steigern, und um die Vergewaltigungskultur ein weiteres Mal zu demaskieren, haben wir das sechste internationale Zilan-Frauenfestival unter das Motto “Den Befreiungskampf steigern – die Vergewaltigungskultur überwinden!” gestellt. Unser Wunsch ist es, uns als Frauen im 100. Jahr des 8. März im Jahr 2010 mit unseren Gedanken, unserer Arbeit, unseren Stimmen und Farben zu treffen.

Ziel des seit 2004 stattfindenden Frauenfestivals ist es, die Mauern des Krieges, der Gewalt, des Rassismus und Nationalismus, die das patriarchale System und seine Vergewaltigungskultur erschaffen haben, einzureißen und über Kultur und Kunst als Frauenkultur die Schönheit von Frieden, Freiheit und Demokratie in den Vordergrund zu stellen. Das Festival soll ein Ort sein, an dem Frauen ihre Gedanken und Erfahrungen austauschen können. So lautete das Motto des ersten Festivals auch “Treffen von Frauen, die Grenzen überwinden”. Auch bei dem diesjährigen sechsten Festival werden Frauenbewegungen, die für Freiheit kämpfen und auf Frauensolidarität setzen, ihre Botschaften vortragen. In einer Podiumsdiskussion werden Frauen ihre unterschiedlichen Gedanken zusammen bringen. Mit Foto-, Bilder- und Handarbeitsausstellungen werden Frauen ihre künstlerischen Fähigkeiten präsentieren. Im künstlerischen Teil werden Frauen Freiheitslieder in allen Sprachen vortragen.

In jedem Jahr widmen wir das Festival einer oder mehreren Frauen, die im Kampf für Freiheit mit ihren Gedanken, Aktionen und ihrer Arbeit ihren Platz eingenommen haben. Das sechste Zilan-Frauenfestival widmen wir zwei kurdischen Frauen, die ihr Leben in unterschiedlichen Bereichen des kurdischen Frauenbefreiungskampfes gewidmet haben: Evrim Alatas und Sirin Elem Huyi. Sie stehen für alle Frauen, die gegen die patriarchale Ordnung und die Vergewaltigungskultur Widerstand leisten.

Evrim Alatas wurde in Malatya in Nordkurdistan geboren und erlag in diesem Jahr einer Krebserkrankung. Evrim war viele Jahre als Journalistin und Buchautorin tätig. In ihren Schriften sowie in ihrem letzten Werk, dem Szenario für den Spielfilm “Min Dît”, hat sie die Realität kurdischer Frauen sowie ihre Sehnsucht nach Frieden und einem freien Leben zum Ausdruck gebracht.

Sirin Elem Huyi war eine kurdische Politikerin und Widerstandskämpferin, die von der islamischen Republik Iran am 9. Mai 2010 hingerichtet wurde. Konfrontiert mit allen Folter- und Gewaltmethoden des patriarchalen Systems hat sie im Evin-Gefängnis in Teheran den tausendjährigen Widerstand von Frauen würdevoll repräsentiert und ihre Gedanken und Überzeugungen nicht aufgegeben. Sirin Elem Huyi wurde nur 28 Jahre alt; mit ihrem Widerstand ist sie nicht nur für die kurdischen Frauen, sondern für alle Frauen im Mittleren Osten, die als Frauen für Freiheit kämpfen, zum Beispiel geworden.

Als Ceni – Kurdisches Frauenbüro für Frieden rufen wir alle Frauen dazu auf, mit ihren eigenen Überzeugungen, Gedanken, Farben und Worten am Zilan-Frauenfestival teilzunehmen, ihren Befreiungskampf zu steigern und der Vergewaltigungskultur Einhalt zu gebieten.


Veranstaltungsort: Lipperlandhalle, Bunsenstraße 39, 32657 Lemgo Datum: 26. Juni 2010

Kontakt: Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V., Corneliusstr.125, D-40215 Düsseldorf
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