Abdullah Öcalan: Die AKP strebt nur Vernichtung an!

Am 30. April 2010 bewertete der KCK-Vorsitzende Abdullah Öcalan bei einer Konsultation seiner Anwälte die Verfassungsänderungen. Öcalan erklärte, dass die Änderungen nicht zu einer demokratischen Verfassung führen, die AKP die Verfassung vom 12. September [1980; Verfassung des Militärputsches] nicht antaste.

Die Anwälte Öcalans, die am Mittwoch den 28. April 2010 wegen angeblich schlechter Wetterbedingungen nicht zur Insel Imrali fahren konnten, konsultierten ihren Mandanten am 30. April. Laut der in Deutschland erscheinenden Tageszeitung Yeni Özgür Politika sprach Öcalan u.a. seinen Gesundheitszustand an. „Meine alten Beschwerden sind immer noch aktuell. Das neue Gefängnis ist für mich nicht geeignet“, so Öcalan.
Zu den Verfassungsänderungen ergänzte Öcalan seine Gedanken von letzter Woche wie folgt:
„Der Kern der Verfassung vom 12. September wird nicht angetastet. Bekanntlich will man die Verjährung nicht aufheben, die zur Verurteilung der Putschisten vom 12. September führen würde.“

Die Behauptungen, dass die Haltung der BDP der Linie der CHP und MHP diene, beantwortete der KCK-Vorsitzende Abdullah Öcalan mit folgenden Worten:
„Was soll das bedeuten? Ist denn nicht bekannt, dass wir diejenigen sind, die am stärksten gegen die Linie MHP und CHP ankämpfen? Das ist Irrsinn. Hat man etwa einen Dialog mit der MHP und/oder CHP geführt? Solch Einfalt ist nicht möglich. Will man so die Rechte der KurdInnen vertreten? Will man auf diese Weise Politik machen? In der Politik ist eine prinzipielle Haltung sehr wichtig. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist man der verlängerte Arm von irgendjemanden.“

Öcalan hatte in den vergangenen Monaten gesagt, dass für ein richtiges Demokratieverständnis politische Akademien vonnöten seien. In Amed wurden eine politische- und eine Frauenakademie gegründet. Öcalan bewertete dieses Thema wie folgt:
„Meiner Meinung nach kann man in der Türkei immer noch Politik auf der Basis von Demokratie, der Klassenfrage und der Arbeit machen. Aber man hat sich selbst begrenzt. Wenn man sich auf die gesamte Türkei bezogen hätte, dann hätte man sehr leicht 10%, sogar viel mehr, erreicht. Das wurde nicht geschafft. Wieso ist der Prozentwert immer noch bei 5–6%? Das muss ernsthaft diskutiert und ausgewertet werden. Ich habe oft gesagt, dass politische Akademien für demokratische Politik errichtet werden müssen. Noch immer aber wurde dies nicht gemacht.“

Zu dem Angriff auf Ahmet Türk erklärte er erneut:
„Der Angriff auf Ahmet Türk muss gut verstanden werden. Man muss wissen, wer dahinter steht. Die Täter sind organisiert. Mit solchen Angriffen will man ängstigen, unterdrücken und bestimmte Kreise an sich binden.“

Abdullah Öcalan fuhr mit einer umfangreichen Analyse der AKP fort. Zu den Wahlen in der autonomen Region Kurdistan [Südkurdistan] am 25. Juli 2009 wurde die „Partei für eine demokratische Lösung" (Partiya Çareseriya Demokratîk a Kurdistanê - PÇDK) mit der Begründung „Nähe zur PKK“ nicht zugelassen.
Der Bruder des KCK-Vorsitzenden, Osman Öcalan und Nizamettin Tas (Botan) trennten sich 2003 von der PKK. Der KCK-Vorsitzende Abdulllah Öcalan wirft beiden vor, dass sie „gierig nach Frauen“ seien.
In Kurdistan werden viele Staudämme errichtet. Der wichtigste unter ihnen ist der Ilisu-Staudamm, der die antike Stadt Hasankeyf, somit mehrere tausend Jahre Menschengeschichte, unter Wasser setzen soll. Öcalan bewertete auch diese Staudämme. Er erklärte, dass das Ziel der AKP die Vernichtung sei:
„Zwei oligarchische Böcke kämpfen miteinander. Wir stehen auf keiner Seite dieses Kampfes. Manchmal versuche ich die AKP zu entschlüsseln. Sie hat immer noch Seiten, die im Dunklen bleiben. Aber in Folge der Ereignisse kann ich einiges klarer sehen. Die AKP ist mehr ein Block anstelle einer Partei. Sie ist eine Figur und kein Akteur. Es ist klar, dass in ihrer Formation die klassische englische Dominanz zum Tragen kommt. Die USA und Israel sind ebenfalls einflussreich. Auf der einen Seite haben sie die Unterstützung des saudischen Kapitals. Seit Anfang der Geschichte kommen zwei Einflussströme auf die islamische Bewegung [der Türkei] zum Tragen. Auf der einen Seite der genannte saudische und der anderen der des Iran. Der Iran funktioniert eher über die Saadet Partisi [Partei der Glückseeligkeit] und die Hisbollah.
Vor einiger Zeit wurde die Partei für eine demokratische Lösung Kurdistans (PÇDK) nicht zu den Wahlen zugelassen, die Islamistische Partei Kurdistans (PÎK) nahm an den Wahlen teil und hat auch ein paar Sitze erhalten. Ich denke, dass die AKP mit ihnen in Verbindung steht. Eine ähnliche Aufgabe haben in der Türkei die Orden. Sie konnten einige KurdInnen auf ihre Seite ziehen. Die AKP hat ihre eigenen KurdInnen. Dies hat man auch versucht in der PKK zu erreichen. Osman [Öcalan] und Botan [Nizamettin Tas] sagten doch damals ‚Wir sind konservativ demokratische Kurden'.
Das ist dasselbe Spiel. Die AKP versucht sie zu benutzen, um uns zu vernichten. Viel Geld ist geflossen, nach der Parole ‚Wir erfüllen Euch als Gegenleistung jeden Wunsch. Macht weiter, wir öffnen euch das Tor nach Silopi’. [PUK Führer Celal] Talabanî sollte auch ein Akteur dieser Vernichtung werden. Solche Bestrebungen dauern weiter an, aber ich glaube nicht, dass unser Volk aus dem Süden dies unterstützen wird. Mein Schlussfolgerung, die ich nach der achtjährigen AKP Praxis ziehe, ist folgende: Die AKP will die politisch-kurdische Bewegung vernichten, zweifellos. Ayse Hür [Kolummnistin der türkischen Tageszeitung „Taraf"] hat vor zwei Tagen eine ähnliche Bewertung gemacht. Sie sagte ‚Anfangs erweckte die AKP den Anschein, als wolle sie das Problem lösen, aber momentan will sie die Bewegung vernichten, die KurdInnen an sich binden und ihre eigenen KurdInnen erschaffen'. Ja, diese Feststellung ist richtig. Die AKP versucht diese Vernichtung in allen Dimensionen, auf politischer, sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Ebene, zu erreichen. In den letzten Jahren wurden beispielsweise 1.500 BDP-VertreterInnen verhaftet. Darunter waren auch Frauen und Kinder. Wie soll man Politik machen, wenn so viele Menschen im Gefängnis sind? Die 10%-Hürde hat auch nur ein einziges Ziel, nämlich der BDP den Zutritt in das Parlament zu versperren. Das Gesetz bezüglich der Staatskasse wird alleine aus dem Grunde nicht geändert, weil sonst die BDP davon profitieren könnte. Zudem werden in der Region Staudämme geplant bzw. gebaut. In Sirnex sollen zwölf Staudämme errichtet werden. Der Ilisu-Staudamm ist bekannt. Das Ziel dieser Projekte ist nicht ökonomisch. Der Ilisu-Staudamm soll 190 Dörfer überfluten. Wieso wird das gemacht? Das hat eine militärische als auch kulturelle Dimension. Die Geschichte soll vernichtet werden. Eine soziale Dimension ist auch vorhanden: Die Gebiete sollen unbewohnt bleiben. Nun, ich frage: Soll das Volk auf den Bergen leben?
Unter diesen Umständen kann die AKP nicht unterstützt werden. Die AKP ist nicht aufrichtig. Eine Partei, die in neun Tagen eine Reihe von Artikeln der Verfassung ändern kann, kann ohne Probleme ein paar gesetzliche Änderungen durchführen.
Eine Unterstützung der AKP, trotz alledem, wäre reine Selbstverleugnung. Selbstverleugnung ist moralisch nicht vertretbar. Dies könnte man dem Volk auch nicht erklären. Das wäre ein Prozess, der nicht mehr rückgängig zu machen wäre.
1999 wollte ich eine neue Phase ausrufen. Ecevit war aufrichtig, aber er wurde eliminiert. Ich habe der AKP verschiedene Chancen gegeben, aber dabei kam kein handfestes Ergebnis heraus. Letzten Endes sind wir zu der Situation gekommen, die wir heute haben. Die Roadmap wird nicht ausgehändigt, ich wurde in dieses Loch gesteckt, die DTP wurde verboten, Operationen werden fortgeführt und tausende FreundInnen sind in den Gefängnissen. Ich möchte fragen: Sind all diese Ereignisse während der Zeit von Ergenekon, welche angeblich die AKP vernichten soll, passiert? Nein. Beide streben die Vernichtung an, aber die AKP ist gefährlicher. Die AKP kämpft heute gegen den Block, der [Bedrettin] Dalan [türkischer Politiker] zum Premierminister machen wollte. Das meine ich, wenn ich sage, zwei Blocks kämpfen miteinander. Dalan ist nun in Europa. Diese Seite stützt sich ebenfalls auf die USA aber die USA unterstützen im Moment die AKP. Die USA halten die Fäden in der Hand. Beide Blocks, beide Hegemonialmächte, kämpfen gegeneinander, aber bei dem Ziel ‚Vernichtung der Kurdinnen' sind sie sich einig. Die USA unterstützen momentan die AKP, aber das muss nicht so bleiben. Das ist gemeint, wenn ich sage, es ist nicht klar, was mit der AKP ist".

Weiter rief Öcalan zur Eigeninitiative auf. Er stellte nochmals klar, dass er keinen Einfluss auf die Situation habe und warnte vor einem Krieg mittlerer Intensität:
„Ich möchte nochmals an alle Kreise appellieren. Die Lösung des Problems wurde auf meine Schultern geladen. Ich habe alles Nötige gesagt, meine Umstände sind bekannt, was kann von mir noch erwartet werden? Jeder muss seine eigenen Entscheidungen treffen und voranbringen. Die anstehenden Wochen sind kritisch. Ich habe in den letzten Wochen das Ende der dritten Phase erklärt. Ich rufe den Staat zur Ernsthaftigkeit auf. Ich appelliere auch an den Herrn Premierminister: Ich weiß nicht, ob seine Kraft nicht ausreicht oder es etwas anderes ist. Wenn die demokratische Politik nicht gedeihen kann, dann wird jeder verlieren. Ich sage dies jetzt, es soll später nicht heißen, dass Apo nicht gewarnt habe. Man spricht von einem Krieg mittlerer Intensität, falls die Lösung nicht kommen sollte. Dann könnten tausende Menschen verhaftet werden. Das Volk muss auch jetzt schon ihre Maßnahmen treffen. Ich zeige die nahenden Gefahren auf. Ich gebe keine Anweisungen, kann das auch nicht tun. Ich finde das auch ethisch nicht korrekt. Ich habe viel für die demokratische Lösung und den Frieden gearbeitet. Im Moment aber sind wir an einem ganz anderen Punkt. Ich kann in meiner jetzigen Lage lediglich meine Ansichten im Rahmen der demokratischen Politik für die Lösung und den Dialog darlegen. Alles andere wäre unter diesen Umständen nicht richtig. Jeder sollte seine Entscheidungen selbst treffen".

Quelle: YÖP, 03.05.10, ISKU