Bericht der Berlin/Hamburg Newrozdelegation

21. März, Colemerg, Hakkari

In Hakkari feierte die kurdische Bevölkerung am 21.März ein kraftvolles Newrozfest, an dem ca. 150000 Menschen teilnahmen. Am Morgen ging bereits eine dynamische und kraftvolle Demonstration von mehreren tausend Menschen durch die Innenstadt zum Platz auf dem Newroz gefeiert wurde.
Das diesjährige Newroz stand unter dem Motto: „Entweder Demokratischer Frieden oder aufrechter Widerstand.“ In Redebeiträgen sprachen sich Vertreter der Demokratischen Friedenspartei/BDP u.a. der Bürgermeister der Stadt, Fadil Bedirhanoglu, VerteterInnen von Gewerkschaften, Ismail Akbulut vom IHD und VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen dafür aus, dass das Fest ein Auftakt für eine von der kurdischen Bevölkerung seit langem angestrebte friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts sein solle. Ein in vielen Beiträgen geäußerter Kritikpunkt war die seit April 2004 anhaltende Repressionswelle gegen Politiker aus den Reihen der seit Oktober 2009 verbotenen Demokratischen Gesellschaftspartei (DTP) und der Nachfolgepartei BDP, in deren Verlauf mehr als 3000 PolitikerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen festgenommen und 1500 Menschen inhaftiert wurden.
Für eine mögliche positive Entwicklung der Türkei forderten die RednerInnen, dass die AKP Regierung ernsthafte Schritte für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts und Demokratisierungen in der Türkei unternimmt. Im Rahmen einer hauptsächlich auf internationale Anerkennung ausgerichteten Politik gewährt sie den KurdInnen bislang nur minimale Zugeständnisse, während die Militäroperationen gegen die PKK ausgeweitet werden. In den letzten Wochen begannen Vorbereitungen für eine erneute Frühjahrsoffensive gestartet (siehe vorheriger Bericht). Grundlegende Menschenrechte werden weiterhin. In diesem Zusammenhang wurde thematisiert, dass in den letzten 3 Jahren die dokumentierten Fälle von Folter, extralegalen Hinrichtungen, sowie brutalen Übergriffen durch Sicherheitskräfte, besonders gegen Kinder und Frauen, in den kurdischen Provinzen der Türkei massiv zugenommen haben.
Überall brachten die TeilnehmerInnen ihre Unterstützung für Abdullah Öcalan und die PKK auf Transparenten und mit Slogans zum Ausdruck. Über die anhaltende Starrköpfigkeit der Regierung bezüglich der Rechte der KurdInnen und einer legitimen Vertretung der kurdischen Interessen herrscht im Allgemeinen Unverständnis, Trauer und Wut. Es wurde gefordert, dass die türkische Regierung Abdullah Öcalan als Gesprächspartner in einem möglichen Friedensprozess anerkennen und auch die PKK in einen Dialog einbeziehen solle. Große Kritik übten Redner an der Verhaftungswelle gegen kurdische PolitikerInnen und Razzien in Kulturvereinen in Belgien, Frankreich und Italien, sowie dem Fernsehsender Roj TV.
Als Möglichkeit einer Verbesserung der festgefahrenen Situation wurde von einigen Rednern auch die Debatte um die Änderung der türkischen Verfassung gesehen. Der Parlaments-abgeordnete der BDP, Hamit Geylani, forderte: „In der neuen Verfassung, dürfen keine rassistischen Regulierungen verwendet werden. Die Zehnprozenthürde, die jegliche parlamentarische Beteiligung der Kurden verhindern soll, muss abgeändert werden.“
In der gesamten Stadt Hakkari waren an „neuralgischen Punkten“ Sondereinheiten der Polizei postiert. Es gab einen dokumentierten Zwischenfall, an einem der Einlasskontrollpunkte, versuchten Polizisten unter Anwendung von Gewalt einem Jungen einen aufgemalten Apo Schriftzug aus dem Gesicht zu wischen. Dieser konnte nach einem Gerangel, bei dem die Polizisten mehrere Kinder und Jugendliche schubsten und schlugen, seinen Weg fortsetzen. Ansonsten kam es zu keinen Zwischenfällen. Aus Erfahrungen der letzten Jahre ist allerdings zu befürchten, dass die Repressionsmaßnahmen nach der Auswertung des in großem Umfang angefertigten Filmmaterials der Polizisten in Zivil und Uniform und dem Abzug der internationalen Öffentlichkeit beginnen.
Vom 17. bis zum 21. März feierten u.a in Amed/Diyarbakir über eine Million, in Istanbul 500.000 Menschen Newroz als Frühjahrs und Widerstandsfest für die Überwindung von Unterdrückung und Tyrannei. Vor zwei Jahren starben während der Feierlichkeiten in der Türkei mehrere Menschen bei Übergriffen von Sicherheitskräften. In diesem Jahr verliefen die Feierlichkeiten selbst weitgehend ohne Schwierigkeiten. Im Vorfeld wurden in der Provinzhauptstadt Şirnak allerdings 14 Personen, mit der Begründung in Vorbeugehaft genommen, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass von Ihnen Straftaten während des Newrozfestes begangen werden könnten. In mehreren Gesprächen haben wir erfahren, dass sich die Repressionsstrategie in den letzten 2 Jahren geändert hat. Festnahmen und Folter werden eher im Nachfeld von Veranstaltungen nach der Auswertung von Videomaterial durchgeführt, wenn die Betroffenen vereinzelt angetroffen werden.
In Syrien starben bei einem Angriff von Militär und Polizei auf das Newrozfest in der Stadt Rakka 3 Menschen, 50 wurden verletzt. Die Veranstalter berichten, dass Krankenhäuser bereits einen Tag vor dem Übergriff, auf eine größere Zahl von verletzten vorbereitet wurden. U.a. deshalb ist von einem geplanten Massaker auszugehen.

Der Redebeitrag unserer Delegation in Hakkari:
„ Wir wissen um die jahrzehntelangen Friedensbemühungen der kurdischen Bewegung. Der türkische Staat setzt auf Repression, Verbote und Verhaftungen. Wir alle wissen wer die AnsprechpartnerInnen auf kurdischer Seite sind. Doch wer im türkischen Staat ist zu einer offen diskutierten Lösung bereit?
Wir fordern, dass direkte Gespräche mit den VertreterInnen des kurdischen Volkes stattfinden sollen. Wir fordern: Schluss mit der Repression!
Wir freuen uns ein kraftvolles Newrozfest mit Euch feiern zu können.
Hoch die internationale Solidarität!
Biji Asiti! Newroz Piroz be!“