Öcalan: Die Frau muss sich sehr gut verteidigen!

KCK-Vorsitzender Abdullah Öcalan traf sich am 24.02.2010 mit seinen Anwälten.

„Es ist nicht leicht, etwas verändern zu wollen. Es bringt viele Schwierigkeiten mit sich. Das Leben hat sowieso seine eigenen Schwierigkeiten. Ich höre, dass eine erschreckend hohe Arbeitslosigkeit existiert. Jugendliche, die die Universität abgeschlossen haben, vergeuden ihr Leben in Cafés. Sie wissen nicht was sie tun sollen. So ist der Kapitalismus, er verbraucht den Menschen. Man sollte sich im Kapitalismus nicht verirren. Die Wahrheit im kapitalistischen System zu finden bzw. die Wahrheit im System richtig einzuschätzen ist sehr schwer; das System führt den Menschen in die Irre. Ein in die Irre geführtes Individuum ist dann nicht mehr produktiv. Meiner Meinung nach hat Altern mit dem Kopf zu tun. Der Geist des Menschen muss stark sein. Wenn der Geist stark bleibt, bleibt er auch im Körper. Das sind Dinge, die miteinander verbunden sind. Wenn der Geist nicht stark ist, also das System nicht gut entschlüsselt wurde, dann altert der Körper auch schneller.“

Im weiteren Verlauf der Konsultation mit seinen Anwälten sagte Öcalan, dass die nationalistische und islamische Entwicklung unter Kontrolle der USA ist. Nach Öcalans Ansichten wird am Ende des laufenden Prozesses die Demokratie liegen. Öcalan ist der Meinung, dass viele Spiele auf dem Rücken der kurdischen Freiheitsbewegung abliefen, die aber kein Ergebnis gebracht haben. Er erklärte auch seine Gedanken zu den aktuellen Verhaftungen aus Militärkreisen, die unter dem Begriff Balyoz [dt: Vorschlaghammer] geführt werden: „Dass was zurzeit passiert, geschieht unter der Kontrolle der USA. Das Balyoz-Szenario ist bekannt. Diese sind ja völlig wahnsinnig. Man spricht von Angriffen auf Moscheen. Der reinste Wahnsinn. Die komplette Vernichtung der Kurden war auch geplant. Der Gedanke war, die Kurden ebenso wie die Griechen zu verbannen. Im Plan stand ‚viele Menschen zu töten, viele Menschen zu verbannen’. Das ist schrecklich. Diese dachten, dass die NATO ein Teil ihres Plans sein wird. So viel Massaker würde nicht einmal die NATO unterstützen. Sie sind aber schon mitten in der Sache und wissen nicht, wie sie rauskommen können. Die USA wird das auch nicht akzeptieren. Mein Gedanke, eine Neubewertung des Kemalismus, erweist sich hier als richtig. Ich sagte, dass die Türkei im jetzigen Zustand nicht mehr weiterkommen kann. Diese Aussagen sind jetzt verständlicher.
Dieses Balyoz-Szenario ist etwas anders als die Ergenekon-Sache. Die USA hat Druck auf den Premierminister ausgeübt, da sie gesehen haben, dass die Sache so nicht mehr weiter gehen kann. [Generalstabschef İlker] Başbuğ wurde bestimmt darauf hin aufgewiesen, das zu erledigen. Auf der einen Seite sind die CHP, MHP und die Kemalisten im Militär, mit einem anderen Namen: die Überreste der Ittihat und Terraki. Diese sind nationalistische Kreise, die für einen Genozid sind. Auf der anderen Seite die konservativen Kreise, zu dem auch die AKP zählt. Der dritte Weg ist der, den wir und die Demokraten vertreten, die demokratische Linie.
Die momentane Situation der Türkei ist ein völliges Chaos. Auf der einen Seite diese zähen, nationalistischen Kreise, dessen Kräfte nicht gering sind. Bedrettin Dalan [türkischer Ingenieur, Politiker und Istanbul-Bürgermeister zwischen 1984-89 für die ANAVATAN PARTİSİ - Mutterlandspartei]; diese Kreise arbeiten auch und bekommen Unterstützung von rechten Kreisen aus Israel. Die Kreise um [Benjamin] Netanjahu [israelischer Politiker des konservativen Likud-Blocks] unterstützen die AKP. Auf der anderen Seite die AKP und [der] Fethullah [Gülen-Orden]. Eigentlich ist das auch nicht ganz Fethullah. Es gibt so einige Orden, die organisiert sind.
Dann gibt es auf der anderen Seite noch die kurdische Bewegung. Auf dem Rücken der kurdischen Freiheitsbewegung wurden viele Spiele gespielt bzw. es wurde versucht, sie zu vernichten. Doch, was passierte? Die PKK und das Volk leisteten Widerstand und auf der demokratischen Basis wurden wir stärker. Ich habe mit großer Geduld auch Widerstand geleistet. Das Resultat ist, dass das Spiel nicht aufging. Die Kurden können nicht mehr vernichtet werden. Die Tatsache, dass die kurdische Bewegung nicht vernichtet werden kann, ist ebenso bekannt. Das wurde gesehen. Aber es ist nicht gewiss, wie mit dieser Tatsache umgegangen werden kann. Beide Seiten sind unter Kontrolle der USA. Alles was passiert, passiert unter der Kontrolle der USA. Die MHP und die laizistischen Kreise in der Türkei sind nicht schwach, die AKP ist auch stark – wie wird dieser Prozess mit den bekannten Fakten beendet? Meiner Meinung nach wird es am Ende eine Übereinstimmung in der Demokratie geben. Die Türkei wird sich verändern. In einer veränderten Türkei werden die Kurden als demokratische Kraft auch anerkannt. Ich habe in meiner Roadmap geschrieben, dass die demokratische Autonomie eine geeignete Formel der Lösung für die Kurden ist.“

Öcalan erwähnte, dass die türkische Republik die islamische, kommunistische und kurdische Linie schon immer vernichten wollte. Er erklärte, dass drei Wege in der kurdischen Frage vorhanden sind:
„Die Republik wollte eigentlich die drei Richtungen schon immer vernichten: Die islamische Linie unter dem Stichwort ‚Reaktion’, die linken-kommunistischen Kreise unter ‚die Zerstörerischen’ und die Kurden als ‚Separatisten’. Aber, was ist passiert? Unter Erbakan geschah eine gewisse Vernichtung, doch die AKP hat sich gestärkt bzw. geschützt, indem sie mit den USA in Verbindung traten. Die Linken wurden in einem wichtigen Maße geschwächt aber sie haben immer noch viele Gruppen und Parteien. Das kurdische Volk wurde nicht vernichtet. Es hat sich auch bewiesen, dass sich das kurdische Volk niemals vernichten lässt. Aus diesen Gründen muss die Republik diese Fakten anerkennen. Wird die AKP mit den Kurden an einen Tisch sitzen und dieses Problem auf demokratischer Weise lösen? In der AKP ist alles von Erdoğans Haltung abhängig. Die AKP verhält sich nicht demokratisch. Die AKP versucht, mit ihren kurdischen Mitgliedern etwas zu entwickeln. Das bringt aber keine Lösung. Es ist jedoch wichtig, welche Haltung gegenüber den Kurden eingenommen wird.
Es gibt drei Wege in der kurdischen Frage. Der erste ist der, der seit den 80/90 Jahren andauernde Verleugnungs- und Vernichtungspolitik. Der zweite Weg ist, ein kleines Kurdistan gründen und alle Kurden an dieses zu binden. Das bedeutet, ein kleines Kurdistan zu gründen und die Kurden mit einem Groß-Kurdistan-Traum weitere hundert Jahre aufzuhalten. So wie das Megalo Idea der Griechen. Ein kleines Griechenland gründen, das Megalo Idea am Leben halten! Das nächste Beispiel dazu ist, die Armenier aufzuhalten, indem ein kleines Armenien gegründet wurde und die Hoffnungen auf ein großes Armenien leben. In unserem Gebiet soll das kleine Kurdistan gegründet werden, um so die Kontrolle [über die Kurden] zu haben. Es ist lebenswichtig, dies zu erkennen. Ich sage das seit zehn Jahren. Jenen, die von der PKK abgehauen sind, hat man jede mögliche Unterstützung gegeben. Vielen Menschen gründeten dort Firmen, um das lokale Volk an sich zu binden. So wie in der Vergangenheit über die idealistischen Vereine [Vereine der MHP] die Linke pazifisiert wurde, soll unsere Bewegung mittels der Orden pazifisiert werden. Sie haben auch sehr große finanzielle Möglichkeiten. Diese nutzen sie dann auch. Einige Familien können sie dann so an sich binden. Osman [Öcalan] sagte, dass ihm nur der Weg geebnet werden müsse, um die konservativen Kurden zu organisieren. Solche Spiele werden viele gespielt, aber keins von denen hat ein Ergebnis gebracht. Der dritte Weg ist die demokratische Lösung, für die wir uns einsetzen. Wir sagen demokratische Republik, Heimatland und Gesellschaft.
Jene, die Politik in diesem Chaos machen können, können auch große Ergebnisse erzielen. Erdoğan macht viel Trubel. Bahceli und Baykal sorgen jeden Tag für Aufruhr. Warum? Aus dem Grunde, weil die jetzige Politik dies erfordert. Das wissen sie. Unsere Politiker müssen jeden Tag große Politik machen. Die, die sich in diesem Chaos gut organisieren und richtige Politik machen, werden gewinnen. Ich habe so oft gesagt, dass Akademien gegründet werden sollen. Jetzt ist das Bedürfnis nach Akademien spürbar. Wenn die erlebten Dinge und der Prozess richtig aufgefasst werden, dann können die Festnahmen [der Kurdinnen und Kurden] auch außer Gefecht gesetzt werden. Sie müssten ihre eigenen regionalen Protagonisten erschaffen können. Die Festnahmen sind eine Taktik des Staates. Wenn ich sage, macht Politik, dann möchte ich keinen in den illegalen Bereich schieben. Auf demokratischer Ebene gibt es sehr viel Arbeit die gemacht werden muss, dies meine ich. Aber das wird nicht richtig verstanden. Es wird schwerfällig gearbeitet. Es gibt keine regionalen Wegbereiter und auf theoretischer Ebene sind sie sehr dogmatisch.“

Abdullah Öcalan erklärte seine Ansichten über die Linke und fügte seinen Aussagen von letzter Woche hinzu: „Ich rede seit zehn Jahren, sehe aber keine Praxis. Das ist die traditionelle Situation der Linken. Sie haben einige Sachen auswendig gelernt und wiederholen diese ständig. Ich nenne dies „Auswendig lernen“ und „Dogmatismus“. Das wichtigste ist, praktische Arbeit zu leisten. Ich sagte, lasst uns die Türkei von den Hegemonien befreien. Als Gegenprojekt und Ausweg haben wir einen dritten Weg vorgeschlagen und aufgezeigt. Das ist die Einheitslinie der Demokraten. Es ist eine große Masse an Menschen vorhanden, was kann ich sonst noch tun?! Egal ob in der BDP oder nicht – wichtig ist der gemeinsame Widerstand.
Letztens habe ich den Artikel von Avni Özgürel in der [Zeitschrift] Aktüel gelesen. Özgürel sagt, dass die Kurden, die PKK und Öcalan verschiedene, aber in einander greifende Themen sind. Er schrieb weiter, dass diese Drei wahrgenommen werden müssen für eine Lösung. Er hat eine gute Feststellung gemacht. Seine Worte sind richtig. Er schrieb noch, dass jeder Weg der Öcalan ausschließen will, Öcalan stärkt. Das stimmt auch. Ich flehe den Staat oder jemand anderen nicht an. Ich hatte in meiner Roadmap geschrieben, dass ich meine Rolle übernehmen möchte, solange meine Gesundheit dies erlaubt.
In Semsûr hat ein Abiturient aus Meletî/Yazihan sich selbst verbrannt. Ich wünsche der Familie mein herzlichstes Beileid. Eine Sprache, eine Region, eine Kultur sind Körper. Achtet auf eure Körper! Die Sprache alleine hat keinen Sinn oder Wert. Die genannten Sachen sind ein Ganzes. Dieses Ganze macht in einer demokratischen Gesellschaft einen Sinn. Ohne Körper bringt ein Kopf auch nichts. Das sollte das Arbeitsgebiet der DTK [Demokratischer Gesellschaftskongress] sein; Sprache, Kultur, Kunst, Sport – sie sollten in jedem Gebiet arbeiten.“

Öcalan erklärte zuletzt seine Gedanken zum kommenden Weltfrauentag am 8. März über die Frau:
„In der Mann-Frau-Beziehung ist die Frage, ob der Mann sich der Frau überlässt oder anders herum. Die Beziehung zwischen Mann und Frau sollte gut entschlüsselt werden. Es ist wichtig, auf welcher Weise man mit einer Frau in Kontakt tritt. Ich überlege trotz meines Alters, auf welcher Weise ich mit einer Frau in Kontakt treten soll und worüber wir reden sollten. Slavoj Žižek [aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und nicht praktizierender Psychoanalytiker] sagt, dass ihn eine Diskussion mit einer intelligenteren Frau über Philosophie am meisten begeistert. Mit der Frau sollte auf einer gewissen Basis ein Dialog bzw. eine Beziehung aufgebaut werden. Eine richtige Handhabung, also bei dem Thema der Beziehung zwischen Mann und Frau, sage ich ‚die Entstehung der Schöpfung’. Ich betrachte die Beziehung Mann-Frau in diesem Rahmen. Wenn diese Art von Beziehung auf dieser Freiheitsbasis geschieht, dann kann das Nirwana erreicht werden. Ich gehe Frauen mit Respekt an. Die Frauen haben wohl einige Arten an mir entdeckt, wenn sie mir in diesem Sinne folgen. Die Frau muss ihre Freiheit verteidigen. Ich lege Wert darauf. Die Frau muss jede Art von Freiheit entwickeln können. Sie kann sich auf dieses Thema spezialisieren. Ich möchte dafür ein Beispiel geben: 415 vor Chr. wird eine Frau namens Hypatia aus Alexandria von den ersten Christen wegen ihrer Gedanken zum Tode verurteilt. Man sagt der Frau, dass sie gegen die Gesetze verstoßen hat. Gegen die Gewalt antwortet die Frau philosophisch. Je mehr sie angegriffen wird, verteidigt sie sich mit der Philosophie. Sie sagt zu den Jugendlichen ‚Ihr wollt mich ausnutzen, geht mich sexuell an. Das kann ich nicht akzeptieren.’ Später wird die Frau gesteinigt und getötet. Die Frau muss ihre Freiheit auf diese Weise beschützen.
In Semsûr wurde ein Mädchen lebendig begraben – lebendig! Die Erde ist ihr, als sie begraben wurde, in ihren Hals und die inneren Organe getreten, als sie noch lebendig war. Eigentlich wurden die Frau und die ganze Menschheit begraben. Religiöses Dogma war damals wie heute sehr gefährlich. Das Gedenken und das Leben dieses Mädchens kann in einem Roman wiedergegeben werden. Die Freunde aus der Semsûr-Haftanstalt können das machen.
Ich grüße das Volk aus Qers und alle Freunde in den Haftanstalten."

Quelle: ANF, 26.02.2010