Von Kandil nach Oslo
von Reimar Heider

Während die Türkei die Kriegstrommeln rührt, haben die PKK und der auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft einsitzende Abdullah Öcalan unabhängig voneinander die Türkei dazu aufgerufen, die Chance zu einer friedlichen Lösung zu nutzen. Zunächst forderte PKK-Sprecher Abdurrahman Cadirci die Türkei auf, einen Friedensplan vorzulegen, damit die Entwaffnung der Guerilla ernsthaft diskutiert werden könne. Öcalan, der in dieser Zeit keinerlei Kontakt mit der Außenwelt hatte, äußerte sich am 30. Oktober in ähnlicher Weise und unterstrich erneut, dass separatistische Forderungen für ihn überhaupt nicht zur Debatte stehen.

Es mag auf den ersten Blick paradox oder wie billige Propaganda erscheinen, aber die Chancen auf eine friedliche, politische Lösung waren noch sie so gut wie heute. Auch wenn von Kriegsmüdigkeit nicht viel zu spüren ist, so ist doch den Kriegsparteien längst klar, dass sie ihr Ziel mit militärischen Mitteln nicht erreichen können. Wenige in der Türkei glauben noch ernsthaft, die PKK durch eine Militäroperation vernichten zu können, eine gewisse Schwächung der Rebellen wäre aus ihrer Sicht bereits ein Erfolg.

Die kurdische Guerilla auf der anderen Seite hat dem bewaffneten Kampf als strategischer Option längst entsagt und greift nur noch taktisch zu Angriffen, die einen begrenzten Umfang haben. Viel breiteren Raum als Kriegsgeschrei nehmen in der Diskussion auf kurdischer Seite die einseitigen Waffenstillstände und die Suche nach einer politischen Lösung ein.

Gerade dies ist der Alptraum schlechthin für die Türkei: Die Transformation der Guerilla in eine politische Kraft versucht sie mit allen Mitteln zu verhindern, selbst wenn dies den Tod von noch mehr jungen Menschen auf beiden Seiten bedeutet.

Doch auch die politische Weltlage hat sich verändert. Die offene und verdeckte Unterstützung für den Krieg durch Dritte hat spürbar abgenommen, nicht zuletzt, weil wenige Staaten an einer neuen Front im Irak interessiert sind. Daher auch die bemerkenswerte Zurückhaltung der USA bei der Unterstützung ihres Verbündeten Türkei und die lauwarmen Aufrufe der EU zu einer friedlichen Lösung.

Ist das aktuelle Kriegsgeschrei besonders in der Türkei also nur Show? Nicht ganz, denn die Mehrheit des Generalstabs, eine einflussreiche Kriegsindustrie und nationalistische und faschistische Gruppen sind eine Clique von gewissenlosen Kriegsgewinnlern, die sicher nicht die Interessen der Bevölkerung im Auge haben. Gemeinsam mit einer hysterischen Presse sind diese Kreise durchaus in der Lage, die Türkei in einen neuen Krieg zu ziehen.

Der Weg zu einer friedlichen, politischen Lösung ist also sicher kein Spaziergang, und die Gefahr eines ausgedehnten Krieges ist durchaus real. Doch die Chancen für eine politische Lösung ist ebenso fassbar, und sollte jetzt ergriffen werden. Das funktioniert naturgemäß nur durch die Einbeziehung aller Beteiligten, was sich besonders die EU klar machen muss, die immer noch Öcalan und die PKK am liebsten ignorieren würde. Andere sind da realistischer. Wohl nicht zufällig haben Think Tanks wie die International Crisis Group und das National Council for American Foreign relations in diesem Jahr umfangreiche Studien vorgelegt, wie eine politische Lösung zur Entwaffnung der Guerilla und zur Eingliederung in den politischen Prozess aussehen kann.

Dass gerade Europa noch immer an einer klassischen Distanzierungsrhetorik festhält, ist vor diesem Hintergrund besonders unverständlich. Wenn die vergangenen Wochen eines gezeigt haben, dann war es die Tatsache, dass es nicht möglich ist und nicht möglich sein wird, die PKK und Öcalan aus der politischen Debatte herauszuhalten. Das beharrliche Ignorieren der Tatsache, dass ein Großteil der kurdischen Bevölkerung hinter Öcalan und seinen Lösungsvorschlägen steht, hat mit in die aktuelle Krise geführt.

Jetzt sind politische Initiativen gefragt, um das Blutvergießen ein für alle Mal zu beenden. Die Initiative von Nechirvan Barsani, der ausdrücklich auf das Oslo-Abkommen und den Friedensprozess in Nordirland verweist, ist in diesem Sinne ein Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur Nechirvan Barsani, alle politischen Kräfte täten gut daran, endlich die politischen Optionen für eine Lösung der kurdischen Frage zu sichten und wahrzunehmen.

Dienstag, November 06, 2007

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