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Berlin, 08.12.2006

Geheimentscheid über Hermesbürgschaft für Ilisu-Staudamm

Nichtregierungsorganisationen verurteilen Grundsatzzusage der Bundesregierung für hoch umstrittenen Ilisu-Staudamm in der Südosttürkei

Wie erst jetzt bekannt wurde, traf die Bundesregierung in der vergangenen Woche eine Grundsatzzusage für eine Hermesbürgschaft für den gigantischen Ilisu-Staudamm, der im Südosten der Türkei den Tigris kurz vor der Grenze zu Syrien und Irak aufstauen soll. Im Vorfeld hatte es intensive Auseinandersetzungen zwischen Nichtregierungsorganisationen und den Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gegeben, die das Projekt absichern sollen. Nach Aussage der Bundesregierung wurden die umstrittenen Punkte durch Verhandlungen mit der türkischen Regierung gelöst. Genauere Angaben über die vereinbarten Auflagen halten die beteiligten Regierungen jedoch geheim.

„Die Entscheidung der Bundesregierung betrifft mindestens 55.000 Menschen und eine ganze Region. Es ist ein Skandal, dass diese zu den angeblich erzielten Verbesserungen nicht Stellung nehmen können“, kritisiert Ercan Ayboga von der Initiative zur Rettung Hasankeyfs, die über 70 Organisationen im Ilisu-Gebiet vereint. Heike Drillisch, Sprecherin der in Berlin ansässigen Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED, ergänzt: „Die Regierung setzt sich in aller Welt für den Dialog zwischen den Betroffenengruppen ein und hat monatelang ihre Transparenz bei der Prüfung des Ilisu-Projekts betont. Jetzt, wo es darauf ankommt, dass die Betroffenen über ihre Zukunft mitreden können, verweigert sie sich der weiteren Auseinandersetzung. Diese Doppelzüngigkeit ist nicht akzeptabel und stellt einen massiven Vertrauensbruch gegenüber den zivilgesellschaftlichen Organisationen dar.“

Zwar veröffentlichte die Bundesregierung am 7.12.2006 eine Erklärung zur Grundsatzzusage. Die darin gemachten Angaben verbleiben jedoch vage und für die Außenwelt nicht nachprüfbar. Auch betonten Konsortium und Projektbetreiber bereits mehrfach, das Projekt befinde sich in Einklang mit internationalen Standards. Sobald die zu Grunde liegenden Dokumente jedoch veröffentlicht wurden, wiesen Nichtregierungsorganisationen wie WEED gravierende Defizite nach.

WEED und die Hasankeyf-Initiative bezweifeln, dass die auf dem Papier erzielten Zusagen der türkischen Regierung das Projekt tatsächlich umwelt- und sozialverträglich machen und mit internationalen Standards in Einklang bringen. So schrieb der irakische Wasserminister noch am 29.11.2006 an WEED, dass sein Land nicht über die Pläne zum Bau des Ilisu-Staudamms informiert sei, obwohl internationales Völkerrecht dies vorschreibt und die türkische Regierung dieser Pflicht angeblich nachgekommen sei. Auch die Durchführung der archäologischen Rettungsarbeiten für das reiche von Überflutung durch den Damm bedrohte kulturelle Erbe erfolgt nicht nach Plan: Im August wurden alle Grabungen für dieses Jahr eingestellt, obwohl der Zeitplan keinerlei Verzögerungen bis zur Flutung zulässt. Ebenso kam es bei der Enteignung Betroffener bereits zu Unregelmäßigkeiten.

Die türkische Regierung ist nun gefordert, eine Reihe weiterer Studien durchzuführen und einen Teil der Auflagen zu erfüllen. Danach wird die Bundesregierung sich erneut mit dem Projekt befassen und über die endgültige Bürgschaftsvergabe befinden. „Zusätzliche Studien können nichts an den grundsätzlichen Mängeln des Projekts ändern“, bewertet Drillisch das Vorgehen der Bundesregierung. „Kulturelle und ökologische Werte werden sehenden Auges geopfert, die Bevölkerung übergangen.“ Vor allem fehle der
Bundesregierung jegliche Handhabe, wenn nachträglich Probleme auftauchten, denen mit den jetzt erlassenen Auflagen nicht begegnet werden könne. „Die jetzt erteilte verbindliche Grundsatzzusage ist ein völlig falsches politisches Signal an eine Regierung, die ihre Bereitschaft, internationale Standards einzuhalten, erst noch unter Beweis stellen muss und ihrerseits jeden Dialog mit den betroffenen Menschen und Kommunen verweigert“, erklärt Ercan Ayboga.

Weitere Informationen: www.weed-online.org/ilisu


Für Rückfragen:
Heike Drillisch, WEED, Tel. 0177 – 345 26 11


Zum Hintergrund:
In Umfragen haben sich fast 80 % der Betroffenen gegen den Dammbau ausgesprochen. Doch selbst die Bürgermeister der umliegenden Städte wurden nach wie vor nicht in die Planung einbezogen. Enteignungen in der Umgebung von Hasankeyf fanden statt, obwohl die Landtitel noch ungeklärt sind, und die Festsetzung der Entschädigungsmuster erfolgte nicht in dem angekündigten Verfahren. Archäologen bezweifeln, dass die antiken Monumente die Verlegung in einen Archäologiepark unbeschadet überstehen.
Zudem ist die geplante Frist von sieben Jahren bis zur Flutung vollkommen unzureichend, um die vielen noch unerforschten archäologischen Stätten freizulegen. Der türkischen Wasserbehörde stehen jährlich nur 100 Mio Euro für Umsiedlungen in Zusammenhang mit Staudämmen zur Verfügung. Für Ilisu sind in den nächsten sieben Jahren 800 Mio Euro vorgesehen, doch wäre mindestens die doppelte Summe notwendig. Bisher ist nicht bekannt, wie dieser Betrag zur Verfügung gestellt werden soll.