YEK- KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V.
   
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23. November 2006

 

E r k l ä r u n g

Dreizehn Jahre nach dem PKK-Verbot: Gedanken, Fragen, Forderungen

Am 26. November 1993 verhängte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther ein Betätigungsverbot über die Arbeiterpartei Kurdistans und andere in Deutschland aktive Organisationen des kurdischen Bevölkerungsteils. Als Verbotsgründe wurden die „Anschlagswellen“ 1992 und 1993 sowie „innerparteiliche gewaltsame Auseinandersetzungen“ angeführt. Weiter hieß es in der Verbotsverfügung: „Die PKK/ERNK richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. [...] Die von Anhängern/Sympathisanten der PKK/ERNK begangenen Straftaten in Deutschland und der Türkei mit dem Ziel, einen Teil des türkischen Staatsgebietes in einen noch zu gründenden kurdischen Staat zu überführen, erfüllen diese Voraussetzungen. Die Straftaten stören das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland.“ sowie „Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht. [...] Diese Aktivitäten schädigen bereits heute Deutschlands Ansehen in der Türkei und die bilateralen Beziehungen erheblich.“ Zur näheren Erläuterung dieser Verbotsmotivation wurde ausgeführt: „Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.“

Doch hatte die PKK bereits im Frühjahr 1993 einen ersten einseitigen Waffenstillstand erklärt, um Verhandlungen mit der Gegenseite zu ermöglichen - in einem seit 1984 andauernden Guerillakrieg gegen die türkische Armee, in dem sie die Unterstützung eines großen Teils der kurdischen Bevölkerung gewonnen hatte.

Weitere einseitige Waffenstillstände waren gefolgt, die von der türkischen Regierung bis heute unbeantwortet blieben und in keiner Weise honoriert wurden. Den fünften hat die kurdische Bewegung am 1. Oktober 2006 verkündet.

Zwar hat der türkische Premierminister Tayyip Erdogan daraufhin erstmalig erklärt, dass sich auch die türkischen Sicherheitskräfte an den Waffenstillstand halten würden, doch zeigen die intensivierten Angriffe durch die türkische Armee und Gendarmerie, wie ohnmächtig die gegenwärtige türkische Regierung gegenüber dem Militär ist. Dies machte auch die Reaktion des Generalstabschefs Yasar Büyükanit deutlich, der Erdogan umgehend widersprochen hatte und drohte, die Streitkräfte würden ihren „Kampf gegen den Terror“ so lange fortsetzen, „bis es keinen einzigen bewaffneten Terroristen mehr gibt.“

Bei seinem Frankreichbesuch am 2./3. 11. 2006, erklärte der irakische Präsident Jelal Talabanî, der von den kurdischen Volksverteidigungskräften (HPG) erklärte Waffenstillstand entspreche auch den Wünschen des Irak: „Wenn jetzt auch noch eine Amnestie erlassen wird, wird dieses Problem vollständig gelöst werden“.

Die USA haben im September dieses Jahres den Ex-General und ehemaligen NATO-Oberkommandierenden, Ralph Ralston als „PKK-Koordinator“ eingesetzt, von dem türkische Zeitungen vermuteten, dass er die Aufgabe hat, zumindest indirekt in Verhandlungen mit dem KONGRA-GEL oder der HPG einzutreten. Auch wenn dies nicht der Wirklichkeit entsprechen sollte, so ist doch der in der türkischen Bevölkerung dadurch entstandene Eindruck offensichtlich beabsichtigt.

Parallel zu dieser Entwicklung dauern das PKK-Verbot und die Verfolgung der kurdischen Organisationen in Deutschland an, obwohl die einstigen Verbotsgründe längst hinfällig sind. Es wurde ohne Rücksicht auf vollzogene Veränderungen nahtlos ausgeweitet auf KADEK und den KONGRA-GEL. Die Auswirkungen dieser undemokratischen, repressiven und auf Ausgrenzung gerichteten Praxis gegen Kurdinnen und Kurden zeigen sich in sehr verschiedenen Formen. So konstruiert die Bundesanwaltschaft (BAW) als eine maßgebliche Behörde der Strafverfolgung immer neue Straftatbestände, mit denen sie das Fortbestehen einer „kriminellen Vereinigung“ zu begründen versucht.

Langjährige politische Kontakte wurden und werden aufgrund der Kriminalisierung abgeschnitten und Kontaktpersonen stattdessen vor Gericht gestellt und zahlreiche kurdische Politikerinnen und Politiker wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zu Freiheitsstrafen verurteilt; einige von ihnen mit teils langen Hafterfahrungen in der Türkei. Die Öffentlichkeit nimmt hiervon kaum Notiz.

Auch führende Mitglieder legaler kurdischer Organisationen wie YEK-KOM (Dachverband der kurdischen Vereine in Deutschland) oder Heyva Sor (Kurdischer Roter Halbmond) wurden wegen ihrer Tätigkeit strafrechtlich verfolgt.

Wegen ihres symbolischen Solidaritätsbekenntnisses „Auch ich bin PKK“ sind seit 2001 Tausende einfacher Vereinsmitglieder wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz mit Verfahren überzogen und mit teils hohen Geldstrafen bestraft worden.

Zahlreichen Kurdinnen und Kurden wird die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit verweigert oder – wie in einigen Fällen geschehen - wegen angeblicher „Erschleichung“ wieder entzogen, weil sie in den legalen kurdischen Vereinen für ihre politischen und kulturellen Belange gearbeitet haben oder sich dort aktiv einsetzen.

Wegen ihrer politischen Aktivitäten im Rahmen der kurdischen Demokratiebewegung, die in der Türkei unter hoher Strafe steht und deshalb zur Begründung ihres Asylbegehrens in Deutschland angeführt wurde, wird kurdischen Asylbewerbern der Asylstatus verweigert. Davon betroffen sind auch Kurdinnen und Kurden, die in der Türkei politisch aktiv gewesen sind und wegen drohender oder teilweise schon erlittener Haft nach Deutschland fliehen mussten. Dramatisch angestiegen ist in den letzten Monaten auch die Zahl derjenigen, deren einstige Asylanerkennung nun widerrufen wird, w e i l sie in der Türkei wegen politischer Aktivitäten verfolgt waren.

Auf Antrag der türkischen Strafverfolgungsbehörden wurden kurdische Politiker, so im Januar 2005 der stellvertretende Vorsitzende des KONGRA-GEL, Dr. Remzi Kartal, in Auslieferungshaft genommen und erst nach einem im Eilverfahren erwirkten Gerichtsbeschluss wegen der Unhaltbarkeit der türkischen Vorwürfe wieder freigelassen. Die Türkei sieht sich dennoch ermutigt, mit Hilfe internationaler Haftbefehle an im Exil lebende und aktive Oppositionelle heranzukommen. Eine Reihe von Kurden befinden sich derzeit in Deutschland in Auslieferungshaft.

Am 5.9.2005, also zwei Wochen vor der Bundestagswahl, ist die kurdische Tageszeitung ÖZGÜR POLITIKA auf Anordnung des Bundesinnenministers Schily verboten und sind sämtliche Arbeitsmaterialien beschlagnahmt worden. Nur eine Woche später besuchte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den Verlag von HÜRRIYET, der größten türkischen Tageszeitung in Deutschland und bat um die Stimmen der 500000 Türkinnen und Türken mit deutschem Pass. Erst am 18.10.2005 konnte die Aufhebung des Verbots von ÖZGÜR POLITIKA vor dem Bundesverwaltungsgericht erwirkt werden.

In dem am 15.11.2006 veröffentlichten „Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung“ wird aus im Jahre 1999 stattgefundenen Protestaktionen gefolgert, die PKK bleibe „auch in Zukunft ein potenzieller Faktor im Bereich der politisch motivierten Gewalt“. Eine solche auf den Sankt-Nimmerleinstag gerichtete Sichtweise macht jegliche Lösungsperspektive zunichte.

Hierzu passen dann auch Aussagen der Generalbundesanwaltschaft, es seien neben laufenden auch noch achtzehn Ermittlungsverfahren von „Altfällen“ aus den neunziger Jahren wegen Mitgliedschaft oder Rädelsführerschaft in einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung (§ 129/129a Strafgesetzbuch) in Bearbeitung, die zur Anklageerhebung führen würden, sobald man der Gesuchten in Deutschland habhaft werde.

Der türkische Staat, insbesondere die türkische Generalität, müssen sich durch die fortgesetzte Strafverfolgungspraxis der deutschen Politik ermutigt fühlen, die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung und ihrer Organisationen in der Türkei fortzusetzen, auch im Zuge des Aufnahmeprozesses in die Europäische Union.

Der kurdische Volkskongress KONGRA-GEL wurde - wie zuvor die PKK oder der KADEK - auf Betreiben der Vereinigten Staaten in die „Europäische Terrorliste“ aufgenommen, obwohl er sich programmatisch, statuarisch, in Struktur und Praxis grundlegend von der PKK unterscheidet und auch eine völlig andere Führung hat. Die Verfolgung geht weiter, obwohl die kurdischen Organisationen schon seit Jahren den Kampf um Eigenstaatlichkeit aufgegeben haben und die Demokratisierung der kurdischen wie der türkischen Gesellschaft und die freie Selbstbestimmung aller Menschen in der Türkei und im Vorderen Orient anstreben.

In keinem Land der Europäischen Union gibt es eine so rigide, uneinsichtige und gnadenlose Kurdenverfolgung wie in Deutschland. Wir fragen uns, warum.

Liegt es an der besonderen Geschichte, die den deutschen mit dem türkischen Staat verbindet?
- Die schon das Kaiserreich veranlasste, die Augen vor dem Völkermord an den Armeniern zu verschließen und seinen Bundesgenossen weiter mit Waffen aller Art einschließlich des Schlachtkreuzers ‚Goeben‘ und des kleinen Kreuzers ‚Breslau‘, mit Generälen, Ausbildern, militärtechnischen Spezialisten und Kampfeinheiten zu unterstützen?
- Die die Bundesregierung veranlasste, erst ihre abgelegten Leopard-I-Panzer und dann 1991, nach dem Ende der DDR, die Bestände der ehemaligen Nationalen Volksarmee an Infanteriewaffen und -munition, BTR60-Panzerwagen, Funkgeräten, Uniformen, Stahlhelmen und Ausrüstungsgegenständen an die Türkei zu verschenken, während diese einen grausamen Krieg gegen die PKK und die kurdische Bevölkerung führte, tausende Dörfer zerstörte, zehntausende Menschen tötete und die geschenkten Waffen selbstverständlich und ohne Skrupel einsetzte?

Ist vielleicht die große Zahl der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden der Grund, ihnen weniger demokratische Rechte zu gewähren?


- Weil man es auf das Wohlverhalten der noch größeren Zahl von Türkinnen und Türken und das Wahlverhalten jener von ihnen mit deutscher Staatsbürgerschaft abgesehen hat wie 2005 der damalige Bundeskanzler Schröder?
- Weil man deshalb eher die Vereine und das öffentliche Auftreten der faschistischen MHP und ihrer Jugendorganisation „Graue Wölfe“ toleriert, obwohl in der Türkei Hunderte von Morden auf ihr Konto gehen,
- und weil man lieber kurdische Vereine und die Wohnungen ihrer Vorsitzenden regelmäßig mit Razzien überzieht, Öcalan-Bilder, Transparente, Mitgliederverzeichnisse, Computer und Vereinsgelder beschlagnahmt?

Oder:

- Ist es das hochgesteckte und ernst gemeinte Ziel der Kurden,

- sind es die zu seiner Verwirklichung zweifellos erforderlichen Organisationen, die Begeisterung und Opferbereitschaft ihrer Mitglieder?

Wenn der Friedenswille des KONGRA-GEL in der Türkei und den südkurdischen Bergen und seine Entscheidung zur Demokratie ehrenwert ist, wenn der irakische Staatspräsident die Regierung der Türkei auffordert, in Verhandlungen mit dem KONGRA-GEL einzutreten, ihn in der Türkei als politische Partei zuzulassen und seine gegenwärtigen und ehemaligen Mitglieder zu amnestieren, wenn sich auch der ehemalige dänische Ministerpräsident Anker Jorgensen für die Legalisierung der PKK in Deutschland einsetzt,
- erwartet man dann wirklich, dass die Kurdinnen und Kurden in Deutschland der Solidarität mit ihrem Volk, ihren Familien und ihrer Guerilla entsagen und bestraft sie, wenn sie sich doch solidarisieren, wenn sie Geld sammeln, ein Bekenntnis unterschreiben oder auch nur ein inkriminiertes Symbol tragen?

Wie lange soll dieser Anachronismus eigentlich noch andauern? Wie lange noch lässt es sich die deutsche Gesellschaft gefallen, dass demokratische Rechte in Deutschland ein Privileg sind?

Wenn eine starke und von der Bevölkerung getragene Bewegung wie der KONGRA-GEL sich diesem hohen Ziel verschrieben hat, es programmatisch und in der Praxis unter großen Opfern zu erreichen versucht und wenn die deutsche Regierung dieses Ziel gutheißt, dann muss sie das PKK-Verbot in Deutschland aufheben.

Mit der Forderung nach einem Ende der Kriminalisierung, fordern wir auch die Einstellung aller Strafverfahren wegen politischer Betätigung und die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Düsseldorf, 23. November 2006