Pressemitteilung

Bürgermeister aus der Ilisu-Region (Türkei) fordern von deutscher Baufirma und Bundesregierung Ausstieg aus Staudammprojekt

Bürgermeister und Vertreter lokaler Bürgerinitiativen haben heute in Berlin bei einer von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED durchgeführten Pressekonferenz vor den gravierenden Folgen des geplanten Ilisu-Megastausees in der Südosttürkei gewarnt. Für die Mehrzahl der Betroffenen würde die Realisierung des Projekts große Armut und Entwurzelung bedeuten. Nur eine Minderheit der Bevölkerung befürworte daher den Damm. Mit der Vergabe einer Hermesbürgschaft würde die Bundesregierung mitschuldig an Umweltzerstörung, der Vernichtung von Kulturgütern und der Verelendung großer Bevölkerungsteile.

Die Projektbetreiber stellen der Ilisu-Region - einer der ärmsten der Türkei - wirtschaftlichen Aufschwung und die Schaffung tausender Arbeitsplätze durch das 1,2 Mrd Euro teure Vorhaben in Aussicht. "Für einige Menschen in der Region stellen die versprochenen Arbeitsplätze eine große Hoffnung dar", beschreibt Yurdusev Özsökmenler, Bürgermeisterin der Millionenstadt Diyarbakir. "Die Erfahrung mit bereits gebauten Dämmen zeigt jedoch, dass die umgesiedelte Bevölkerung nur selten von den neuen Möglichkeiten profitiert." Von den für das Dammprojekt Umzusiedelnden will der Großteil auf eigene Faust in die umliegenden Städte, darunter Diyarbakir, ziehen, da er kein Vertrauen in die staatlichen Umsiedlungsprogramme hat. In den 90er Jahren wuchs die Stadt bereits unverhältnismäßig stark, da viele Bürgerkriegsflüchtlinge in ihr Zuflucht suchten. "Eine erneute Welle von Dammvertriebenen wäre nicht zu verkraften", so Özsökmenler.

In den Fluten des Stausees würden auch die antike Stadt Hasankeyf sowie weitere noch völlig unerforschte Kulturgüter untergehen. Ein von den Projektbetreibern erstellter Rettungsplan wird von Experten als weder realisierbar noch dem Wert der Kulturstätte angemessen erachtet.
"Minarette ohne Moscheen, eine Brücke ohne Fluss in einem archäologischen Park - das kann Hasankeyf nicht ersetzen. 10.000 Jahre Geschichte dürfen nicht für 50 Jahre Energiegewinnung geopfert werden", fordert Necattin Pirinccioglu von der Bügerinitiative zur Rettung Hasankeyfs. In dieser Initiative haben sich über 30 Gemeinden, Verbände und lokale Bürgergruppen zusammengeschlossen, um ihren Widerstand gegen das Staudammprojekt zu koordinieren und Alternativen aufzuzeigen. Das ist ein Novum in der Geschichte der Osttürkei und zeigt den Mut von Verwaltung und Bürgern, in einem immer noch stark angespannten politischen Klima öffentliche Kritik zu äußern.

Hüseyin Kalkan, Bürgermeister der nahe gelegenen Großstadt Batman, zeigt den Zusammenhang zwischen der Armut der Region und dem Ilisu-Projekt auf. "Jahrzehntelang wurde bei uns kaum investiert. Das touristische Potenzial liegt brach. Jetzt werden uns blühende Landschaften durch das Ilisu-Projekt versprochen. Mit dem für den Dammbau vorgesehenen Geld könnte man den Tourismus für die ganze Region aufbauen. Im Gegensatz zu der mit dem Ilisu-Vorhaben einhergehenden Zerstörung würde das nachhaltige Arbeitsplätze schaffen, die einzigartigen Ökosysteme und Kulturgüter am Tigris erhalten und unseren Gemeinden eine dauerhafte Entwicklungschance bieten."

Ercan Ayboga von der regionalen Kommunalverwaltung berichtet von Umfragen unter den direkt Betroffenen. "In den von Überflutung bedrohten Dörfern herrscht ein erschreckendes Informationsdefizit. Die wenigsten Menschen wissen, dass sie in die Projektplanung einbezogen werden müssen, um Weltbankstandards zu entsprechen. Kaum jemand hat klare Vorstellungen, wovon er nach der Umsiedlung leben soll."

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED kritisiert, dass die vom Konsortium, zu dem auch die deutsche Baufirma Züblin gehört, vorgelegten Projektunterlagen einer Überprüfung durch internationale Experten nicht standhielten. Insbesondere seien die Pläne und Budgets für die Entschädigung und Umsiedlung, für ökologische Ausgleichsmaßnahmen und für den Kulturgüterschutz vollkommen unrealistisch und basierten auf Wunschdenken statt auf realistischen Annahmen. "Auch mit den neuen Plänen entspricht das Projekt nicht internationalen Standards. Mit der Vergabe einer Hermesbürgschaft würde die Bundesregierung ihre eigenen Richtlinien unterlaufen", stellt WEED-Sprecherin Heike Drillisch fest.


Die Delegation ist am 18. und 19. Mai 2006 zu erreichen über
Heike Drillisch, Tel. 0177 - 345 26 11

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