REPUBLIKANISCHER ANWÄLTINNEN- UND ANWÄLTEVEREIN e.V.

08. September 2005

Presseerklärung des RAV zum Verbot der kurdischen Tageszeitung Özgür Politika:

Annäherung in die falsche Richtung

Am 30. August 2005 verfügte der Bundesinnenminister Otto Schily das Verbot der kurdischen Tageszeitung Özgür Politika und am 5. September 2005 in einer bundesweiten Aktion die Räume der Zeitung, einer Nachrichtenagentur, mehrerer Verlage und die Wohnungen von Journalisten, angeblichen "Hintermännern", durchsuchen lassen. Die Zeitung erschien seit mehr als zehn Jahren in Deutschland, zuletzt in einer Auflage von ca. 13.000 täglich, und wurde von Kurdinnen und Kurden in ganz Europa gelesen. Der Zeitung und ihren Mitarbeiterinnen wird vorgeworfen, Teil der Struktur des Kongra-Gel, der Nachfolgeorganisation der PKK, zu sein. Nach türkischen Pressemeldungen war dem Verbot ein Ersuchen der türkischen Regierung vorausgegangen.
Die blinde Gefolgschaft des Bundesinnenministers gegenüber den Wünschen der türkischen Regierung erschüttert ebenso wie Ignoranz gegenüber der kurdischen Frage und die Schamlosigkeit gegenüber der Pressefreiheit.
Ebenso wie in der Türkei kurdische Organisationen, Medien und Parteien – auch wenn sie mit beachtlichem Erfolg an Wahlen teilnehmen – permanent mitVerbotsverfahren überzogen werden, setzt das Bundesinnenministerium die kurdischen Stimmen in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaftem Verfolgungsdruck aus. Im Zuge der Annäherung der Türkei an die Europäische Union schickt sich das Bundesinnenministerium nunmehr offenbar an, den türkischen Umgang mit kurdischer Öffentlichkeit auf die Bundesrepublik Deutschland zu übertragen. Diese Annäherung in die falsche Richtung übergeht die Bemühungen um eine demokratische kurdische Öffentlichkeit im Exil, wie sie auch in der Özgür Politika stattfanden. Sie vergeht sich zugleich an der Pressefreiheit, indem sie eine Zeitung mundtot macht, die in Europa für Kurdinnen und Kurden unersetzlich ist. Und sie liefert in ihrer Härte der türkischen Regierung ein Beispiel, welche Vorgehensweise aus europäischer Sicht tolerabel ist.

Der RAV fordert den Bundesminister des Innern auf, die Verbotsverfügung zurückzunehmen, die beschlagnahmten Materialien und Unterlagen zurückzugeben und die Betroffenen zu entschädigen.

Sönke Hilbrans
Rechtsanwalt