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Schutzschilde werden zu Friedensbrigaden

Am 8. August begaben sich 222 AktivistInnen der „Lebenden Schutzschilde“ in die Pressezone der HPG in den irakischen Kandilbergen um auf die Militäroperationen des türkischen Staates in den kurdischen Provinzen des Landes aufmerksam zu machen und sich für einen Dialog der Verantwortlichen PolitikerInnen mit den fortschrittlichen kurdischen Kräften einzusetzen.

Die politischen Hintergründe

In den kurdischen Provinzen der Türkei hat sich, besonders seit März 2005, als Mitglieder von faschistischen Idealistenklubs in Mersin, während des Newrozfestes, den sogenannten Fahnenvorfall initiierten, die menschenrechtliche Lage stark zugespitzt. Der darauf folgend, besonders von der Generalität des Militärs und dem tiefen Staat forcierte Nationalismusschub hat massive gesellschaftliche Veränderungen bewirkt.

Der tiefe Staat und das Militär versuchen erneut die Politik und auch die Medien der Türkei zu dominieren, während die Regierung unter R.T. Erdogan bisher nur gewillt und in der Lage ist sich in wenigen Punkten deren Vorstellungen zu widersetzen. Zwar bekannte Erdogan am 12. August in Diyarbakir, das es ein kurdisches Problem gibt, dessen Lösung demokratischer Schritte bedürfe, konkrete Schritte unternahm die Regierung aber bis Heute nicht. Demgegenüber finden in den kurdischen Provinzen die stärksten Militäroperationen seit 6 Jahren statt. In mehreren Regionen herrscht faktisch erneut der Ausnahmezustand; die zivilgesellschaftlichen kurdischen Organisationen sind verstärkten Repressionen ausgesetzt, es wurden neue Gesetze zur Beschränkung der Meinungsfreiheit (§305) und zur Beschränkung der Handlungsfähigkeit der AnwältInnen erlassen, die Reisefreiheit der Menschen wird beschränkt und bereits seit Mitte 2004 kommt es wieder verstärkt zu Tötungen von ZivilistInnen.

In Hakkari z.b. wird die Bevölkerung seit Ende Juli vom Militär und Sondereinheiten der Polizei tyrannisiert. Maskierte unbekannte Sondereinheiten durchsuchten willkürlich Häuser, Menschen wurden grundlos festgenommen, geschlagen und gefoltert. In der Region sind in der letzten Zeit mehrere Menschen von unbekannten Tätern ermordet worden. Anfang August wurde Yusuf Yasar von Kugeln durchsiebt. Der 20 jährige hatte gerade seine Hochzeit vorbereitet, bevor er von maskierten Sondereinheiten entführt und hingerichtet wurde. Im Nachhinein wird ihm vorgeworfen, daß er sich der Guerilla anschließen und eine Mine aufstellen wollte. Das ist in anbetracht seiner Vorbereitungen für eine Hochzeit und den Angaben mehrerer Zeugen zufolge, absurd. Auch in Kiziltepe, hier wurden bereits 2004 der 12 jährige Ugur Kaymaz und sein Vater auf offener Straße grundlos von Polizisten hingerichtet, in Van Bostanici, hier wurde der Jugendliche Vehdattin Inan bei einer friedlichen Demonstration von Jandarma (Sondereinheiten des Militärs) ermordet, sowie in Hakkari Semdinli kam es in den letzten Monaten und Wochen zu willkürlichen Hinrichtungen.

Schutzschilde werden zu Friedensbrigaden

Um auf die zunehmenden Militäroperationen aufmerksam zu machen und sich für eine demokratische Entwicklung in der Türkei einzusetzen veranstalteten „Lebende Schutzschilde“ von Mitte 2004 bis Heute an vielen Orten in der Türkei Demonstrationen. Die TeilnehmerInnen aus fortschrittlichen türkischen und kurdischen Parteien sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen begaben sich dabei in- oder an die Ränder von Gebieten in denen das türkische Militär Operationen gegen die Guerilla HPG (Guerilla der PKK), die Natur und die Zivilbevölkerung durchführte um direkt für den Frieden zu wirken. Unzählige TeilnehmerInnen der friedlichen Demonstrationen wurden festgenommen, für Tage oder Monate inhaftiert und nachfolgend kriminalisiert.

Als Aktion gegen den staatlichen Umgang mit der demokratischen Aktionsform begaben sich Anfang August 2005, 222 Schutzschilde in die Pressezone der HPG in den irakischen Kandilbergen, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Die FriedensaktivistInnen haben sich in die Kandilberge begeben, da ihnen in der Türkei die Lebensgrundlage entzogen wurde. Mittlerweile haben sich die AktivistInnen in Friedensbrigaden umbenannt und setzen sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ein. Dazu streben sie einen beidseitigen Waffenstillstand, die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans und seine Freilassung, sowie die Anerkennung des Politikers als politischen Vertreter der kurdischen Bevölkerung in der Türkei ein. Eine weitere Forderung ist das Recht auf Entfaltung der eigenen Kultur und Identität der KurdInnen und aller Ethnien ohne jegliche Repression. Die Schutzschilde haben sich mittlerweile in Friedensbrigaden umbenannt und wollen sich solange in den Kandilbergen aufhalten, bis der türkische Staat einen ernsthaften Dialog mit den fortschrittlichen kurdischen Organisationen über Frieden und Demokratisierung aufnimmt und umsetzt.

Seit dem 20. August hält sich die HPG auf Vorschlag des Kongra Gel an einen einmonatigen einseitigen Waffenstillstand, der bisjetzt vom türkischen Militär nicht erwidert wird. Stattdessen finden weiterhin in mehreren Regionen Operationen statt. Darüber hinaus wird stattlicher- und militärischerseits nicht der Dialog gesucht, sondern die Situation durch fortgesetze Kriegsaktivitäten und Hetze gegen die KurdInnen in den Medien weiter zugespitzt.

In der Erklärung der Friedensbrigaden heißt es:

„Wir haben gemeinsam eine 16-jährige ununterbrochene Kriegsphase durchlebt. Die demokratischen Aktionen der Bevölkerung, die sich 1990 entwickelten, wurden von staatlicher Seite blutig unterdrückt und der Weg für demokratisches Handeln somit noch weiter verschlossen. In diesem Krieg haben nach inoffiziellen Zahlen über 50.000 Staatsangehörige ihr Leben verloren. Über 4.000 unserer Dörfer wurden verbrannt und entvölkert. Zehntausende unserer Menschen wurden gefoltert und verfaulten in den Gefängnissen. Jede Nacht wurden unsere Brüder und unsere Schwestern unerwartet von uns genommen. Später hörten wir von den „Morden unbekannter Täter“. ... „Der Westen ist mitverantwortlich für den im Mittleren Osten errichteten Status quo. Ihr politischen Verantwortlichen der USA und Europas, die ihr eine wichtige Rolle bei der Lösung spielen könntet, sagt, wir sollen von Abdullah Öcalan und seiner Bewegung Abstand nehmen. Warum versucht ihr den Freiheitskampf des kurdischen Volkes zu spalten? Welche Demokratie und welche Freiheit verteidigt ihr? Hat das kurdische Volk nicht das Recht, seine Führung, seinen politischen Vertreter selbst zu bestimmen? Wir laden euch dazu ein, im Rahmen demokratischer, freiheitlicher und gerechter Werte eine aufrichtige Position bei der Lösung des Problems einzunehmen. Weiter fordern wir von der UNO, den Kampf des kurdischen Volkes zu sehen und bei der Lösung mitzuwirken. ... „Wir sehen, dass weltweit ähnliche Konflikte, die den Völkern Leid zufügen wie im Falle Nordirlands, einer nach dem anderen in eine Lösungsphase treten. Wir fordern bezüglich der Lösung der kurdischen Frage, dass für die Aufnahme eines Dialogs die Militäroperationen unverzüglich eingestellt werden und beide Konfliktparteien die Waffen ruhen lassen. Des Weiteren muss die Isolation unseres Vorsitzenden aufgehoben werden und er sollte als Gesprächspartner in die Lösung einbezogen werden. Anschließend sollte in Beachtung der Erfahrungen aus anderen Konflikten auf der Welt eine friedliche Lösung angestrebt werden. Parallel dazu sollte eine „Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission” aufgebaut werden, um wie im Falle Südafrikas Kriegsverbrechen zu recherchieren und zur gesellschaftlichen Übereinkunft beizutragen.“

Schlußfolgerungen

Die Aktionen der Friedensbrigaden sind ein legitimer Versuch für den Frieden zu wirken. Die Forderungen und Hoffnungen der AktivistInnen sind ein möglicher Weg um eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage in der Türkei zu ermöglichen. Auch der Aufruf an die Verantwortlichen PolitikerInnen in Europa und Amerika, ihre Spaltungspolitik gegenüber der kurdischen Bevölkerung zu beenden und Abdullah Öcalan als gewählten Vertreter des Volkes anzuerkennen, sind bedenkens- und unterstützenswert.

Die meist jugendlichen Schutzschilde wurden in der Türkei kriminalisiert. Sie waren massiven Repressionen ausgesetzt. Der Staat verumöglichte ihnen somit ein Leben ohne Angst um Freiheit und das eigene Überleben. Der Weg in die Kandilberge ist für die AktivistInnen mit der Hoffnung auf ein Leben in der türkischen Gesellschaft in Frieden und Freiheit ohne tägliche Angst um das eigene Leben verknüpft. Die Hoffnungen auf einen offenen Dialog werden bis Heute seitens des türkischen Staates jedoch durch verschärfte Repressionen und Krieg erwidert.

Der KNK unterstützt die zu Friedensbrigaden gewordenen Schutzschilde in ihren Anliegen und fordert alle humanistischen Kräfte zu einer Solidarisierung mit den - und zur Unterstützung der - FriedensaktivistInnen auf.

Dazu sind sowohl Besuche Vorort wie auch eine materielle und finanzielle Unterstützung hilfreich.

Für Rückfragen stehen auch wir jederzeit gerne unter obiger Adresse zur Verfügung.