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INTERNATIONALE INITIATIVE - SPEZIAL - Dossier Nr. 4

   

Inhalt:

  • Interview mit einem Soldaten einer Sondereinheit der türkischen Armee, die auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali stationiert war, wo der Kurdenführer Abdullah Öcalan gefangen gehalten wird.
  • Interview mit Mahmut Sakar, Rechtsanwalt von Abdullah Öcalan, über den aktuellen Stand im Fall Öcalan.

 

Imrali aus Sicht eines Soldaten

Özgür Politika / 10. Juni 2005 / Ali Ongan / Übersetzung: Internationale Initiative

Seit sechs Jahren wird der Kurdenführer Öcalan unter unmenschlichen Isolationshaftbedingungen gefangen gehalten. Nun fand sich ein Soldat der Sondereinsatzkräfte der türkischen Armee, der auf der Gefängnisinsel Imrali seinen Dienst versah, um unserer Zeitung seine Sicht der Dinge zu erzählen...

- Wie würden Sie die Gefängnisinsel Imrali beschreiben? Wie und zu welchem Zweck wurden Sie nach Imrali versetzt?

Das war im Oktober 2000, als ich noch meinen Wehrdienst in Kurdistan versah. Unerwartet wurde ich von meiner Einheit nach Bolu zurückbeordert. Dort musste ich mich zusammen mit anderen Soldaten einer zusätzlichen vierzigtägigen Spezialausbildung unterziehen. Der Grund hierfür wurde uns nicht mitgeteilt. Nach dieser Spezialausbildung wurden 110 Soldaten ausgewählt, welche mit dem blauen Barett ausgezeichnet wurden. Die restlichen Kameraden wurden wieder zu ihren Einheiten zurückgeschickt. Interessant war, dass später zwei Kameraden aus Sirnak aus der Gruppe entfernt wurden, weil sie Kurden waren. Sie wurden mit Reinigungsaufgaben betraut. Es war surreal. Da warteten 108 "Blaue Barette" und wussten nicht, wohin es ging und worauf sie warteten. Später erhielten wir jedoch den Befehl, uns in voller Ausrüstung bereitzuhalten. Gegen 24 Uhr, nachdem wir unseren Proviant erhalten hatten, sind wir in Spezialmilitärfahrzeugen von Bolu aus aufgebrochen.

- Nach welchen Kriterien wurden diese 110 Personen ausgewählt?

Das waren alles Sondereinsatzkräfte, die in Kurdistan ihren Dienst erfolgreich versehen hatten – körperlich widerstandsfähige Soldaten, Scharfschützen – und deren Personalakte keine Einträge aufwies bzw. die einen tadellosen familiären Hintergrund aufwiesen.

- In welche Richtung brachen Sie von Bolu aus auf?

Nach einer langen Reise kamen wir nach Mudanya, im Kreis Bursa. Obwohl wir uns Mudanya näherten, hatten wir immer noch keine Ahnung, wohin uns der Weg führen würde. Nachdem wir in die Kaserne von Mudanya einrückten, konnten wir uns das Ziel unserer Reise ausmalen. Es würde bestimmt nach Imrali gehen, so die einhellige Meinung. Was wir nicht wissen konnten, ob dies nur vorübergehend oder auf Dauer sein würde. Nach eingehender Leibesvisitation und Waffenbestandsaufnahme wurden unsere Akten erneut überprüft. Danach setzen wir mit dem Militärfährboot "Imrali 10" auf die Insel über.

- Wurden Sie wirklich nicht darüber aufgeklärt, was Ihr Auftrag sein würde?

Nachdem wir die Insel erreicht hatten, gaben unsere Vorgesetzten uns Aufschluss. Wir mussten eine Erklärung unterschreiben, in der wir uns dazu verpflichteten, weder gegenüber den Medien noch gegenüber unseren Familien etwas über Imrali zu verraten. Es sei ein Staatsgeheimnis, so die Erklärung. Bei Zuwiderhandlung hätten wir mit einem Verfahren vor dem Militärgericht zu rechnen. Dies wurde uns sowohl schriftlich als auch mündlich mitgeteilt.

- Wurde Ihnen nicht mitgeteilt, wer welche Aufgabe in welchem Bereich übernehmen würde?

Natürlich wurde uns das mitgeteilt. Nachdem wir übergesetzt hatten, versammelten wir uns auf einem Fußballplatz. Dort wurde uns erklärt, dass hier der Armenier und Terroristenchef Öcalan gefangen gehalten würde. Wir würden hier viele Dinge sehen. Wenn wir jedoch die Insel verließen, müssten wir uns so verhalten, als ob nichts geschehen sei. Sollten wir dem dennoch zuwiderhandeln, würde man uns ein Leben lang dafür zur Rechenschaft ziehen.

- Können Sie uns über die geographischen Gegebenheiten um Imrali etwas sagen?

Nach unserer Ankunft wurden wir auf der Insel herumgeführt. Man zeigte uns die Stellungen auf dem „Sternenhügel“ und den Hügel, auf dem sich die Radarstation befindet. Des Weiteren wurden uns die Stellungen gezeigt bzw. erläutert, welche in rote, gelbe und grüne Bereiche eingeteilt waren.

- Was ist die Bedeutung dieser Bereichseinteilung?

Im grünen Bereich können sich alle Soldaten frei bewegen. Zum gelben Bereich haben nur die Mitglieder der Sondereinsatzkommandos Zutritt, die an bordeauxfarbenen Baretten erkennbar sind. Zum roten Bereich hat niemand bewaffnet Zutritt, außer den Gefängniswärtern. Die Soldaten in diesem Bereich versehen ihren Dienst nur mit ungeladenen Waffen.

- Sind auf der Insel außer den militärischen Einrichtungen auch zivile Einrichtungen vorhanden?

Die ca. 20 Quadratkilometer große Insel ist in zwei Bereiche aufgeteilt. Der eine Teil gehört zum Militär und ist mit Stacheldraht umzäunt. Im anderen Teil befinden sich frühere Sommerresidenzen von Zivilisten und Werkhallen, in denen einmal Gefangene gearbeitet haben. Außerdem gibt es noch Felder und einen Hühnerhof. Dieser Teil liegt direkt an der Küste. Zutritt haben jedoch nur die Gefängniswärter.

- In welchem Bereich haben Sie Ihren Dienst versehen?

Hauptsächlich war ich für den Außen- und den Küstenwachdienst eingeteilt. Von dort aus meldeten wir alle Fremdobjekte, die sich der Insel näherten, an die Radarstation. Dort wurden die Informationen ausgewertet und alle weiteren Schritte eingeleitet. Wenn ein fremdes Objekt in die 5-Meilen-Zone eindrang, versuchte man per Funk Kontakt aufzunehmen. Für den Fall, dass auch die zweite Warnung unbeantwortet bleibt, bestand der Befehl zur sofortigen Vernichtung des sich nähernden Objekts.

- Sie haben also in diesen beiden Bereichen Ihren Wachdienst versehen?

In diesen beiden Bereichen hat überwiegend das Sondereinsatzkommando aus Bolu den Wachdienst versehen. Manchmal kam es aber auch vor, dass wir im gelben oder im roten Bereich den Wachdienst übernahmen. Ich selbst habe oft im grünen Bereich mit voller Ausrüstung Wache gehalten. Auch im roten Bereich hielt ich des Öfteren Wache.

- Wie hoch ist die Anzahl des Sicherheitspersonals auf der Insel? Wie wird die Insel geschützt?

Auf der Insel versehen insgesamt 700 Mitglieder des Sicherheitspersonals über 24 Stunden hinweg ihren Dienst. 250 davon sind entweder Offiziere oder Leutnants. Die Übrigen sind einfache Soldaten der Sondereinsatzkommandos des Heeres. Neben einem Kriegsschiff und einem U-Boot der türkischen Marine werden auch sechs Boote der Küstenwache zur Überwachung des Meeres eingesetzt. Die Spezialeinheit aus Bolu ist auf der Insel mit vier Aufgaben betraut. Diese sind der Außenwachdienst an der Küste, der Wachdienst im inneren Bereich zur Sicherheitskontrolle, der Bereitschaftsdienst für besondere Vorkommnisse sowie die Bewachung des Munitionsdepots.

- Das Sondereinsatzkommando aus Bolu wird auch innerhalb des Gefängnisses eingesetzt?

Das ist richtig. Der Wachdienst wird jedoch unbewaffnet durchgeführt. Wenn die „zivilen“ Wachmannschaften den Wachdienst übernehmen, werden die Einheiten abgezogen.

- Aus welchem Grund?

Unter normalen Bedingungen ist es nicht gestattet in den inneren Sicherheitsdienst einzugreifen. Auch das Betreten des roten Bereiches ist normalerweise strengstens untersagt.

- Werden Trainingsmaßnahmen auf der Insel durchgeführt?

Schießtraining und Sport sind an der Tagesordnung. Sporadisch wurden wir auch psychologisch geschult.

- Was ist das für ein psychologisches Training?

Höhere Offiziere hielten den Unterricht ab. Thema des Unterrichts war die Person Öcalans. Immer wieder wurde uns vermittelt, dass Öcalan armenischstämmig und ein Babymörder sei, auch, dass er die Türkei spalten wolle. Dieser Unterricht hatte auf die Soldaten eine durchschlagende Wirkung. Mit diesem Unterricht fingen die Soldaten an, Öcalan noch mehr zu hassen. Ich habe diesen Hass nicht einmal in den Sondereinheiten angetroffen, die mit mir in Kurdistan ihren Dienst verrichteten. Manche von uns teilten diese Einstellung nicht. Dies offen zu sagen traute sich jedoch niemand, da man Nachteile für die eigene Militärlaufbahn befürchtete. Man „führte“ uns Öcalan wie eine Trophäe vor. Die höheren Offiziere ließen keinen Zweifel daran, dass Öcalan jemals die Insel lebendig verlassen könnte.

- Laut Ihrer Aussage hegen die Offiziere und Soldaten Hass gegen Öcalan. Warum hat dieser Hass, ich meine in diesem Fall den persönlichen Hass, nicht zu Übergriffen auf Öcalan geführt?

Das ist nicht möglich. Zumindest ist dies meine Meinung. Denn jeder will vor allem seine Dienstzeit ohne Zwischenfälle beenden und so schnell wie möglich wieder heimkehren. Zu einer solchen Aktion fehlt dem Einzelnen auch der Mut, da dies auch den eigenen Tod mit sich bringen könnte. Leute mit dieser Absicht werden auch nicht in die Nähe von Öcalan gelassen.

- Soweit wir informiert sind, liegt die Haftzelle Öcalans in einiger Entfernung zum Gerichtssaal auf Imrali. Sollte es nun doch zu einer Neuverhandlung des Öcalanverfahrens kommen, bestünde nicht Gefahr, dass Öcalan auf dem Weg zum Gericht etwas widerfahren könnte?

Das ist unwahrscheinlich. Zwar wünscht sich jeder einen solchen Zwischenfall. Die Umsetzung einer solchen Aktion ist unter normalen Bedingungen jedoch sehr schwierig. Ausgeschlossen ist so etwas jedoch nicht. Wenn einer der wachhabenden Soldaten psychisch erkranken würde, wären die Konsequenzen nicht absehbar.

- Gibt es einen besonderen Grund für den psychologischen Unterricht?

Die Offiziere schulten uns so, als ob Imrali zu jeder Zeit angegriffen werden könnte. Dies ist aber auch eine reale Befürchtung. Mit dem psychologischen Unterricht sollten wir auch für eine derartige Situation vorbereitet werden, um unsere Dienstbereitschaft noch zu verstärken. Aus diesem Grund ist auf Imrali die Bestrafung von Offizieren, Sondereinheitsangehörigen oder Soldaten untersagt. Wenn du dort ein Disziplinarvergehen begehst, hat dies keine Konsequenzen.

- Dies ist doch sehr ungewöhnlich. Das scheint nur auf Imrali so zu sein?

„Keine Bestrafung“ bedeutet: keine Disziplinarstrafen. Eine solche Disziplinarstrafe könnte die Moral des Einzelnen untergraben. Denn jede Disziplinarstrafe führt auch zu einer Verlängerung der Dienstzeit, was nicht unbedingt förderlich für die Moral der Truppe ist. Statt Disziplinarstrafen werden vielmehr körperliche Züchtigungen angewandt.

- Wurden Sie über die Besuche der Rechtsanwälte Öcalans unterrichtet?

Dies geschah, wenn ich Außenwachdienst hatte. Ihr Kommen wurde uns zwei Tage vorher per Fax aus Mudanya mitgeteilt. So wussten wir schon vorweg Bescheid, wenn der Besuch wegen „widrigen Witterungsbedingungen“ nicht stattfand.

- Wie verhielten Sie und die Offiziere sich, wenn die Anwälte Öcalans auf die Insel kamen? Des Weiteren ist bekannt, dass immer wieder die Besuche der Rechtsanwälte mit der Begründung „widriger Witterungsverhältnisse“ verhindert werden. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür?

Bei jeder Ankunft der Rechtsanwälte gab es den einen oder anderen, der seinen Missmut nicht verbergen konnte. Besser gesagt, diese Leute konnten ihren Hass nicht verbergen. Sie fragten sich, warum man immer noch diese Besuche zulässt. Begründungen wie „widrige Witterungsverhältnisse“ und „technische Probleme am Fährboot“ sind meiner Meinung nach nur Vorwände. Denn aufgrund meiner Tätigkeit im Außenwachdienst weiß ich, dass selbst bei Sturm das Militärboot mindestens einmal täglich vom Festland kommt. Zudem wurde uns schon zwei Tage vorher mitgeteilt, ob der Besuch stattfinden wird oder nicht.

- Hatten Sie während Ihres Dienstes auf Imrali Kontakt zur Außenwelt, wie Brief- oder Telefonkontakt?

Nein. Unser Sondereinsatzkommando aus Bolu hatte zu keiner Zeit und in keiner Form Kontakt zur Außenwelt. Telefonieren und Briefe Schreiben war sowieso verboten. Außerdem wussten unsere Familien nicht einmal, dass wir auf Imrali waren. Wir hatten nicht einmal die Möglichkeit, vor unserem Abmarsch nach Imrali unseren Familien Bescheid zu geben. Nur die Offiziere trugen Mobiltelefone bei sich, die sie auch benutzen, obwohl dies strengstens verboten war.

- Kam es in Ihrer Dienstzeit auf Imrali zu einem außerordentlichen Vorfall, an den Sie sich erinnern können?

Ja. Ein Mal landete ein Militärhubschrauber außerplanmäßig auf der Insel. Von weitem konnte ich beobachten, dass die Insassen zivil gekleidet waren. Es waren zwei Frauen und zwei Männer, allesamt sehr fein gekleidet. Es sah nicht danach aus, als ob sie Angehörige des Militärs gewesen wären. Vielmehr wie Vertreter der Justizbehörde oder wie eine Delegation des Gerichts. In dieser Situation wurden sämtliche Sondereinheiten ohne Vorankündigung von ihrem Posten zum Radarhügel abgezogen. Das geschah immer, wenn Zivilisten auf die Insel kamen. Während meiner gesamten Dienstzeit ist dies dreimal passiert. Der Grund hierfür hat sich mir nicht vollständig erschlossen. Sie wissen vielleicht, dass das Sondereinsatzkommando aus Bolu nicht in den Akten der NATO aufgeführt ist. Das könnte der Grund dafür gewesen sein. Die routinemäßigen Besuche von Ärztedelegationen zähle ich nicht dazu. Diese kehrten auch immer sofort nach Verrichtung ihrer Arbeit zurück. Kurz bevor ich die Insel verließ, wurden Wachhunde der Kategorie K9 auf die Insel gebracht. Das sind Hunde, die einer besonderen Ausbildung zur Wahrnehmung von Gerüchen und Geräuschen unterzogen worden sind.

- Hatten Sie die Möglichkeit, die Besucher auf der Insel aus der Nähe zu sehen?

Nein. Die Nachricht von ihrer Ankunft verbreitete sich aber in Windeseile. Können Sie sich noch an das Bild von den Mitgliedern des Einsatzkommandos erinnern, das Öcalan mit dem Flugzeug aus Kenia in die Türkei brachte? Einer davon sei Ali Can gewesen, so sagte man. Von Zeit zu Zeit kam er auf die Insel. Jeder behandelte ihn wie einen Held. Auch ich habe ihn einmal gesehen. Er ist groß gewachsen und blond. Ich weiß nicht, was er auf der Insel zu suchen hatte. Man sagte nur, dass er eine ganz spezielle Ausbildung beim Sondereinsatzkommando von Bolu erhalten habe.

- Besuchen hoch gestellte Angehörige des Militärs die Insel?

Davon habe ich nichts mitbekommen. Manchmal kamen Zivilisten auf die Insel. Man teilte uns mit, dass diese zu Bauarbeiten gekommen seien. Ob dies der Wahrheit entsprach, kann ich nicht beurteilen.

- Konnten Sie das Gebäude betreten, in dem Herr Öcalan gefangen gehalten wird? Wenn ja, welche Besonderheiten weist dieses Gebäude auf?

Ich habe niemals das Stockwerk betreten, in dem sich Öcalan befand. Ich konnte ihn nur durch Kameras beobachten. Das Gebäude selbst hat drei Stockwerke. Die Wächter im Gebäude sind allesamt unbewaffnet. Sobald ein höher gestellter Offizier das Gebäude betritt, muss er seine Waffe am letzten Kontrollpunkt dem Dienst habenden Verantwortlichen übergeben. Öcalan befindet sich im Erdgeschoss. Es ist vollständig von einer Mauer mit Stacheldraht umgeben. Das Erdgeschoss birgt auch eine Reihe elektronischer Geräte. Im ersten und zweiten Stockwerk werden Ausrüstungsgegenstände des Personals aufbewahrt. Ebenso befinden sich dort eine Reihe von Computern, die Schaltzentrale der Überwachungsanlage, Radarsysteme und ein Medikamentendepot. Wie ich schon erwähnte, befindet sich Öcalan im Erdgeschoss. Soweit ich das über die Monitore beobachten konnte, befindet sich neben der Gefängniszelle ein 9–10 Quadratmeter großer Hof, der mit einem Drahtverschlag nach oben hin abgeschlossen ist. Seine Zelle und deren Umgebung werden von zehn Kameras überwacht. Seine sämtlichen Tätigkeiten werden lückenlos beobachtet. Ob er sich nun auf der Toilette befindet oder beim Hofgang, ob er schläft oder ob er schreibt, alles wird mit den Kameras überwacht und aufgezeichnet.

- Werden die Überwachungsaufnahmen archiviert?

Alles wird aufgenommen und archiviert. Minute für Minute. Das Archivmaterial wird periodisch nach draußen geschickt. Wohin es geschickt wird, weiß ich nicht. Manche sagen, dass es an die Menschenrechtskommission geschickt werde, andere sind der Meinung, dass es nach Ankara verbracht würde.

- Sind Sie sich sicher, dass die Aufnahmen ununterbrochen archiviert und allesamt verschickt werden?

Ob dies ununterbrochen geschieht, entzieht sich meinem Wissen. Man sagte uns jedoch, dass von den Aufnahmen zwei Kopien angefertigt würden.

- Konnten Sie Öcalan selbst beobachten?

Als ich einmal Dienst im roten Bereich hatte, konnte ich ihn zweimal auf den Monitoren beobachten. Diese befinden sich im ersten Stock des Gebäudes. Beim ersten Mal sah ich ihn ein Buch lesen. Er hatte eine große Bücherei zur Verfügung. Die Bücher, die nicht mehr in das Regal passten, waren auf dem Tisch akribisch aufgereiht. Beim zweiten Mal sah ich, wie er sich das Gesicht wusch und sich anschließend auf dem Bett ausstreckte. Nach drei Minuten stand er wieder auf und setzte das Lesen fort. Wie ich von meinen Kameraden erfuhr, die ihn ständig beobachteten, würde er niemals im Bett ausgestreckt lesen. Er würde ziemlich spät zu Bett gehen. Zudem stehe er zu früher Morgenstunde auf und würde entweder schreiben oder lesen. Manchmal unterbreche er das Lesen und lege das Buch beiseite, um ein paar Minuten auf und ab zu gehen.

- Wie war Ihrer Einschätzung nach sein gesundheitlicher Zustand?

Ich sah ihn des Öfteren im Fernsehen, als ich noch Zivilist war. Im Vergleich dazu hat er heute ziemlich abgenommen. Seinen Schnurrbart hat er auch abrasiert.

- Was haben Sie gefühlt, als Sie die Monitorbilder sahen?

Ich habe meine Emotionen versteckt. Ich sprach auch nicht darüber mit dem Soldaten des Sondereinsatzkommandos, der mit der Kameraüberwachung beauftragt war und es mir erlaubte, einen Blick auf Öcalan zu werfen. Ich beobachtete den Monitor, ohne etwas zu sagen. Der Kamerad machte hingegen abfällige Bemerkungen. Danach bin ich umgehend wieder zu meiner Stellung zurückgekehrt. Ich war ganz verwirrt. Ich weiß heute noch nicht, wie ich damals zurückkam. Das, was ich auf dem Monitor gesehen hatte, beeindruckte mich nachhaltig. Ich fragte mich, wie Öcalan es in dieser engen Zelle aushält. Ständig allein, nur von Kameras umgeben. Das beschäftigte mich doch sehr. Tagelang fand ich keinen Schlaf. Ich musste ständig an die Orte denken, wo ich in Kurdistan meinen Dienst verrichtet hatte. Ich dachte an die Dörfer, ihre Bewohner, an die Guerilleros.

- Hatten Sie zu den Wächtern Kontakt, die Öcalan überwachten oder mit ihm gesprochen haben?

Ja. Ich lernte einmal einen MHPler aus Erzurum kennen. Er vertraute mir. Er sprach von Öcalan mit Bewunderung. Er sagte, dass sich Öcalan sehr umsichtig verhalte. Normalerweise ist das Sprechen mit Öcalan strengstens untersagt. Trotzdem wechselte er eines Tages mit ihm ein paar Worte. Öcalan soll demnach gesagt haben, dass er sich keine Sorgen machen solle. Alles hätte seinen Sinn und seinen Grund. Er würde es eines Tages schon verstehen. Der Kamerad sagte auch, dass er vorher nie geglaubt hätte, dass Öcalan eine derartige respektvolle und wissende Persönlichkeit sei.

- Wie oft wechseln die Wachmannschaften?

Außer den Soldaten bzw. den Mitgliedern der Sondereinsatzkommandos wechseln die Wachmannschaften alle drei Monate einmal. Die Auswahl der einzelnen Mitglieder wird in Ankara getroffen. Dies haben wir so gehört.

- Wem obliegt die Leitung der Gefängnisinsel?

Diese befindet sich nicht auf der Insel. Zwar werden alle Weisungen auf der Insel durch die Kommandeure der jeweiligen Einheiten umgesetzt. Die eigentlichen Entscheidungen kommen jedoch von außen. Dies betrifft sowohl die gesamte Koordination und die Lösung von Sicherheitsproblemen als auch die Anwaltsbesuche auf der Insel, die Gesundheitsprobleme und Haftbedingungen von Öcalan, seine Zeitungen, sein Radio, eben alles. Täglich erhielten wir auf der Insel Dutzende von Faxen. Die Nachrichtendienstoffiziere sagten uns, dass diese Nachrichten aus einem Zentrum in Ankara kämen. Welchen Namen es habe oder wem es unterstehe, wurde uns nie gesagt.

- Wie sind die klimatischen Bedingungen auf der Insel?

Im Winter ist es sehr kalt. Im Sommer sehr schwül und feucht. Selbst uns bereiteten die klimatischen Bedingungen große Schwierigkeiten, obwohl wir eigentlich abgehärtet sind. Die Wachen des Innendienstes sagten uns, dass es im Sommer in den Gebäuden sehr heiß sei. Ob dies auch für die Gefängniszelle von Öcalan gilt, weiß ich nicht. Fest steht jedenfalls, dass sich die klimatischen Bedingungen auf alle Menschen auf der Insel nachteilig auswirken.

- Sorgt die Sondereinsatzbrigade aus Bolu immer noch für die Sicherheit der Insel?

Vor meiner Entlassung aus dem Dienst kam mir zu Ohren, dass die Sondereinsatzkommandos für den Außensicherheitsdienst wechseln würden. Welche Brigade nun den dortigen Dienst versieht, entzieht sich meinem Wissen. Ich weiß nur, dass diese Brigade sich wieder aus speziell ausgebildeten Soldaten zusammensetzen wird.

***

[1] Der Soldat E. A. stammt ursprünglich aus Dersim. Aufgewachsen ist er jedoch in Istanbul. Im Jahre 2000 trat er seinen Wehrdienst an. Seine Grundausbildung absolvierte in Isparta. Später wurde er zum Sondereinsatzkommando in Bolu versetzt, wo er eine zusätzliche Spezialausbildung erhielt. Seinen Wehrdienst leistete er in verschiedenen Gegenden in Kurdistan ab. Demnach versah er seinen Dienst in Kulp, nahe Diyarbakir, in Lice und im Landkreis von Genc in Bingöl. Ohne ersichtlichen Grund wurde er später wieder von der Brigade zurückbeordert. Nach einer vierzigtägigen Spezialausbildung wurde er zusammen mit anderen Soldaten nach Mudanya verbracht, um von dort aus auf die Gefängnisinsel Imrali überzusetzen. E. A. war von Oktober 2000 bis Februar 2001 auf Imrali stationiert, wo er auch im inneren Sicherheitsbereich von Imrali tätig war.

[2] Blaues Barret: blaufarbene militärische Kopfbedeckung von Soldaten der Sondereinsatzkommandes der türkischen Armee. Gilt auch als Erkennungszeichen von Eliteeinheiten der türkischen Armee, das den Anwärtern nach erfolgreich bestandener Ausbildung feierlich übergeben wird.

[3] Ali Can: Mitglied eines Sondereinsatzkommandos des türkischen Militärgeheimdienstes, dass den von CIA-Agenten verschleppten Kurdenführer Öcalan am 15. Februar 1999 in Kenia in Empfang nahm und in die Türkei verbrachte.

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18.07.2005

Interview: Gerd Schumann / Junge Welt

»Sie wollen Öcalan politisch hinrichten«

Türkei will das EU-Urteil zur Neuauflage des Prozesses gegen den Ex-PKK-Vorsitzenden unterlaufen. Ein Gespräch mit Mahmut Sakar*

* Mahmut Sakar, 38jähriger Rechtsanwalt aus Diyarbakir, gehört seit Beginn des Verfahrens gegen Abdullah Öcalan zu dessen Anwaltsteam. Öcalan, ehemals Vorsitzender der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Chef der kurdischen Guerilla, wurde im Januar 1999 vom türkischen Geheimdienst in die Türkei verschleppt. Der Prozess gegen ihn, der mit einem später in lebenslänglich umgewandelten Todesurteil endete, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Mai 2005 als »nicht fair« gewertet. An die Türkei erging die Empfehlung, ein neues Verfahren anzusetzen.

F: Seit dem 1. Juni ist Schluss mit Anwaltsbesuchen bei Abdullah Öcalan auf der Ein-Mann-Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Ihr Mandant verweigert den bisher mehr oder weniger regelmäßigen wöchentlichen Kontakt. Warum?

Hauptgrund sind die in der Türkei am 1. Juni in Kraft getretenen Sondergesetze. Diese schreiben bei Anwaltsbesuchen die Anwesenheit einer dritten Person vor. Ihre Anwendung bekamen unser Mandant und wir direkt am 1. Juni zu spüren: Während des Gesprächs war nicht nur eine dritte Person anwesend, sie nahm zudem jedes Wort auf Tonband auf. Darüber hinaus wurden die Anwaltsnotizen beschlagnahmt. Sowohl Öcalan als auch wir Anwälte sehen uns unter diesen Umständen nicht mehr in der Lage, Gespräche zu führen.

F: Bisher hieß es immer, im Zuge der Bemühungen der Türkei, EU-Mitglied zu werden, solle das Recht liberalisiert werden. Nun passiert das Gegenteil. Ein Widerspruch?

In der Tat passen die Sondergesetze nicht zu den türkischen EU-Plänen, in deren Rahmen immerhin ein neues türkisches Strafrecht entstand. Die Sondergesetze wurden speziell für den Fall Öcalan gemacht. Das geschah insbesondere als Reaktion auf das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Strasbourg vom 12. Mai, das die Wiederaufnahme des Öcalanverfahrens empfiehlt.

F: Wie reagiert Strasbourg auf die neuen Repressalien gegen Öcalans Recht auf Verteidigergespräche? Immerhin verhindern diese derzeit eine Umsetzung des EU-Urteils...

Wir führten zwar Gespräche mit Abgeordneten auch des europäischen Parlaments und mit Vertretern von EU-Institutionen und informierten sie, doch gibt es keine offizielle Erklärung seitens der EU. Wir wollen deshalb demnächst gegen die Sondergesetze und deren Anwendungen rechtlich in Strasbourg vorgehen.

F: Nun mahlen die Mühlen der europäischen Justiz bekanntlich sehr langsam. Wann rechnen Sie damit, dass wieder ein Anwaltsbesuch auf Imrali stattfinden kann?

Gespräche mit Öcalan hängen nicht von unserer Klage beim EU-Gerichtshof ab. Wir werden nicht auf eine Entscheidung warten und haben im Übrigen parallel auch in der Türkei rechtliche Schritte eingeleitet.

F: Gibt es Hoffnung, dass ausreichend politischer Druck entwickelt werden kann, um den türkischen Staat zum Einlenken zu bringen?

Es ist weniger die Hoffnung, die man hegt. Wir als Anwälte werden uns natürlich entsprechend unserer Möglichkeiten engagieren. Jedoch sprengt der Fall Öcalan den rein juristischen Rahmen. Grundsätzlich sind wahrscheinlich in keinem anderen Verfahren Justiz und Politik dermaßen eng miteinander verknüpft. Die Türkei versucht, die Gespräche Öcalans mit den Anwälten zu verhindern und damit auch generell den juristischen Weg im Fall Öcalan zu verbauen.

F: Warum sabotiert die Türkei den EU-Gerichtsbeschluss auf Durchführung eines neuen Öcalan-Prozesses?

Sie möchte die Sache abhaken. Ein neuer Prozess würde die kurdische Frage thematisieren, und er würde die Bedeutung Öcalans für die Lösung des Konflikts verdeutlichen. Es ist zumindest interessant, dass unmittelbar nach dem EU-Urteil, wonach Öcalan kein faires Verfahren erhalten hat, die Behinderung von Verteidigerrechten einsetzte. Statt also Verbesserungen im Fall Öcalan vorzunehmen, legitimiert die Türkei Verschlechterungen sogar noch mit neuen Gesetzen. Das kann auf zweierlei Art gedeutet werden: Ankara lehnt den Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ab. Oder es gibt eine Übereinkunft mit EU-Kräften, so zu agieren.

F: Auch die zwölf Berufsverbote gegen Öcalan-Anwälte, die im Juni und Juli verhängt wurden, deuten darauf hin, dass die Türkei einen harten Kurs fahren will. Ankara begründet dieses Vorgehen damit, dass die Anwälte Instruktionen von Öcalan an die kurdische Bewegung veröffentlicht hätten. Stimmt das?

In den sechs Jahren, in denen Herr Öcalan in der Türkei festsitzt, hat er viele Verteidigungsschriften geschrieben, die auch als Bücher herausgebracht worden sind. Wir haben nichts nach außen getragen, was nicht schon darin stand. In den sechs Jahren haben wir sehr selten Presseerklärungen abgegeben oder Pressekonferenzen durchgeführt. Das geschah lediglich an den Tagen, an denen es Verschärfungen oder Besonderheiten gab - insgesamt vielleicht vier oder fünf Mal. Während der gesamten sechs Jahre wartete nach jedem Besuch auf Imrali immer Presse auf uns. Wir wurden befragt, wie es unserem Mandanten geht, was er zu welchem Thema denkt - und wir antworteten kurz. Das wurde dann staatlicherseits als Veröffentlichung von uns gewertet.

F: Während der Jahre veröffentlichten die Anwälte aber auch politische Orientierungen, wie beispielsweise 1999 die Empfehlung Öcalans, die Guerilla aus Nordkurdistan (Türkei) in den nordirakischen Süden zurückzuziehen.

Das stimmt. Angesichts der Bedeutung des Gefangenen sollte unser Verhalten verständlich und nachvollziehbar sein: Schließlich mißt auch der Staat Öcalan einen Sonderstatus zu und behandelt ihn anders als andere Gefangene, isoliert ihn nun schon seit über sechs Jahren. Für viele Kurden ist sein Wort sehr wichtig. Nehmen Sie den erwähnten Appell von 1999 an die Guerillakräfte, sich außerhalb der Staatsgrenzen der Türkei zu begeben. Er war wichtig, und wir haben ihn öffentlich gemacht.

F: Warum wurde das von der Türkei damals zugelassen – und warum heute nicht mehr?

Wir haben niemals für unsere Pressekonferenzen eine Genehmigung beantragt. Doch offensichtlich will der türkische Staat derzeit die Bindung zwischen Öcalan und dem kurdischen Volk unterbrechen. Aus dem Grunde wurde Öcalan isoliert. Sie haben ihn zwar nicht hingerichtet, aber ich denke, politisch versuchen sie das gerade.

F: Die Situation ist verfahren, Sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, das EU-Urteil umzusetzen?

Es ist mehr als schwierig. Sowohl die jüngsten Gesetzesänderungen als auch die chauvinistische Atmosphäre in der Türkei lassen die Zweifel wachsen. Dazu gehören auch die Äußerungen wichtiger Vertreter von Armee, Politik und Bürokratie, wonach es völlig egal ist, ob Öcalan einen neuen Prozess bekommt: An dem Urteil würde sich sowieso nichts ändern. Das alles weist darauf hin, dass es in der Türkei kein faires Verfahren geben wird, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt. Daher fordern wir ein unabhängiges internationales Gericht. Von diesem sollte dann auch die türkische Seite für ihre Taten verurteilt werden.

F: Das bedeutet zurzeit, dass es kein neues Verfahren geben wird. Aber eigentlich müssten doch zumindest jene in die EU strebenden Teile der türkischen Führung Interesse haben, das Straßburg-Urteil umzusetzen...

Ich will nicht leugnen, dass es in der jüngsten Vergangenheit auch Fortschritte im türkisch-kurdischen Verhältnis gab, doch grundsätzlich hält die Türkei an ihrer Politik fest. Sie fällt sogar in die Zeit vor 1999 zurück. Das heißt: Das Militär agiert offensiver. Die demokratischen Kräfte schwächeln. Die nationalistischen Kräfte sind im Auftrieb. Sie sind gegen eine demokratische Lösung der kurdischen Frage. Sie möchten diese wie ehedem militärisch lösen.

F: Wie reagiert die kurdische Seite auf diese Zuspitzung?

Das Vorgehen gegen Öcalan wird von den Kurden als Kriegserklärung der Türkei begriffen. Öcalan selbst interpretierte die Sondergesetze beim letzten Gespräch mit den Anwälten als Ende der kurdisch-türkischen Friedensphase.