Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.

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Düsseldorf, 17. Juni 2003

 

Frauendelegation in die Türkei

Frauen: Hinfahren, Gülbahar und den anderen zur Seite stehen!

Frauen, die kämpfen, sind eine Gefahr für das System. Das sieht auch der türkische Staat so und schlägt mit voller Kraft zurück. Am 14. Juni wurde Gülbahar Gündüz in Istanbul von vier Zivilpolizisten auf offener Straße entführt und anschließend acht Stunden lang gefoltert und vergewaltigt. Gülbahar ist Vorstandsmitglied der DEHAP-Frauenfraktion in Istanbul und eine der Tausenden von Frauen in der Türkei, die organisiert für eine Veränderung der Zustände arbeiten. Sie ist eine von Millionen von Frauen, die weltweit sagen: Eine andere Welt ist möglich. Sie ist Kurdin, sie fordert Frauen- und Menschenrechte und sie arbeitet aktiv in der Kampagne "Für gesellschaftlichen Frieden und demokratische Partizipation", in deren Rahmen als erster juristisch notwendiger Schritt eine bedingungslose Generalamnestie für alle politischen Gefangene einschließlich der Guerilla angesehen wird. Deshalb wurde sie im Auftrag des Staates vergewaltigt. Sie wurde ausgesucht als Beispiel für alle Frauen, die für ihre Rechte kämpfen. Sie wurde acht Stunden lang gefoltert als Botschaft an alle Frauen: "Wenn Ihr nicht wollt, dass Euch gleiches wiederfährt, dann bleibt zuhause. Richtet Eure Blicke auf den Boden und schweigt. Ihr seid schwach, Ihr könnt Euch nicht wehren, wir können alles mit Euch machen."

Aber die Frauen in der Türkei und in Kurdistan bleiben nicht zuhause. Sie schweigen nicht. Ihre Stimmen werden immer lauter. Gestern sind sie nach Bingöl gefahren. Aus allen Ecken der Türkei sind sie dorthin gefahren, wo seit zwei Wochen Militäroperationen der türkischen Armee gegen die kurdische Guerilla laufen, die seit über vier Jahren den bewaffneten Kampf eingestellt hat. In Bingöl hat es wieder Tote gegeben. Die Frauen sind dorthin gefahren, um einen Friedenstisch aufzubauen. Vor der Abfahrt aus Istanbul hielt die Soziologin Pinar Selek eine Ansprache, in der sie sagte:

"Wir Frauen sagen: Die Waffen sollen endlich schweigen. Die Waffen sollen schweigen und der Angriff der patriarchalen, militaristischen Politik gegen unser Leben, unsere Körper, unsere Geschichte, unsere Kultur soll ein Ende finden. Die Gewaltkultur soll schweigen und das Grauen beendet werden, mit dem die Völker sich gegenseitig in den Abgrund stürzen. Die Waffen sollen schweigen und wir müssen reden. Lasst uns über die niedergebrannten Dörfer sprechen, über die Toten, die Vergewaltigungen, die Erniedrigungen, die Verleugnung und Vernichtung sprechen. Lasst uns über alles sprechen, was geheim gehalten wird und lasst uns gegenseitig in Erfahrung bringen, was wir erlebt haben. Lasst uns Frauen, Männer, Jugendliche, Alte, Kinder alle an diesem Tisch zusammen kommen und zur Stimme der Gesellschaft werden. Lasst uns als Individuen und zivile Organisationen gemeinsam eine Friedenskultur erschaffen. Setzen wir uns an den Friedenstisch und überwinden so die Ausweglosigkeit."

Aber der Staat wollte nicht, dass gesprochen wird. Der Staat sieht sich bedroht durch einen Tisch mit einem weißen Tischtuch, der von Frauen aufgestellt wird. Pinar und mit ihr 119 Frauen aus verschiedenen Städten der Türkei wurden gestern noch festgenommen. Aufgrund ihrer Position als Anwältinnen wurden Eren Keskin, die stellvertretende IHD-Vorsitzende, und mit ihr drei weitere Frauen freigelassen. Die anderen befinden sich immer noch in Gewahrsam der Polizei. Sie werden verhört und geschlagen.

In Diyarbakir gingen gestern hundert Frauen der Initiative "Mütter für den Frieden" auf die Straße, um ihrer Forderung nach gesellschaftlichem Frieden Ausdruck zu verleihen. Aus Protest gegen die Vergewaltigung von Gülbahar Gündüz wollten sie eine halbstündige Sitzaktion abhalten. Hundert Mütter mit weißen Kopftüchern, die sitzend und schweigend gegen eine staatliche Vergewaltigung protestieren, sind eine eine Bedrohung für den Staat. Sie wurden mit Knüppeln auseinander getrieben.

Die vielfachen Reaktionen von Frauenorganisationen auf die Vergewaltigung von Gülbahar Gündüz machen deutlich, dass die gewollte staatliche Botschaft ihr Ziel nicht erreicht. Die einhellige Antwort lautet: Keine Repression kann uns einschüchtern. Der Mensch wird durch Freiheit zum Menschen, das Leben durch Würde zum Leben.

Trotzdem: Der Staat schlägt zurück. Alleine abends nach Hause zu gehen, ist für Frauen noch unangenehmer als zuvor geworden. Wenn ein weißes Auto neben dir anhält, zuckst du unwillkürlich zurück. Jede Verspätung ist wieder Anlass zur Sorge. Aber gegen die Angst hilft der gemeinsame Kampf.

Wir rufen alle Frauen dazu auf, Gülbahar und den anderen zur Seite zu stehen. Lassen wir sie jetzt nicht allein. Lasst uns hinfahren und zeigen, dass der Kampf um Befreiung international ist. Der Angriff auf Gülbahar gilt uns allen.

Innerhalb kürzester Zeit wollen wir eine Frauendelegation in die Türkei organisieren, die mit den Frauen vor Ort zusammentreffen, sich austauschen und praktische Solidarität zeigen soll.

Weitere Informationen können bei uns im Büro angefragt werden.