Bericht der Hamburger PDS- Delegation

die als Beobachter/innen -Gruppe für den Bundesvorstand der PDS die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei in der Zeit vom 15. -22.3.03 bereiste. Teilnehmer/innen waren:
Christian Arndt, Robert Jarowoy, Aleksandra Kruk, Birgit Möbus, Peter Püschel, Beate Reiß, Brigitte Reiß, Ludger Schulte

Direkt nach unserer Wiederkehr vernahmen wir die nachstehende, für uns doch etwas befremdliche Äußerung einer deutschen Politikerin, Menschenrechtsexpertin und Kurdistan-Kennerin im NDR-Morgenradio: "Ich fürchte, dass es zu einem Wiederaufflackern der kurdischen Frage kommen könnte." Claudia Roth, 25.3.03

Wir stellen dem zu Beginn unseres Berichtes einige Zitate unserer kurdischen Gesprächspartner/innen gegenüber:

"Der Krieg der Amerikaner gegen den Irak dient ausschließlich den Interessen der USA und wird nicht zuletzt auf dem Rücken der Kurdinnen und Kurden austragen - diesseits und jenseits der türkisch-irakischen Grenze."

"Die Isolation des KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan ist der Ausdruck der Isolierung des kurdischen Volkes gegenüber der Weltöffentlichkeit."

"Verantwortlich sind die USA, schuldig die Türkei, mitschuldig Europa - insbesondere Deutschland - also all jene, die das seit 4 Jahren andauernde Friedensangebot der Kurden unbeachtet ließen."

"Die Kurden sind nicht bereit, sich die wenigen Rechte, die sie für sich durchgesetzt haben - die zumindest teilweise Anerkennung ihrer Identität und Sprache - wieder nehmen zu lassen."

"Seit den Wahlen zum neuen türkischen Parlament im November 2002 und der Übernahme der Regierung durch die AK-Partei hat sich die Lage für das kurdische Volk erneut verschärft."

"Wenn es nicht sehr bald eine Wende gibt, und der Zeitpunkt ist fast schon überschritten, wird den Kurden ein neuer Krieg aufgezwungen, der neues, unsägliches Leid - auch für die Türkei - mit sich und niemanden einen Gewinn einbringen wird."

Dies sind, herausgegriffen, und doch immer wieder und überall die unserer Delegation gegenüber geäußerten Kernaussagen unserer Gesprächspartner der nachfolgenden kurdischen Vereine und Organisationen, wobei unsere Gespräche in der Regel mit den Vorständen in ihren Vereinslokalen/Büros im Beisein jeweils Dutzender zufällig anwesender Mitglieder geführt wurden und von diesen durch Applaus und Schilderung durchweg erschütternder Einzelschicksale bestätigt wurde.

Unsere Gesprächspartner:

in Istanbul:15.03.03
MKM, das gerade verbotene Mesopotamische Kulturzentrum

in Van:16.03.03
- DEHAP-Vorstand
- IHD-Vorstand (Menschenrechtsverein)
- TÜYAD-DER-Vorstand (Verein der Angehörigen der ca.5.000 - 10.000 politischen Gefangenen)
- GÖC-DER-Vorstand (Hilfs- und Selbsthilfeverein der kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak und der Türkei)
- Frauenausschuß der DEHAP
- Mitglieder des Stadtrates

in Batman: 18.03 -19.03.03 - DEHAP-Vorstand
- Petrol-Is-Vorstand
- stellvertretender Bürgermeister und Mitglieder des Stadtrates

in Diyarbakir: 20.03 -21.03.03
- Frauenzentrum Selis-Vorstand
- Friedensmütter (Mütter der im Krieg zwischen dem türkischen Staat und der PKK gefallenen Kämpfer/innen)
- der Oberbürgermeister von Diyarbakir
- Egitim Sen-Vorstand (Erziehungsgewerkschaft, Schwestergewerkschaft der GEW)

Zum Abschluss der Gespräche am 21.März, dem Newroz-Tag,
Teilnahme an der Großveranstaltung der DEHAP mit ca. einer halben Millionen Menschen

Anlagen: 2 Presseerklärungen der Delegation über Behinderungen und Proteste unterwegs.
2 Zeitungsartikel aus der FR und dem ND von Dieter Balle bzw. Gerd Höhler

15.3.03 Mesopotamisches Kulturzentrum (MKM) -Istanbul


Das MKM, das die Wahrung und Entwicklung aller zwischen Tigris und Euphrat entstandenen Kulturen zur Zielsetzung hat, wurde fast zeitgleich mit der HADEP am 13.3.03 verboten. Das MKM, dessen Zweigstellen in anderen kurdischen und türkischen Städten in der Vergangenheit immer wieder verboten wurden, arbeitet in loser Kooperation mit ähnlich ausgerichteten Vereinen wie z. B. dem TKM (Tigris Kulturzentrum in Diyarbakir) zusammen. Schwerpunkte sind die Produktion von Musikkassetten, Büchern und Broschüren, Theaterstücken sowie Live-Auftritte bei Veranstaltungen in der Türkei, Kurdistan und Europa, z.B. gelegentlich des Newrozfestes.
Das MKM schätzt die Politik der neuen AKP-Regierung so ein, dass sie die "kurdische Frage" marginalisieren bzw. völlig leugnen wollen. So hat der AKP-Vorsitzenden Erdogan gleich nach dem Wahlsieg seiner Partei im November 2002 in Washington und Moskau erklärt: "Es gibt bei uns keine kurdische Frage." Dabei spiele die Türkei auf Zeit, indem sie hoffe, dass die unentschiedenen zögerlichen Europäer die Angelegenheit langsam vergäßen. Natürlich seien die Kurden sehr enttäuscht von Europa, besonders von Deutschland, da es die Türkei aufgrund ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung bezüglich demokratischer Rechte insbesondere im Bezug auf die Kurdenfrage sehr wohl unter Druck setzen könne, dies aber nicht tue. Ohnedies würden sich die europäischen Staaten im justitiellen Bereich noch nicht mal an ihre eigenen Gesetze halten. Dies würde deutlich werden in der Handhabung des Asylrechts gegenüber Kurdinnen und Kurden sowie bei dem internationalen Komplott bei der völkerrechtswidrigen Entführung des KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan.
Während die türkischen Intellektuellen zunehmend die Position verträten, dass die europäischen Staaten nur an einer Wirtschaftsbeziehung zur Türkei interessiert seien, nicht aber an einer politischen Aufnahme der Türkei in die EU, und deshalb die Frage aufwürfen, ob man sich nicht lieber gleich den USA annähern solle, sehen die Kurden immer mehr die Gefahr, dass sie durch die zunehmend restriktive Politik der Türkei und der nebelhaften Politik Europas allein auf die eigene Kraft gestützt in einen neuen Krieg getrieben würden.
In Istanbul leben ca.2 Millionen kurdische Flüchtlinge und Migranten/innen. Die Arbeit des Kulturzentrums findet jetzt unter dem Namen einer Musikfirma weiter statt, ist jedoch täglich von einer neuen Verbotsverfügung bedroht.


16.3.03 DEHAP - Van

Es ist der Jahrestag des Giftgasmassakers des Saddam-Regimes gegen die kurdische Bevölkerung in Halabja, bei dem mindestens 5000 Menschen ermordet wurden. Die Vertreter/innen, die gerade von einer Pressekonferenz kommen, heißen die Delegation willkommen als Zeichen gegen den Krieg, der gegen den Willen der Völker stattfindet. Dieser imperialistische Krieg wird nicht nur wegen des Öles geführt, sondern gegen die neuen Gedanken der Menschen in der Region bzw. des Erwaches von Solidarität und Demokratie. Dabei zeige das HADEP-Verbot, dass man den Kurden kein Recht auf Beteiligung an der Entstehung des demokratischen Prozesses zugestehen wolle. Bezüglich des EU-Beitritts der Türkei wurde die Position vertreten, dass die EU in den Verhandlungen mit der Türkei die kurdische Frage ausklammere, wohingegen sie in bezug auf Cypern einen ganz anderen Einigungsdruck ausübe. Die DEHAP habe aufgegeben, auf eine mögliche Unterstützung durch Deutschland zu setzten und könne die deutsche Haltung auch nicht dahingehend verstehen, dass sie auf eine Lösung der kurdischen Frage dränge. Die DEHAP wurde wegen des seit 4 Jahren anhängigen Verbotsverfahrens gegen die HADEP mit anderen kleinen Parteien aus der türkischen Linken gegründet, um nach einem Verbot der HADEP weiter agieren zu können. Obwohl die Partei legal ist und bei den türkischen Parlamentswahlen trotz Wahlmanipulation landesweit 6,2% (in den kurdischen Gebieten bis zu 60%) erreichte, wird sie staatlicherseits und in den Medien wie eine illegale Organisation dargestellt. Allein in den letzten 2 Monaten wurden 40 führende DEHAP Funktionäre verhaftet, die sich noch immer im Gefängnis befinden. Bei Pressekonferenzen seien oft mehr zivile "Sicherheitskräfte" anwesend als interessierte Zuhörer/innen, denen man die Inhalte vermitteln wolle, bzw., die als Betroffene selber berichten könnten. Bezüglich der Situation der Frauen wurde geäußert, dass sie die am schwersten Betroffenen seien als Opfer des Krieges, der Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte, wo sie bei Festnahmen und Verhören von Vergewaltigung und Entwürdigungen betroffen seien, sowie der innerfamiliären Strukturen, die oft noch traditionellen Rollenverhältnissen entsprächen.
Die türkische Bevölkerung mit der von seitens der Kurden ein brüderliches Verhältnis angestrebt würde, wüssten in der Regel überhaupt nicht , wie die Kurden lebten und wie ihre Lebensumstände wären, da sie noch nie in den kurdischen Gebieten im Osten der Türkei gewesen wären. Dies sei ein großes Hindernis auf dem Weg zur Errichtung eines brüderlichen Miteinanders.

16.3.03 IHD-Vorsitzender - Van

Nach dem einseitigen Waffenstillstand gab es zunächst eine Lockerung der Repressionen, allerdings wurden die alten Probleme nicht aufgearbeitet und beseitigt. So leben diejenigen, die "Morde unbekannter Täter" begangen haben, unbehelligt weiter in der Gesellschaft, jederzeit bereit, wieder eingesetzt zu werden. Nach den Wahlen im November 02 und im Schatten der Kriegsvorbereitungen haben sich die Bedingungen für ein Leben unter Wahrung der Menschenrechte für die Kurden wieder verschlechtert. Besonders diejenigen die in der Öffentlichkeit auftreten, werden mit dem Vorwurf des Separatismus und Terrorismus überzogen. Das richtet sich vor allem gegen Vertreterinnen und Vertreter der DEHAP, womit andere Menschen abgeschreckt werden sollen, sich öffentlich zu engagieren. Es gibt viele Verhaftungen, die letztendlich auch vor den Staatssicherheits-Gerichten nicht zu Verurteilung führen, sondern lediglich der Einschüchterung dienen. Die Antikriegsbewegung richtet sich nicht nur gegen den Krieg der USA gegen den Irak, sondern auch gegen die zunehmende Unterdrückung und Kriegsgefahr in den kurdischen Gebieten der Türkei. Es gibt ständig Aktivitäten gegen die Isolation des KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und die Isolierung der Bevölkerung in Kurdistan, bei denen die Menschen verhaftet und verprügelt werden. Nach wie vor finden Deportationen dem Staat unliebsamer Personen statt, es gibt Namensverbote und Verbote der kurdischen Sprache. Folter wird sowohl gegen politische Gefangene wie auch gegen soziale angewandt. 40 Mitglieder der HADEP wurden unlängst in Van inhaftiert, die wahrscheinlich mit einem Freispruch zu unterschiedlichen Zeiten entlassen werden, aber so sollen die Menschen verunsichert werden. Bezüglich des muttersprachlichen Unterrichts hat der Justizminister erklärt, dass dieser erlaubt werden könne, allerdings sieht die Realität anders aus. Es gab diverse Relegationsverfahren gegen Studenten und Anklagen vor den DGM`s (Staatssicherheitsgerichten), viele wurden exmatrikuliert oder für Wochen von den Vorlesungen ausgeschlossen. Die Kampagne für muttersprachlichen Unterricht wurde auch von vielen demokratischen Organisationen unterstützt, die ebenfalls mit Sanktionen überzogen wurden. Der Vorsitzende selbst, von Beruf Anwalt, wurde in diesem Rahmen verhaftet. Der Untersuchungsrichter habe gegenüber den Sicherheitskräften seine Vernehmung bestätigt, obwohl diese gar nicht erfolgt war, nur um ihn vor Folter zu schützen, da es dem Richter offenbar peinlich war, die Folterung eines Juristen-Kollegen mitverantworten zu müssen, nur weil dieser für das Recht auf muttersprachlichen Unterricht eingetreten war. Der DEP-Abgeordneten des türkischen Parlaments (DEP-Demokratiepartei, Vorläuferpartei der HADEP und der DEHAP, wurde vor 9 Jahren verboten) Leyla Zana, die zusammen mit weiteren Abgeordneten 1994 verhaftet wurde und seitdem im Gefängnis sitzt, wurde vor 2 Jahren angeboten, ein Gnadengesuch wegen Krankheit einzureichen, was sie abgelehnt hat, da sie dem türkischen Staat den Triumph nicht zugestehen wollte, dass sie aus Gnade statt wegen Aufhebung des Unrechtsurteils freikäme.. Ebenso wird voraussichtlich ein neues Verfahren gegen die anderen beiden noch immer inhaftierten Abgeordneten Hatip Dicle und Orhan Dogan eröffnet, was womöglich zu einem Freispruch führen könnte. Damit wolle die Türkei der Öffentlichkeit zeigen, wie rechtsstaatlich sie sei, wobei die ehemaligen Abgeordneten mit 9 Jahren ohnehin ihre völlig absurde Strafe wegen "Separatismus" weitgehend abgesessen hätten. Tatsächlich würden die Menschenrechtsverletzungen in allen Bereichen weitergehen, was dazu führe, dass die Menschen sich nach vergeblicher Ausschöpfung aller juristischen Möglichkeiten innerhalb des türkischen Staates an den europäischen Menschengerichtshof wendeten, wo sie meistens Recht zugesprochen bekämen und in vielen Verfahren die Türkei verurteilt worden sei, was aber auch nichts geändert habe. Beispiele für Sanktionen gegen freie Meinungsäußerungen sind u.a. ein Verfahren gegen den Egitim-Sen-Vorsitzenden von Diyarbakir (Lehrergewerkschaft, Schwesterorganisation der GEW) wegen eines Interviews im Medya TV (kurdisches, in der Türkei verbotenes Fernsehen, das von Brüssel aus ausgestrahlt wird), die Anklage gegen die Anwälte von Abdullah Öcalan und das einjährige Berufsverbot gegen die Anwältin Eren Keskin, die stellvertretende Vorsitzende des Gesamt-IHD. Insbesondere seit den Kriegsvorbereitungen hätten die Repressionen zugenommen. Die türkische Armee stehe an der türkisch-irakischen Grenze, um in Südkurdistan (Nordirak) gegen den KADEK Operationen durchzuführen.

16.3.03 Tüyad-Der - Van

Verein der Angehörigen politischer Gefangener. Der Verein betreut 5-10.000 politische Gefangene, die überwiegend dem KADEK bzw. der PKK zugerechnet werden. Dabei ist die Tendenz seit dem vor 4 Jahren eingeleiteten einseitigen Waffenstillstand seitens der kurdischen Seite etwas rückläufig. Seit 2 Jahren haben sich die Isolationsbedingungen der Gefangenen ständig verschärft. Nicht nur dass die Gefangenen nur noch in extrem eingeschränkten Maße miteinander Kontakt halten können, auch der Außenkontakt ist ständig eingeschränkt worden. Besuche werden in der Regel nur noch per Telefonleitung mit Sichtkontakt durch Trennscheiben zugelassen, wobei der Besuch sofort abgebrochen wird, sofern die Kommunikation nicht in türkischer Sprache durchgeführt wird. Da insbesondere die Mütter der Gefangenen bis zu 85% nur Kurdisch sprechen und viele KADEK-Gefangene aus dem Iran oder dem Irak stammen und - wie natürlich auch ihre Angehörigen - kein Türkisch können, ist eine Besuchsmöglichkeit nicht gegeben, zumal die Anreise für Verwandtschaftsangehörige aus diesen Ländern wegen der Visumsgewährung ohnehin nicht zustande kommt. Seit 2 Jahren dürfen keine Lebensmittel und andere Mittel des täglichen Bedarfs - wie Hygienemittel und Medikamente - mehr mitgebracht werden. Vielmehr müssen sich die Gefangenen dies jetzt zu horrenden Preisen aus den Geldeinzahlungen ihrer Angehörigen, die selber oft. Flüchtlinge sind, kaufen. Gefangenen dürfen nur noch 3 Bücher in der Zelle haben, die sie auch nicht mehr untereinander tauschen dürfen. Innerhalb des Gefängnissystems gibt es keine einheitliche Grundlage für die Handhabung der zu treffenden Maßnahmen. Der Willkür der Gefängnisverwaltungen obliegt es Gefangene weit entfernt von der Möglichkeit von Besuchen durch Angehörige zu verlegen und demütigende, folterähnliche und Folterprozessuren vor allem an weiblichen Gefangenen durchzuführen. Frauen haben nur die Möglichkeit, sich im Beisein von Soldaten ärztlich untersuchen zu lassen, was sie aus Gründen der Scham und Würde verweigern und was auch allen völkerrechtliche Regeln widerspricht.
Die Vorsitzende des Tüyad-Der überreichte der Delegation eine ausführliche Dokumentation zur Lage der politischen Gefangenen in der Türkei. Sie wies ausdrücklich daraufhin, dass die Fälle von Hepatitis B und Tuberkulose unter den Gefangenen ein erschreckendes Ausmaß angenommen hätten


16.3.03 Göc- Der - Van

Der Verein hat zur Aufgabe, Flüchtlingsprobleme zu lösen, und gibt Hilfe bei sozialen Problemen sowie bei Antragstellungen auf Entschädigung für zerstörte Dörfer und Häuser. Außerdem versucht er, durch Verteilung von Lebensmitteln und Kleidung die größte existentielle Not der Flüchtlinge zu lindern. Van ist eine Flüchtlingsstadt, 283 Dörfer - von insgesamt mehr als 4000 - sind während des 15 jährigen Krieges in der Region zerstört worden. In Van leben ca. 100.000 Flüchtlinge, viele von ihnen konnten früher von ihrer Arbeit gut leben und verfügten über einen gewissen Wohlstand, was man an den wertvollen Teppichen sehen kann, die sie auf ihrer Flucht oft als einziges mitnehmen konnten. Jetzt haben diese Menschen bei einer Arbeitslosigkeit von fast 85% in Van keine Chance, eine Arbeit zu finden. Jugendliche versuchen, als ziehende Gemüseverkäufer Geld zu verdienen, was zu einer spannungsgeladenen Konkurrenzsituation mit den Geschäftsleuten führt (da die fliegenden Händler die Waren meist billiger anbieten) und diese Geschäftstätigkeit vom Gouverneur häufig verboten wird. Anträge auf Rückkehr in die Dörfer müssten staatlicherseits innerhalb von 2 Monaten entschieden werden, was allerdings immer wieder verschleppt wird. Allein in Van sind 80 Klagen anhängig, 700 müssen noch eingereicht werden. Die AKP (alleinige Regierungspartei seit den Wahlen im November 2002, wird als gemäßigt islamisch bezeichnet, vertritt aber die Interessen des Kapitals) hat die Pläne Ecevits (Ministerpräsident bis 2002, erznationalistisch) für die Einrichtung sog. strategischer Sammel-Dörfern fallengelassen (strategische Dörfer lassen den Menschen keine Möglichkeit sich selbst zu versorgen, sie gleichen eher Not-Unterkünften in Aufnahmelagern). Gesetzlicherseits ist die Regierung zur Zahlung von Entschädigungen verpflichtet, Göc Der empfiehlt, die Entschädigung anzunehmen, um dann auf Rückkehr in die Dörfer zu klagen. Allerdings ist die Voraussetzung für eine Klageerhebung, dass die Kläger nachweisen können, woher sie kommen und was ihnen dort gehört hat, was vielfach unmöglich ist, weil es in den Dörfern meistens kein Grundbuch und kein Melderegister gab und der für diese Dinge zuständige Dorfälteste oft nicht mehr lebt oder nicht auffindbar ist. Türkeiweit sind 4000 derartige Klagen weder abgelehnt noch positiv beschieden, sondern einfach überhaupt nicht entschieden worden, 359 sind in Straßburg anhängig. Das Friedensangebot seitens der PKK hat bei den Flüchtlingen die Hoffnung geweckt, in ihre Dörfer zurückkehren zu können, und auf eine Amnestie, da fast alle Dorfbewohner Angehörige bei der Guerilla haben. Jetzt sinkt die Hoffnung, die Probleme selber lösen zu können und eventuell gezwungen zu sein, wieder in den Krieg eintreten zu müssen, da die Türkei in ihrer starren restriktiven Haltung von den USA durch ihr Vorgehen im Irak bestärkt wird. Nach der Abschaffung des Ausnahmezustandes und des Supergouverneurs liegt die reale Macht bei dem Regionalkommando, was faktisch das gleiche ist, nur gegenüber der ausländischen Öffentlichkeit als etwas anderes dargestellt wird. Der türkische Staat richtet entlang der Grenze zu Irak bei Silopi 16 Flüchtlingslager ein, Göc Der hat seine Hilfe bei der Betreuung der Flüchtlinge angeboten, der türkische Staat will aber jede Kontaktaufnahme zwischen der "eigenen" kurdischen Bevölkerung und den erwarteten kurdischen Flüchtlingen aus Irak verhindern. Ohnehin sei die türkische Armee bereits 100 km weit in den Irak eingedrungen, um die Flüchtlinge schon im Vorfeld abzufangen und die KADEK-Guerilla zu bekämpfen. Projekte von Göc Der sind z.Z. der Kauf eines Krankenwagens, die Einrichtung eines Gesundheitszentrums, der Aufbau kleiner Betriebe und Werkstätten, um Jugendlichen Arbeit zu beschaffen.

16.3.03 DEHAP Frauenausschuss und Stadtrat - Van

Am 8.März, dem internationalen Frauentag, haben in Van 10.000 Frauen an einer Kundgebung teilgenommen. 4 Frauen wurden unter dem Vorwurf festgenommen, den KADEK zu unterstützen, weil sie sich aus Protest gegen die Unterdrückung und den Krieg angekettet hatten bzw. Rosen als Zeichen des Friedens in den See geworfen hatten. Eine Frau wurde verhaftet, weil sie eine inhaltlich nicht inkriminierte Rede ins Kurdische übersetzt hatte.
Während des 15 jährigen Krieges innerhalb der Türkei sind die kurdischen Frauen zwangsläufig selbständiger geworden, weil ihre Männer oft im Gefängnis, tot oder bei der Guerilla in den Bergen waren. Innerhalb der DEHAP wurde eine Frauenquotierung eingerichtet, dass mindestens 30% der gewählten Funktionsträger/innen Frauen sein müssten, andernfalls könne die Kommission überhaupt nicht in Funktion treten.
Der DEHAP-Bürgermeister befand sich von September 2002 bis Januar 2003 in Haft, bis er wieder freigelassen wurde und ohne Verurteilung sein Amt wiederantreten konnte. In Van sind 80 - 85% der Bevölkerung arbeitslos. Ebenso viele Menschen müssen ohne sanitäre Einrichtungen leben. Die Stadt Van hat bei einer offiziell registrierten Bevölkerungszahl von 300.000 Einwohnern ca. 100.000 Flüchtlinge, die in den bevölkerungsanteiligen Bemessungsrahmen der staatlichen Geldzuteilungen nicht berücksichtigt werden. Insgesamt gibt es innerhalb der Türkei 3,7 Millionen inländische Flüchtlinge, die überwiegend aus den ca. 4000 zerstörten Dörfern stammen. Seit der Regierungsübernahme der AKP nahmen die Repressionen wieder zu und begründeten so die Angst vor dem Ausbrechen eines neuen Krieges.

18.3.03 DEHAP der Vorsitzende - Batman

Nach der unter militärischer Gewalt vollzogenen Geleitung der Delegation nach Batman (siehe Presseerklärung, Anlage), erfolgte dort ein Zusammentreffen mit dem Vorsitzenden der DEHAP und früheren Vorstandsmitgliedern der inzwischen verbotenen HADEP. Da das Gespräch wegen ständiger Stromausfälle weitgehend im Dunkeln geführt werden musste, ist die Aufzeichnung eher stichpunktartig. Während ein früheres HADEP-Vorstandsmitglied geltend machte, dass die HADEP, obwohl sie in der Sozialistischen Internationale eine Teilmitgliedschaft als Beobachterin gehabt habe, nicht eine einzige Solidaritäts- oder Protestnote ihrer sozialistischen und sozialdemokratischen Schwesterorganisationen, zu denen ja auch die SPD oder die Labour Party gehören, erhalten hätten, wies der DEHAP-Vorsitzende darauf hin, dass man dennoch an einem Aufbau guter Beziehungen zur EU und den sie tragenden demokratischen Organisationen interessiert sei. Allerdings bestehe eine große Enttäuschung besonders in bezug auf Deutschland, weil die historische Chance auf Frieden und Versöhnung des kurdischen und des türkischen Volkes nicht unterstützt worden sei, sondern man der Türkei erlaubt habe, ihre gegenüber dem kurdischen Volk starre Verleugnungs- und Isolierungspolitik weiterzuverfolgen. Hiergegen würde seit November 2002 an jedem Mittwoch eine Sitzblockade-Protestaktion stattfinden. Mittwochs deshalb, weil dies bis zum Antritt der neuen Regierung unter der AKP im vergangenen November der Besuchstag für den KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan gewesen sei. Seit diesem gegenüber die Totalisolation eingeführt wurde, könne man dieselbe Vorgehensweise gegenüber dem gesamten kurdischen Volk feststellen. Die Sitzblockade wurde am kommenden Morgen wegen der Anwesenheit unserer Delegation verboten. Allerdings wollten die Kurdinnen und Kurden ohnehin nicht "im Schutz" unserer Delegation ihren Protest ausführen. Der Sitzstreik wurde dann schließlich unter Rufens von Parolen gegen den Krieg und für die Aufhebung der Isolation des KADEK-Vorsitzenden doch noch durchgeführt und - vermutlich wegen des Beiseins einer internationalen Beobachtergruppe - nicht zusammengeknüppelt.

19.3.03 Petrol-Is, der Bezirksvorsitzende, - Batman

"Die unterdrückten Völker brauchen den Kontakt mit demokratischen Menschen und Organisationen, um auch dem Feind zu zeigen, dass wir nicht alleine sind." Der 15jährige schmutzige Krieg hat sowohl den Menschen als auch dem Staat geschadet, vor allem aber sind in den 15 Kriegsjahren auch die Arbeiter ärmer geworden. Im Rahmen ihres demokratischen Kampfes sind viele Aktivisten deportiert, verhaftet und erschossen worden, betroffen ist auch der frühere, aus Batman stammende Gesamtvorsitzende der Gewerkschaft, Münir Ceylan, der wegen eines Zeitungsartikels, in dem er die türkischen und kurdischen Arbeiter zur Einheit und Brüderlichkeit aufrief, zu mehrjähriger Haft und gewerkschaftlichem Funktionsverbot verurteilt wurde. Nach dem Komplott gegen Abdullah Öcalan (seiner Entführung aus Kenia in die Türkei) hatte sich für die Türkei durch die Ausrufung des einseitigen Waffenstillstandes seitens der PKK die Tür für eine friedliche Lösung geöffnet, eine Lösung für die Probleme des ganzen Mittleren Ostens, die ohne eine Lösung der Kurdenfrage nicht gelöst werden könnten, aber es hat in diesen 4 Jahren keinen Fortschritt gegeben, das alte System ist nach wie vor an der Macht. Die dreieinhalbmonatige Total-Isolation gegen den KADEK-Vorsitzenden sind eine Provokation der kurdischen Gesellschaft, es soll damit erreicht werden, dass die Vorschläge Abdullah Öcalans gegen den Krieg und zur Verhinderung des jetzt bevorstehenden Krieges nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Die Türkei hat gegenüber der EU einige Gesetzesänderungen durchgeführt (Aufhebung des generellen Verbots der kurdischen Sprache, Erlaubnis für kurdisches Radio und Fernsehen), davon ist in der Praxis jedoch kein Wort mehr zu hören, vielmehr gibt es nach wie vor kein Recht auf freie Meinungsäußerung, nach wie vor bestimmen Folter, Unterdrückung und Verleugnung der Kurden die Tagesordnung. Die Türkei hat ihre eigene Bevölkerung und auch die EU betrogen. Die Regierung hat ohnehin nichts zu sagen, denn tatsächlich gibt es zwei Regierungen, eine offizielle und eine versteckte, die in Wirklichkeit die Entscheidungen trifft (gemeint ist der Nationale Sicherheitsrat). Deswegen gibt es auch keine Änderung der Staatspolitik in der Folge von Regierungsbeschlüssen. Wenn die EU wirkliche Verhandlungen führen wolle, müsse sie mit der verdeckten Regierung verhandeln. Seit 80 Jahren hat der kemalistische Staat sich immer wieder Feindbilder geschaffen - die Kommunisten, die Kurden, den Islam. Jetzt beginnt ein neuer Krieg, und die Feinde sind wieder die Kurden, der Türkei ist es dabei ziemlich egal, wer den Irak besetzt, Hauptsache, es geht gegen die Kurden. Als am 1.3.03 die Durchmarschrechte für die US-Armee im türkischen Parlament abgelehnt wurden, hatten vor allem die kurdischen Abgeordneten der beiden im Parlament vertretenen Parteien dagegen gestimmt, trotzdem besetzten die USA alle Flughäfen in Kurdistan auch ohne Genehmigung des Parlamentes. Die Türkei akzeptiert keinerlei Selbstbestimmungsrecht der Kurden, als Gewerkschafter kann man unter diesen Bedingungen der Entrechtung keine Gewerkschaftsarbeit leisten, sondern muss sich für die fundamentalen Rechte des Volkes einsetzen. Jetzt findet wieder ein Krieg statt, der vor allem die Kurden treffen wird, und kein Land protestiert dagegen, auch gegen den Giftgas-Massenmord in Halabja hat es seinerzeit keine internationalen Proteste gegeben, erst jetzt ist Bush Halabja wieder eingefallen, um es für seine Kriegspolitik auszunutzen, nicht aber wegen der ums Leben gekommenen Kurden. Vor 1990 gab es in der Türkei eine starke gewerkschaftliche Organisierung, die Öl-und Chemiearbeitergewerkschaft Petrol Is hatte 70.000 Mitglieder, jetzt ist die Zahl auf 30.000 gesunken, in Batman gab es 6000 Mitglieder, jetzt nur noch 3000. Dies ist eine Folge der stetigen Privatisierung der Ölproduktion. So sind im Bereich des Vertriebes (Marketing, Logistik) von ehemals 6000 Arbeitern nur 600 übriggeblieben. Dieser Bereich wurde von der Dogan Holding übernommen, der u.a. die Tageszeitungen Hürriyet, Milliyet und einige TV-Sender gehören. Der Kaufpreis betrug 1 Milliarde Dollar, wobei der eigentliche Wert auf 4,5 Milliarden Dollar geschätzt wurde, weswegen man eigentlich nicht von einem Verkauf, sondern eher von einem Verschleudern des früheren Staatsbesitzes an private Unternehmen reden müsse. Die Bereiche Ölförderung, Erschließung und Raffinerie sind noch nicht privatisiert worden, aber dies ist nur eine Frage der Zeit. Bei der Privatisierung werden gewerkschaftlich organisierte Arbeiter entlassen bzw. nicht wieder eingestellt, da neue Arbeitsverträge geschlossen werden müssten. Einerseits haben die kurdischen und türkischen Arbeiter es wegen der allgemeinen Unterdrückungssituation nicht vermocht, ihre demokratischen Forderungen mit der erforderlichen Nachdrücklichkeit auf die Tagesordnung zu setzen, andererseits sind die 3 Gewerkschaftskonföderationen (Türk Is, DISK und Halk Is) nationalistisch und reaktionär, weswegen es nahezu unmöglich ist, in ihnen demokratische Forderungen aufzustellen. So wurde beispielsweise der Wiederaufnahmebeschluss Münir Ceylans durch die Batman-Sektion der Petrol Is vom Gesamtvorstand wieder rückgängig gemacht, obwohl dies nach dem Statut gar nicht möglich ist.Gegen diesen statutenwidrigen Beschluss klagt nun die Batman-Sektion und will versuchen, Münir Ceylan als Vorstandskandidaten dem nächsten Gewerkschaftstag zu präsentieren. Am 1.3.03 gab es eine Friedensveranstaltung mit den Kollegen, es wurde ein Lied gesungen, das von der Mutter eines gefallenen Guerilla-Kämpfers geschrieben worden war, daraufhin wurde eine Anklage gegen das Vorbereitungskomitee und alle Vorstandsmitglieder erhoben. Der Vorsitzende saß selber 3 Jahre und 1 Monat im Gefängnis, die Anklage lautete auf Führungsmitgliedschaft in der PKK, in der Berufungsverhandlung wurde er freigesprochen und nach Hause geschickt. Jetzt hat er ständig irgendwelche Verfahren gegen sich laufen und weiß auf dem Weg zu Gericht oft nicht, was gerade verhandelt werden soll. "4 Millionen Menschen sind gefoltert worden, wir wissen, was schmutziger Krieg heißt, dennoch glauben wir an Änderung und Erneuerung der Gesellschaft, die jetzt aufgewacht ist." Petrol Is hat die letzten Jahre Newroz mitorganisiert, Newroz soll mit vielen Völkern zusammen gefeiert werden und auf die Dauer ein Symbol für das friedliche Zusammenleben aller Völker werden, dabei soll die mesopotamische Vielvölker-Kultur wieder erblühen und ein Beispiel für die ganze Welt werden. "Der KADEK-Vorsitzende ist sehr wichtig für das Volk, die Menschen sind mit ihm verbunden, fast jeden Tag gibt es Aktionen in den Stadtteilen für ihn und gegen seine Isolation. Er kann Vorschläge für eine friedliche Lösung unterbreiten, die Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, deshalb wird er vom Volk isoliert. Wenn man ihm diese Rolle nicht ermöglicht, ist zu befürchten, dass es wieder Krieg gibt. Ohne Abdullah Öcalan und seinen Weg der Öffnung der kurdischen Frage würden wir hier nicht so sitzen können und sprechen, während die Sicherheitskräfte mit ihren Funkgeräten vor der Tür warten müssen. Abdullah Öcalan und das kurdische Volk möchten eine Lösung ohne Krieg, aber es gibt Kräfte innerhalb des Staates, die an dem Krieg verdient haben und ihn fortsetzen wollen."

19.3.03 Stadtrat/stellvertretender Bürgermeister - Batman

Den Stadtverwaltungen der Gemeinden in der Türkei bleiben nur 5-6% der Steuereinnahmen, der Rest muss nach Ankara abgeführt werden. Zudem waren die meisten Gemeinden, als sie vor 4 Jahren von den HADEP-Bürgermeistern übernommen wurden, extrem hoch verschuldet, so dass nur ein ganz geringer Spielraum zur Durchführung von Projekten bleibt; allerdings haben die Menschen seit der Wahl der HADEP-Verwaltungen in vielen Bereichen unentgeltlich für die Gemeinde gearbeitet und z.T. sogar Baumaterialien selber gekauft. Die Bereiche Kultur, Erziehungs- und Gesundheitswesen, Wirtschaft und Sicherheit werden zentral von Ankara aus verwaltet, die Gemeinden haben in diesen Bereichen noch nicht einmal ein Mitspracherecht. Ihnen obliegen im wesentlichen nur die Bereiche, Wasser und Abwasser, Straßenbau, Müllabfuhr und öffentlicher Verkehr. Der Staat, dem die meisten verfügbaren freien Grundstücke gehören, stellt sie in den kurdisch verwalteten Gemeinden diesen nur sehr selten zur Nutzung für Projekte zur Verfügung. Mit Hilfe der deutschen Kreditbank für Wiederaufbau konnte eine Trinkwasserkläranlage gebaut werden. Da dieses Kreditvolumen jedoch als ein Gesamtpaket zwischen der türkischen und der deutschen Regierung verabschiedet wurde und die einzelnen Tranchen jeweils vom türkischen Innenministerium genehmigt werden müssen, ist es für die kurdischen Bürgermeister sehr schwierig, an solche Kredite zu kommen. Während früher bei Kommunalwahlen nur etwa 15.000 Menschen in Batman ihre Stimme abgaben, waren es vor 4 Jahren, als die HADEP erstmals kandidieren konnte, 60.000, die die HADEP wählten. Der stellvertretende Bürgermeister betonte seine Kritik an der deutschen Regierung, die immer noch mit der Verbotsdrohung gegen die zentrale Newroz-Feier in Frankfurt spiele. Er sprach sich dafür aus, dass die Türkei in die EU aufgenommen, den Kurden dann aber auch dieselben Rechte wie anderen EU-Bürgern garantiert werden müssten. Einige Kräfte, die an dem 15jährigen Krieg gegen die Kurden viel verdient hätten, würden mittels einer sich wieder verschärfenden Repressions- und Isolationspolitik gegenüber den Kurden darauf hinarbeiten, dass der Krieg wieder ausbräche.

20.3.03 Frauenzentrum Selis - Diyarbakir

Das Zentrum besteht seit 2002. Es versucht, mit Hilfe ehrenamtlich tätiger Soziologinnen, Psychologinnen und Sozialpädagoginnen Frauen in kulturellen, sozialen, juristischen Fragen sowie bei der Kindererziehung und im Gesundheitsbereich zu beraten. Doch die wichtigste Aufgabe besteht darin, den Frauen Selbstvertrauen und Respekt vor sich selber zu geben, da viele Frauen durch die Vertreibung aus ihren Dörfern und die schrecklichen Erlebnisse während des Krieges (Folter und Vergewaltigung, Ermordung Angehöriger, Zerstörung des eigenen Hauses usw.) völlig traumatisiert sind und sich noch nicht einmal alleine auf die Straße trauen. Hierfür bietet das Zentrum 6wöchige psychologische Betreuungskurse an, zu denen auch die Begleitung bei Gängen in die Stadt sowie zu Behörden und Ärzten gehört (in bestimmten Fällen werden diese Kurse auf eine Zeitdauer von 4 Monaten ausgeweitet). Hierbei müssen auch Dolmetscher-Dienste geleistet werden, da die Frauen in der Regel kein Türkisch, sondern nur Kurdisch können. Den meisten Frauen ist nicht bewusst, dass sie innerhalb der Gesellschaft überhaupt irgendwelche Rechte haben. Die einzige Lösungsmöglichkeit ihrer Probleme sehen viele junge Frauen darin, dass sie Selbstmord verüben, wogegen das Zentrum mit aller Macht Vorkehrungsmaßnahmen zu treffen bemüht ist. Das Zentrum gliedert seine Arbeit in 2 Hauptbereiche: zum einen die Beratung von Flüchtlingsfamilien in praktischen Fragen sowie zum anderen die psychologische Betreuung der Frauen bei dem Versuch der Aufarbeitung der Kriegserlebnisse. Bei Veranstaltungen wird immer wieder auf die Bedeutung wirtschaftlicher Unabhängigkeit als Voraussetzung für die Entwicklung einer eigenen Identität hingewiesen. Zu diesem Zweck hat das Zentrum eine kleine Werkstatt eingerichtet, in der die Frauen Festkleider nähen und besticken, die dann verkauft werden. Auch Schmuck wird hergestellt. Man hat auf diese eher traditionellen Beschäftigungsmöglichkeiten zurückgegriffen, weil die Frauen hier bereits über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und es zur Ausstattung nur einiger Nähmaschinen bedurfte, die von Studentinnen zur Verfügung gestellt wurden. Auch eine Weberei zur Herstellung von Kelims und Teppichen ist im Aufbau. Derzeit gibt es ein solches Zentrum nur in Diyarbakir, weswegen die Frauen, die die Beratung durchführen, auch in andere Städte wie Batman oder Mardin fahren. Das ist aber zu aufwendig und zu wenig ergiebig. Leider fehlen die finanziellen Mittel zum Aufbau ähnlicher Zentren in anderen Städten. Auch das Zentrum in Diyarbakir ist ausschließlich aus eigener Kraft finanziert worden, indem die Mitarbeiterinnen anderweitig kochen oder saubermachen und einen Teil ihres Lohnes für die Miete des Zentrums abführen. Eine Zusammenarbeit mit türkischen Frauengruppen wird angestrebt und hat sich auch schon recht erfolgreich entwickelt. Insbesondere die gemeinsame Frauen-Friedensfahrt von Istanbul nach Silopi an der irakischen Grenze war wichtig, weil hier viele türkische Frauen zum erstenmal in ihrem Leben die kurdische Realität mit eigenen Augen sahen. Viele türkische Frauen hätten aus Angst vor den Panzerwagen, die den Friedens-Konvoi begleiteten, geweint, während das für die kurdischen Frauen der Normalzustand war. Die meisten türkischen Frauen würden wohl nicht wieder nach Kurdistan kommen, aber sie hätten jetzt einen großen Respekt vor ihren kurdischen Friedens-Mitstreiterinnen und würden diese nunmehr nahezu wie eine Avantgarde ansehen. Während die Männer die durch das Zentrum vorangetriebene Selbstentwicklung ihrer Frauen im allgemeinen höflich begrüßten, zumal sich dadurch die Lebensverhältnisse der ganzen Familie einfacher und besser gestalteten, wird doch sehr oft auch auf die Einhaltung alter Traditionen gepocht, in denen die Frauen keine eigene Rolle spielen, sondern nur die Frau ihres Mannes, die Tochter ihres Vaters oder die Schwester ihres Bruders sind. Aber insgesamt lässt sich schon eine zunehmende Akzeptanz durch die Männer feststellen.

20.3.03 Die Friedensmütter – Diyarbakir

Die Zentrale der Friedensmütter-Bewegung ist in Istanbul. Seit einem Jahr unterhalten sie auch ein Büro in Diyarbakir. Der Name ihres Vereins sage, was sie wollten: Frieden. Sie hätten genug gelitten und wollten nicht, dass andere, weitere Mütter, denselben Schmerz erleiden müssten. Weder türkische noch kurdische Mütter. Eine alte Frau zeigt uns die Fotos von drei jungen Männern, ihren Söhnen, die alle im Krieg gefallen sind. Eine andere erzählt, dass sie seit 1980 in der kurdischen Bewegung sei und ihr ältester Sohn 1984 im Hungerstreik gestorben sei, weitere Söhne seien dann durch die ständige Repression in die Berge zur Guerilla gezwungen worden, da in den Städten die aktiven Menschen von unbekannten Tätern ungesühnt ermordet wurden, insbesondere die führenden Köpfe. Sie hätten versucht, mit türkischen Müttern, die ihre Kinder ebenfalls im Krieg verloren hätten, zusammenzukommen, aber für diese seien sie etwas Fremdes, auf das jene sich nicht zu bewegen wollten. Seit dem Waffenstillstand durch die PKK habe sich praktisch gar nichts geändert, auch nicht nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes. Die Repression sei genauso groß wie früher. Sie könnten keine Pressekonferenz geben, keine Aktionen in der Öffentlichkeit durchführen. Einmal, als der damalige stellvertretende Ministerpräsident Yilmaz kam, hätten sie Tauben fliegen lassen und mit weißen Blumen ihn um Frieden gebeten. Dabei wurde eine von ihnen von der Polizei zusammengeschlagen, nachdem sie ihr weißes Kopftuch als Friedenszeichen vor sein Auto geworfen habe. Früher, als noch Blutrache herrschte, hätten die Frauen mit dieser symbolischen Geste oft den Frieden zwischen verfeindeten Familien wiederhergestellt, die Türken beachtete dies jedoch nicht und hätten keinen Respekt. Die Friedensmütter wollten keinen Krieg, weder in Kurdistan, noch sonst wo auf der Welt, aber sie wüssten auch, dass ihre Töchter und Söhne nicht auf sie hören würden, wenn die Repression und die Isolation gegenüber den Kurden so weiterginge, und sie würden sie dann auch nicht aufhalten, sondern wie bisher zu ihnen stehen, auch wenn der Schmerz über ihren Tod unermesslich sei.

20.3.03 Die Lehrergewerkschaft Egitim Sen - Diyarbakir

Der Vorsitzende, der wegen eines Telefoninterviews mit dem in Brüssel ansässigen kurdischen Fernsehsender Medya-TV über muttersprachlichen Unterricht als Vater von vier Kindern aus dem Schuldienst entlassen worden ist, sagt, dass sich die allgemeine Lage seit den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst deutlich verschlechtert habe. Eine Kundgebung gegen den Irak-Krieg sei vom Gouverneur einfach um 45 Tage verschoben worden, Mitglieder seiner Gewerkschaft seien wegen des Tragens einer Plakette mit dem Atatürk-Ausspruch "Frieden in der Heimat - Frieden in der Welt" angeklagt worden. Allen Lehrern und Schülern wurde per Dekret vom Gouverneur verboten, an den Newroz-Feierlichkeiten teilzunehmen. In den letzten Jahren wurden allein in Diyarbakir 190 Gewerkschaftsmitglieder verbannt, d.h., in den Westen der Türkei versetzt, 27 ermordet, 11 ins Gefängnis gesteckt und 7 aus dem Staatsdienst entlassen. In der gesamten Türkei kam es im Jahre 2002 im Zuge der Kampagne für muttersprachlichen Unterricht zu 3350 Ermittlungsverfahren gegen Egitim-Sen-Mitglieder, deren Gesamtzahl 9300 beträgt, also gegen mehr als gegen jeden Dritten. Kollegen würden vom Dienst suspendiert, weil ihre Schüler kurdische Lieder gesungen oder weil sie mit den Eltern, die oft gar kein Türkisch können, Kurdisch gesprochen hätten. Selbst wenn sie dann vor Gericht freigesprochen würden, bliebe es bei der Suspendierung, so auch in seinem Fall. Obwohl im vergangenen Sommer das Gesetz über das Verbot der kurdischen Sprache aufgehoben wurde und die Möglichkeit zu privatem Kurdischunterricht gegeben wurde, kann man kaum von einer Veränderung sprechen, da es absurd ist, dass Menschen, die oft von 1-2 Dollar am Tag leben müssen, den privaten Unterricht in der eigenen Muttersprache ihrer Kinder finanzieren sollen, zumal die Kinder ja auch noch schulpflichtig in den türkischen Schulen sind und faktisch einen zweifachen Unterricht nehmen müssten. Darüber hinaus darf Kurdisch nur von dafür diplomierten Lehrern unterrichtet werden, da es aber keine Behörde gibt, die ein solches Diplom ausstellen würde, gibt es auch keinen Kurdisch-Unterricht, obwohl in Diyarbakir ca. 2000 Lehrer tätig sind, deren eigene Muttersprache Kurdisch ist und deren größter Wunsch es wäre, die Kinder in ihrer Muttersprache zu unterrichten. Im Hinblick auf den bevorstehenden Irak-Krieg sagte der Vorsitzende, dass die Behörden 150 Lehrer ausgesucht hätten, die den kurdischen Flüchtlingskindern in den Notaufnahmelagern an der Grenze sofort Türkisch beibringen sollten. Weitere 150 Lehrer sollten später folgen. Für diese Aufgabe habe man nur männliche Kollegen ausgesucht, vermutlich, weil man so hoffe, jede Mitmenschlichkeit und Wärme im Verhältnis zwischen den traumatisierten Flüchtlingskindern und ihren Türkischlehrern auszuschließen. Als letztes sprach der Vorsitzende den Wunsch aus, dass wir uns bei ihrer Schwesterorganisation, der GEW, für ihre Unterstützung einsetzen sollten.

21.März Newroz Diyarbakir

Im Jahre 612v.Chr. befreite der Legende nach der kurdische Schmied Kawa die Völker des mittleren Ostens von der Tyrannei des assyrischen Königs Derhak. Derhak hatte sich als Tribut, übertragen als Zeichen totaler Unterwerfung, eine bestimmte Anzahl von Jungen und Mädchen der unterworfenen Völker zum Blutopfer einbefohlen. Historisch ist dies das Jahr der Schleifung Ninives, der Hauptstadt des assyrisch-sumerischen Sklavenhalterreiches durch die von Norden über den Kaukasus hereingeströmten indoeuropäischen Völkerscharen, die neben ihrem Freiheitsdrang ihre nordischen Riten - z.B. Freudenfeuer anlässlich der Verdrängung der dunklen Jahreszeit - mitbrachten. Ninive, das heute wegen seines Ölreichtums von Amerikanern, Briten, Türken und Arabern schwer begehrte Mossul ist, war vor 3000 Jahren das Zentrum der Unterdrückung für alle Völker des mittleren Ostens. Seit der Befreiung durch die Tat des Schmiedes, der den König erschlug und die zu opfernden unschuldigen Kinder befreite, wird es in Kurdistan, Persien, Afghanistan und Belutschistan als Frühjahrsfest gefeiert, kalendarisch entsprechend jeweils am 21.März. Newroz ist heute, insbesondere für die Kurdinnen und Kurden, das Symbol für Befreiung, Einigkeit und Aufbruch im Zeichen des heranbrechenden Frühlings. Das Wort Newroz bedeutet 'Neuer Tag' und hat -naheliegend - seine gemeinsame indoeuropäische Sprachwurzel in dem englischen 'new' oder dem deutschen 'neu.' Nachdem in den vergangenen zehn Jahren das kurdische Volk sukzessive sein Recht auf Begehung dieses seines ureigensten Festes gegen den erbitterten Unterdrückungswillen des türkischen Staates durchsetzen konnte, versuchte dieser, das Fest dahingehend umzudefinieren, dass er es als sein eigenes auszugeben versuchte. Plötzlich wurde unter Strafandrohung für anderweitige Bezeichnung aus dem kurdischen Newroz das der türkischen Phonetik entsprechende Nevruz, das angeblich ein von der Mongolei bis nach Anatolien seit immerdar gefeiertes Frühlingsfest sei. Nun verhält es sich allerdings so, dass die ersten Turkvölker - die Seldschuken - ungefähr 1500 Jahre nach der Befreiungstat des Schmiedes Kawa im Jahre 612 v.Chr. nach Anatolien (auf Griechisch: der Osten) kamen und mithin schwerlich Teilhaber geschweige denn Urheber dieser griechisch-assyrisch-kurdisch-persischen Historie hätte sein können.
Newroz-Feierlichkeiten waren seit Gründung der Türkischen Republik im Jahre 1923 verboten. Die Kurdinnen und Kurden feierten es stets dennoch, indem sie Feuer in den Bergen aus Holzhaufen des Vorjahrs-Gestrüpps oder - in den Flüchtlingsvorstädten der Metropolen aus Autoreifen-, als Symbol ihres Widerstandes, ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Ausdruck ihrer gemeinsamen Herkunft und Sprache, also ihrer Identität, entfachten.
Newroz konnte in den vergangenen Jahren trotz allen "Nevruz"-Vereinnahmungsversuchen seitens der Türkischen Republik von den Kurdinnen und Kurden als ihr ureigenstes einziges eigenes Fest durchgesetzt werden. Unsere Delegation hatte die Ehre, an dieser herausragenden Veranstaltung zusammen mit mindestens einer halben Million Menschen teilnehmen zu können. Das Zustandekommen dieser Großveranstaltung war hinsichtlich einer angedrohten Verbotsverfügung wenige Stunden vor der Veranstaltung noch unklar. Dennoch kamen zur Veranstaltung auf einem Messegelände 10km außerhalb von Diyarbakir mindestens 500.000 Menschen -also ein Drittel der Stadtbevölkerung, obwohl wir z.B. bei der Lehrergewerkschaft Egitim Sen am Vortag erfahren hatten, dass Lehrern und Schülern unter Relegationsandrohung die Teilnahme an dieser Veranstaltung verboten worden war. In verschieden Städten fanden die Newrozfeierlicheiten statt und teilweise wurden sie behindert oder verboten. ( Z.B. in Batman 130.000 Teilnehmer).