Pressemitteilung

Staatsterrorismus in der Türkei – Handlangerarbeit in Deutschland

Am 8. Dezember wurde der 41-jährige kurdische Exilpolitiker Vezir T. von Beamten des Landeskriminalamtes in Hanau verhaftet. Er soll laut Generalbundesanwalt (GBA) von Juni 2008 bis Juli 2009 als „Kader der PKK“ das Gebiet Sachsen, Sachsen-Anhalt und teilweise Thüringen sowie Brandenburg geleitet haben. In dieser Funktion habe er Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert und für die Beschaffung von Propagandamaterial gesorgt.
Der Beschuldigte stand schon einmal vor einem bundesdeutschen Oberlandesgericht, das ihn im Jahre 2000 wegen politischer Betätigung nach § 129 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hatte.

Während die türkische AKP-Regierung plant, Sondereinsatzkommandos einzusetzen, die – wie die Süddeutsche Zeitung vom 9. Dezember berichtet –, mit der Ermordung von 300 führenden PKK-Leuten beauftragt werden sollen, und während allein in den vergangenen Monaten mehr als 4500 Menschen wegen angeblicher Terrorismusunterstützung festgenommen worden sind, demonstrieren deutsche Behörden ihre Gefolgschaft mit dem türkischen Regime. Mit seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2010 hat der Bundesgerichtshof deutschen Strafverfolgern die Möglichkeit geschaffen, politisch aktive Kurdinnen und Kurden in Deutschland künftig als „mutmaßliche Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung PKK“ (§ 129b StGB) zu verfolgen. Nachdem das „liberal“ geführte Bundesjustizministerium zu Beginn „lediglich“ Einzelermächtigungen zur Strafverfolgung nach dem im Jahre 2002 eingeführten § 129b erteilte, hat es am 6. September hierzu die Behörden generell ermächtigt. Das bedeutet, politische AktivistInnen sind für vogelfrei erklärt worden. Treffen kann es danach Verantwortliche für bestimmte Sektoren, Regionen und Gebiete der PKK und ihrer Teilorganisation in Europa, CDK (Kurdische Demokratische Koordination), und zwar „für zurückliegende und künftige Taten“.
Vezir T. ist seit Juli nun der vierte kurdische Aktivist, der wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ verhaftet wurde und sich in Untersuchungshaft befindet. In der Schweiz ist ein weiterer Kurde aufgrund eines Ersuchens der Bundesanwaltschaft in Auslieferungshaft; das seit mehreren Monaten laufende Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Seit dem 23. August wird in einem Revisionsverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/M. gegen den kurdischen Exilpolitiker Vakuf M. nach § 129b StGB verhandelt. Sein Verfahren war praktisch die Grundlage für die weitreichende Entscheidung des BGH vom Oktober 2010.
Die Begründung des GBA für die Verfolgung nach § 129b StGB lautet bei allen unisono, dass die PKK einen „staatenähnlichen Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete“ anstrebe, über „militärisch strukturierte Guerillaeinheiten“ verfüge und „Attentate auf türkische Polizisten und Soldaten“ verüben.
In Deutschland und „anderen Ländern Westeuropas“ sei es Aufgabe der Mitglieder, „Finanzmittel für die Organisation zu beschaffen und Nachwuchs für den Guerillakampf zu rekrutieren.“

Wie die Verteidiger von Vakuf M. zum Auftakt des Prozesses deutlich machten, würden die Gerichte bei diesen Vorwürfen nicht umhin können, sich mit dem Hintergrund des türkisch-kurdischen Konflikts zu befassen und „weitere Ermittlungen über dessen Genese und Dynamik“ anzustellen. Es handele sich fraglos um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts. Es habe sich ferner mit der massiven Verletzung des Kriegsvölkerrechts durch die türkischen Streitkräfte auseinanderzusetzen und damit, dass der Konflikt vom Militär u. a. durch den „Einsatz von chemischen Kampfstoffen“ geführt werde.
Das Verfahren ist bis zum Jahresende terminiert.

AZADÎ e.V. Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland
12. Dezember 2011