Liebe Freundinnen und Freunde,

in einem Offenen Brief an den Berliner Innensenator beschwerten sich am 01.12.2012 die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE. im Landtag NRW Ali Atalan und Hamide Akbayir über das Verhalten der Berliner Polizei angesichts der antifaschistischen und kurdischen Demonstration vom 26.11.2012.

Im Folgenden der Wortlaut des Briefs:

Beanstandung der unverhältnismäßigen Maßnahmen des Polizeipräsidiums Berlin in Zusammenhang mit den antifaschistischen und kurdischen Protesten am 26.11.2011

Sehr geehrter Herr Innensenator Henkel,

das vom Polizeipräsidium Berlin verhängte Verbot der bundesweiten Großdemonstration "PKK-Verbot aufheben - Demokratie stärken" konnte nicht verhindern, dass am 26.11.2011 geschätzte 4.000 Menschen in Berlin bei der genehmigten Demonstration auf die Straße gingen.

Sie demonstrierten gegen die Mordserie der Terrorzelle NSU, die bekannt gewordene unrechtmäßige Zusammenarbeit von staatlichen Behörden und Neonazis in Deutschland sowie die erstarkenden Strukturen eines Polizei- und Überwachungsstaats in der Türkei. Die Demonstration wollte darüber hinaus auf die Diskriminierung der kurdischen Community in Deutschland aufmerksam machen und im Zuge dessen gegen die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden protestieren.

Wir, die Unterzeichnenden, beanstanden auf das Schärfste, dass im Vorfeld über 10.000 Bürgerinnen und Bürgern, die zu dieser Demonstration anreisten, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit für ihr Anliegen verwehrt wurde.

Als unterzeichnende Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen, die wir bei der Demonstration teilnahmen, wenden uns dagegen, dass am 26. November in Berlin das seit 18 Jahren bestehende Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans PKK erneut dafür herangezogen wurde, legitime Proteste gegen eben dieses Verbot zu verhindern und ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter "Extremismus"-Verdacht zu stellen. Die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit müssen auch für kurdischstämmige Mitbürgerinnen und Mitbürger gelten.

Insbesondere weisen wir die vom früheren Innensenator Dr. Körting getroffene, diffamierende Bezeichnung „Terroristen“ für die über 10.000 zur Demonstration erwarteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu denen auch wir zählten, scharf zurück.

Nicht nur durch das Verbot der Demonstration "PKK-Verbot aufheben - Demokratie stärken" wurde versucht, diese Menschen mundtot zu machen. Kurdinnen und Kurden sowie ihre Unterstützerinnen und Unterstützer, die ihr Versammlungsrecht im Rahmen der genehmigten Demonstration gegen Faschismus und Rassismus ausüben wollten, wurden teilweise an der Anreise gehindert. Laut unseren Informationen wurden über 80 Busse gestoppt und ihre Insassen an der Demonstrationsteilnahme gehindert. Wir sahen uns auch auf der genehmigten Demonstration an der Ausübung unseres Versammlungsrechts erheblich gehindert.

Wir halten das Vorgehen der Polizei bereits im Vorfeld der Demonstration für eine klare Überschreitung ihrer Kompetenzen. Die Polizei versuchte, das antifaschistische Anliegen künstlich von einem pro-kurdischen Anliegen zu trennen und unterstellte ´kurdisch` aussehenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass sie nicht als Antifaschisten, sondern als ‚PKK-Sympathisanten‘ anreisten. Die Polizei traf somit erstens eine politische und subjektiv-selektive Unterscheidung, die so nicht haltbar ist, und unterschied zweitens nach rassischen Merkmalen. Während der Demonstration maßten sich Polizeibeamte an, unterscheiden zu können, welche politischen Forderungen von Demonstrantinnen und Demonstranten zum Spektrum der genehmigten Demonstration gehörten und welche nicht; so wurden etwa Transparente wie „Gegen die Repression gegen kurdische Organisationen“ beschlagnahmt, da sie nicht der Zielstellung der antifaschistischen Demonstration entsprächen. Wir fragen: Seit wann kann und darf die Berliner Polizei politische Forderungen beurteilen und zensieren?

Wir verurteilen außerdem das streckenweise höchst brutale Vorgehen der Polizei gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wegen ihrer kurdischen Herkunft pauschal wie Terrorverdächtige behandelt wurden.

Während der Demonstration sahen wir erschreckende Bilder; Polizisten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke gegen Frauen und Kinder ein. Dutzende Verletzte waren die Folge, circa hundert Demonstrantinnen und Demonstranten wurden festgenommen. Wir mussten leider brutale Übergriffe und höchst fragwürdige, provokative Handlungen der Polizei beobachten – einige Beispiele: Eine ältere Frau aus der münsterländischen Gemeinde Senden wurde von Polizisten überrannt, so dass sie zu Boden ging und verletzt wurde. Einer achtzehnjährigen Frau aus derselben Gemeinde fügten Polizisten durch ihr rücksichtsloses Vorgehen eine starke Kopfverletzung, Prellungen an der Hüfte und eine Verletzung am Rücken zu. Dieses brutale Vorgehen der Polizei gegen Frauen verurteilen wir. Es steht außer Frage, dass jegliche Gewalt - gleichgültig von welcher Seite – entschieden zu verurteilen ist.

Die klare Positionierung der Polizei gegen die Demonstranten kurdischer Herkunft schuf darüber hinaus ein Klima, in welchem türkische Faschisten sich offenbar zu Provokationen schon zu Beginn der Demonstration und zu Angriffen auf die Demonstranten ermutigt sahen.

Im Anschluss an die Demonstration wurde ein kurdischer Jugendlicher von türkischen Nationalisten durch Messerstiche schwer verletzt

Die Vorfälle in Berlin machen deutlich, dass der Slogan "PKK-Verbot aufheben - Demokratie stärken" eine berechtigte Forderung ist: Das PKK-Verbot ist ein Integrationshindernis für in Deutschland lebende Kurdinnen und Kurden. Ihnen wird eine legale politische Partizipation verwehrt, wenn ihnen eine Nähe zur PKK unterstellt wird, während selbst Teile des türkischen Staatsapparates sich grundsätzlich den Gesprächen mit ihr nicht mehr verschließen; zumal eine friedliche Konfliktlösung ausschließlich durch Dialog herbeigeführt werden kann.

Das Berliner Innenministerium macht sich jedoch zum Helfershelfer der derzeitigen repressiven und gewalttätigen Strategie der derzeitigen Regierung der Türkei, welche ihr eigenes militärisches Vorgehen in der kurdischen Frage nur dann international rechtfertigen kann, wenn auch im Ausland das Streben der Kurdinnen und Kurden nach Grund- und Kollektivrechten pauschal mit Terrorismus gleichgesetzt wird. Es wäre zu erwarten, dass Deutschland sich in diesem Konflikt zumindest neutral verhält, im besten Fall vermittelnd agiert.

Die kurdische Bewegung in der Türkei ist bekanntermaßen eine fortschrittliche, emanzipatorische und antifaschistische Kraft, die es nicht zu bekämpfen gilt, sondern welche die Solidarität aller Demokratinnen und Demokraten verdient.

Kurdinnen und Kurden werden unter Generalverdacht gestellt, wenn sie sich politisch äußern und engagieren wollen. Damit ist das PKK-Verbot ein Repressionsinstrument, dass gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe eingesetzt wird und darüber hinaus potenziell zum Abbau demokratischer Rechte auch anderer Bevölkerungsgruppen führt.

Wir sind der Auffassung, dass das PKK-Verbot abgeschafft werden muss, um gleichberechtigte Teilhabe kurdischstämmiger Mitbürgerinnen und Mitbürger zu ermöglichen

Wir würden uns über eine möglichst baldige und aufklärende Rückmeldung sehr freuen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen.

Ali Atalan, MdL Nordrhein-Westfalen

Hamide Akbayir, MdL Nordrhein-Westfalen

Christian Jäger

Persönlicher Referent

Ali Atalan, MdL

DIE LINKE. Fraktion im Landtag von NRW

Platz des Landtages 1

40221 Düsseldorf

Tel.: 0211-884 4644

Fax: 0211-884 3028

E-Mail: christian.jaeger@landtag.nrw.de

Internet: www.linksfraktion-nrw.de