Initiative der kurdischen Intellektuellen in Europa
Înîsiyatîfa Întelektuelên Kurd li Ewropa

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26.10.01

EU-Türkei: Eine friedensfördernde Politik ist dringend notwendig

Die türkisch-kurdischen Menschenrechtler, wie auch die europäischen und US-amerikanischen stellen immer wieder fest, welche "Fortschritte" auf dem Wege in die EU die Türkei seit ihrer Anerkennung als Beitrittskandidat im Dezember 1999 in Helsinki gemacht hat.
In dem Nationalen Programm der Türkei vom März 2001 wurden demokratische Forderungen wie die Aufhebung des Ausnahmezustands, die Ermöglichung der Rückkehr in die Dörfer, die Abschaffung der Todesstrafe und die Minderung des Einflusses der Nationalen Sicherheitsrates auf das politische Leben sowie die Beseitigung der gesetzlichen Hindernisse, die der Meinungs-, Organisations- und Pressefreiheit entgegenstehen, auf spätere Zeiten vertagt. Auch die in den letzten Tagen vollzogenen Verfassungsänderungen entsprechen nicht den Erwartungen der Menschenrechtler. Sie bilden nur einen Bruchteil dessen, was die Türkei tatsächlich verändern muss. Außerdem sollte nicht nur auf die Worte, sondern auch auf die Taten geachtet werden. Es sind Änderungen, die schnell ihre Grenzen finden und nur unter "Vorbehalt" Gültigkeit erlangen. Die Oberbegriffe "Nationale Sicherheit, Unteilbarkeit des Staates, Separatismus und Terrorismus" stecken den Rahmen der erlaubten "Freiheiten" genau ab.
Zusammengefasst kann man sagen, dass alle, die sich der neuen "Freiheiten" bedienen wollen, unter die Lupe des "Terrorismus und Separatismus" genommen werden. Ein Blick in die Gefängnisse, ein Blick auf die Liste der "Straftaten" der Intellektuellen wird zeigen, wer damit gemeint wird.
Die Kurden und Menschenrechtler in der Türkei glauben, dass die Türkei die durch die einseitigen Schritte der PKK und durch die EU-Beitrittskandidatur entstandenen Chancen nicht ernsthaft wahrnehmen will. Sie befürchten, dass diese einmaligen Chancen vertan werden, wenn die Türkei so weiter macht. Mit den im Sommer 1999 vollzogenen einseitigen Schritten der PKK wurden eigentlich alle Grundbedingungen der Machthaber in Ankara und politisch Verantwortlichen in Europa erfüllt: die Einstellung des bewaffneten Kampfes, der Rückzug der Kämpfer und die Bereitschaft, die Kurdenfrage friedlich und im Rahmen der Türkei zu lösen.
Kurden betteln im wahrsten Sinne des Wortes um Frieden. Frieden aber kann nicht einseitig erreicht werden. Sowohl für den Dialog, als auch für den Frieden braucht man mindestens 2 bereitwillige Parteien und auch Vermittler.
Doch diese Haltung der Kurden wird einfach ignoriert. Ununterbrochen finden sogenannte militärische "Säuberungs"aktionen diesseits und jenseits der Grenzen statt. Weder eine Amnestie für politische Gefangene und die Aufhebung des seit über zwei Jahrzehnten existierenden Ausnahmezustandes noch Rückkehrmöglichkeiten für Millionen vertriebene Menschen hat es gegeben.
Auch aus Brüssel sind keine positiven Reaktionen auf die von der PKK einseitig vollzogenen Schritte zu beobachten. Die ausgestreckte Friedenshand der Kurden wird auch hier nicht ergriffen und dementsprechend geantwortet. Anscheinend hat man mit der Auslieferung Abdullah Öcalans an seine Gegner die Kurdenfrage zu den Akten gelegt. Auch diese Haltung muss geändert werden, da sie den Frieden nicht fördert.
Friedensaktivisten und Menschenrechtler beobachten ferner, dass die Geduld der Kurden langsam zu Ende geht und der Druck der kurdischen Bevölkerung auf die PKK, erneut militärisch vorzugehen, sich verstärkt. Dies muss aber unbedingt verhindert werden. Wenn wieder der Krieg zu toben beginnt, befürchten sie, dass er dieses Mal nicht wie früher regional begrenzt sein wird. Die Flammen des Krieges könnten dann auch Ankara und Istanbul, Izmir und Adana erreichen. Und die Folgen und Auswirkungen würden auch in Europa spürbar sein.
Die "ganz Untersten", die "Verdammten der Welt" sagen "Nein" zu einem Leben in Unterdrückung und Gewalt, Negation und Leugnung. Die 15-20 Millionen Kurden fordern nur das, was die internationale Gemeinschaft, die UN und die EU als Lösung für Zypern vorgeschlagen, worauf sie im ehemaligen Jugoslawien, in Bosnien-Herzegowina und in Kosovo gedrängt haben: nämlich eine föderative Lösung innerhalb eines demokratischen Staates.
Die demokratischen Kräfte in der Türkei und die überwiegende Mehrheit des kurdischen Volkes sind dafür, dass eine Türkei EU-Mitglied wird, die bereit ist, sich zu verändern und zu wandeln, sowie die Demokratie mit all ihren Institutionen und Regeln in die Tat umzusetzen. Sie sind dafür, dass eine Türkei EU-Mitglied wird, die die Menschenrechte voll anerkennt und anwendet, die bereit ist, mit unterschiedlichen Farben und Tönen auf der Grundlage der Gleichheit in Frieden zu leben und gewillt, die kurdische Frage einer gerechten Lösung zuzuführen. Eine von wechselseitigen Interessen gekennzeichnete Beziehung zwischen der Türkei und der EU, bei der demokratische Grundsätze und Prinzipien verletzt und Werte missachtet werden, lehnen sie aber ab. Sie glauben, dass dies weder dem türkischen und kurdischen Volk noch der EU nutzen würde. Sowohl der Weg in die EU, als auch die Demokratisierung der Türkei führt über eine Befriedung von Amed (Diyarbakir), führt darüber, dass das kurdische Volk als gleichberechtigter Gesprächspartner anerkannt wird, also kurz gesagt, über eine gerechte Lösung der Kurdenfrage.
Nach den terroristischen Anschlägen in den USA glaubt die Türkei, dass sie jetzt eine einmalige Gelegenheit gefunden hat, Forderungen nach Frieden und mehr Demokratie entgegenzutreten. Sie versucht aus diesem barbarischen Akt Kapital zu schlagen, indem sie den berechtigen Kampf eines Volkes von 15-20 Millionen Menschen mit Terrorismus gleichsetzt, KurdInnen kriminalisiert und ihre Institutionen zur Zielscheibe erklärt. Sie hofft damit einerseits zum "Nulltarif" durch die Hintertür in die EU hereinzukommen und andererseits den berechtigten Kampf des kurdischen Volkes zu diskreditieren. Auch dies muss entschieden zurückgewiesen werden.
Aus all den oben genannten Gründen kommen der EU und den europäischen Regierungen eine sehr wichtige Aufgabe zu. Sie müssen auf die Türkei einwirken, damit die entstandenen Chancen nicht vertan werden und damit Dialog und Verständigung die Oberhand über Gewalt und Zerstörung gewinnen.
V.i.S.d.P: Mehmet Sahin, Köln