Informationsstelle Kurdistan e.V.
Büro für Internet und Öffentlichkeitsarbeit: Ludwigstr.13; 20357 Hamburg,
e- mail: isku-web@mail.nadir.org; Internet:www.nadir.org/isku/
Tel: 040/43182115; Fax: 040/35070949


Hamburg, 25. August 2001


Wir dokumentieren eine Übersetzung der Mitschrift der AnwältInnen beim Besuch beim PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf Imrali am 22.8.2001


Die Entvölkerung von fast 4000 Dörfern und der Tod von 40 000 Menschen kann nicht als Terrorismus definiert werden


Selbst die Staatsvertreter der Türkei sagen, dass in den letzten zwanzig Jahren ein Krieg niedriger Intensität stattgefunden hat. Demirel nannte diese Atmosphäre des Kampfes "nicht routinegemäss", und das ist gleichbedeutend mit "ungesetzlich". Etwas ungesetzlich zu nennen, heisst, dass es vor Gericht gebracht werden muss. In dieser Hinsicht ist es wichtig, dass Staatspräsident Sezer soviel Betonung auf den Rechtsstaat legt.

Der Prozess auf Imrali war unrechtmässig. Im Krieg sind über 40 000 Menschen gestorben, dafür kann nicht ich alleine verantwortlich gemacht werden. Die Entvölkerung von fast 4000 Dörfern und der Tod von 40 000 Menschen kann nicht als Terrorismus definiert werden. Die an diesem Prozess Beteiligten und die Opfer müssen als Zeugen angehört werden. Wenn es von beiden Seiten Kriegsverbrechen gegeben hat, muss ein Sondergericht nach dem Recht der Vereinten Nationen und Europas gegründet werden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EuMRGh) darf diese Realität bei seiner Beurteilung nicht ignorieren. Alles andere würde den Weg für ein historisches Unrecht bereiten.

Ich stimme den Eingaben meiner AnwältInnen an den EuMRGh zu. Allerdings darf es kein klassisches Verfahren geben nach dem Motto, es ist gegen ein paar Artikel der EuMRG-Konventionen verstossen worden. Die Bilanz der letzten 20 Jahre muss gründlich gezogen werden. Ich habe hier nicht einmal die Möglichkeit, eine angemessene Verteidigung vorzubereiten. Beim Weiterleiten meiner Verteidigungsschriften stosse ich auf Hindernisse. In meinen Eingaben werde ich die Umstände des Komplotts und die Rolle der beteiligten Staaten umfassend darstellen. Dieses Szenario geht weit über meine eigene Person heraus. Es handelt sich hierbei um Machenschaften, die seit 200 Jahren andauern. Im Rahmen dieser Politik wird zum Hasen "lauf!" und zum Hund "fass!" gesagt. (Anm.: Anspielung auf die westliche Politik gegenüber Minderheiten im osmanischen Reich, bei der mit dem Ziel der umfassenden Kontrolle durch Instabilität gleichzeitig sowohl Minderheiten in ihren Aufständen unterstützt wurden als auch die Zentralmacht bei der Niederschlagung dieser Aufstände.) Auf diese Weise sollte kein einziger ehrenhafter Kurde und Türke mehr übrigbleiben. Es wurde eine furchterregende Kampfsituation angestrebt, aus der viele Tote hervorgehen sollten. Diese Tatsache müssen alle Kreise in der Türkei, die Verantwortung tragen, Intellektuelle, Demokraten und Yurtsever (Anm.: feststehender Begriff für Anhänger der kurdischen Befreiungsbewegung) begreifen. Ich für meinen Teil versuche, der grossen Verantwortung gerecht zu werden und diesen verfluchten Zustand aufzuheben.

Gewisse Kreise versuchen, uns in einen blinden Aufstand zu ziehen. Die Kurden haben bis heute immer rebelliert. Seit tausenden von Jahren sterben und töten sie, ohne zu wissen warum. Es geht aber darum, das Problem zu verstehen. Es geht um Freiheit, ein Leben in Schönheit, in dem die eigene Identität gelebt werden kann, es geht darum, die eigene Würde zu bewahren. Der Mut derjenigen, die das nicht begreifen, ist nichtssagend und ihre Angst um so tiefer. Heuchlerische Vertreter des kurdischen Nationalismus wollen den von uns begonnenen Demokratisierungs- und Friedensprozess verzerrt darstellen. Sie wollen uns in einen blinden Aufstand ziehen. Sie versuchen, aus dem Blutvergiessen ihr eigenes Wohlergehen zu sichern. Sie wollen eine Atmosphäre schaffen, in der es wieder zu grausamen, aussergerichtlichen Hinrichtungen kommt. Seit 40 Jahren arbeiten sie für die Oligarchie. Sie wollen, dass keine aufrichtigen Intellektuellen, Yurtsever und Juristen mehr übrig bleiben.

Den Kurden fehlt der Sinn für die Forschung. Sie müssen klar erkennen, wer Freund und wer Feind ist, damit sie ihre legitime Verteidigung auf der richtigen Basis entwickeln können. Sie müssen ihre Politik auf stabile Grundlagen stellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen gestärkt und verbreitet werden. Im Grunde genommen sind wir es, die am ehesten den Geist der Misak-i Milli in uns tragen. (Anm.: In den frühen 20er Jahren anfänglich Doktrin der Befreiung der Türkei von westlichen Besatzerheeren, die in einer Grenzziehung um die befreiten Gebiete münden sollte; später vom türkischen Nationalismus usurpiert.) Der Bezug auf Demokratisierung und freie Einheit stärkt das kurdische und das türkische Volk sowohl qualitativ als auch quantitativ. Mut ist etwas anderes als einfach nur unüberlegt Widerstand zu leisten. Die Grundlage unserer legitimen Verteidigung muss stabil sein. Der demokratische Kampf muss auf dieser Basis entwickelt werden. Er sollte als ein Marathonlauf betrachtet werden.

Es gibt eine freie Welt zu gewinnen. Es gibt ein freies Leben zu gewinnen.