International Initiative
Freedom for Ocalan - Peace in Kurdistan

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Köln, 08.05.2001

' ASITI ' ELECTRONICAL

Aus aktuellen Anlass veröffentlichen wir vorab ein Interview mit dem türkischen Menschenrechtler Akin Birdal, dass in der nächsten Ausgabe des "Asiti"-Bulletins (zweimonatig erscheinende Publikation der Internationalen Initiative) erscheinen wird. Das Interview führten Janik LE CAINEC und Bruno RIPOCHE, beide sind Unterstützer der französischen Sektion unserer Initiative. Mittlerweile hat der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen 22 Tote gefordert. Es steht zu befürchten, dass die Zahl noch weiter ansteigen wird:

Akin Birdal, Vizepräsident der Internationalen Menschenrechtsföderation: "Die Gefängnisse in der Türkei sind ein Spiegel des Systems"

Der Hungerstreik in den Gefängnissen in der Türkei hat in einem Monat 17 Tote gefordert. Die politischen Gefangenen, etwa 10,000, militante Kurden oder Linksextremisten widersetzen sich der Verlegung aus ihren aktuellen Schlafräumen in Dreierzellen. Für Akin Birdal, türkischer Vizepräsident der Internationalen Föderation für Menschenrechte, enthüllt die Gefängniskrise den schlechten Zustand des Staates.

Sie haben selbst mehrere Aufenthalte im Gefängnis hinter sich, zuletzt in 2000. Wie war das? Warum lehnen die Gefangenen das Projekt der Regierung ab?

Die Lebensbedingungen in den Schlafräumen sind nicht akzeptabel. Es gibt Probleme mit der Hygiene, der Pflege, der Ernährung... Aber es ist nichts getan worden, um sie in einen bewohnbaren Zustand zu bringen. Das Budget, das die Gefängnisse haben, ist unzureichend. Andererseits sind die Isolationszellen auch keine Lösung. Sie reduzieren die physischen und intellektuellen Möglichkeiten der Gefangenen auf Null. Sie schneiden sie vom Leben und von den anderen ab. Es gibt keine Gemeinschaftsräume: nicht zum Fernsehen, zum Radiohören, zum Lesen oder für den Sport. Dieses System bestraft auch die Angehörigen. Ich habe das Gefängnis in Edirne besucht. Dort gibt es das neue System bereits. Bei Besuchen müssen sich die Mütter ausziehen, um sich am Körper von nicht identifizierten Personen durchsuchen zu lassen. Man weiß nicht, ob es sich dabei um Polizisten oder Zivilisten handelt. Sogar die Anwälte können sich nicht frei mit den Gefangenen unterhalten.

Nach 184 Tagen Hungerstreik, wie weit kann sich die Situation noch verschlechtern?

Man muß der Anzahl der Todesfälle noch die 32 Toten vom Dezember hinzufügen, als den Sicherheitskräften der Befehl zu Angriff auf die Gefängnisse gegeben wurde, um in einer Operation namens "Rückkehr zum Leben" die Bewegung zu zerschlagen.

Heute befinden sich 26 Personen am Rande des Todes. Wenn der Streik aufhörte, behielten 153 Menschen körperliche oder psychologische Folgen zurück.

Für die Gefangenen ist dieser Streik die ultimative Lösung. Für den Staat ist es eine Frage des Prestiges. Ecevit, der Premiermininster, hat erklärt, er werde sich dem "Terrorismus" nicht beugen.

Gibt es keinen Ausweg?

In seiner ganzen Art ist das alles künstlich forciert, um die Aufmerksamkeit abzulenken. Jedesmal wenn es eine Krise gibt, holt der Staat das Thema Gefängnisse hervor. Diesmal aber wird das nicht funktionieren.Das System selbst ist so sehr beschädigt, daß es nichts mehr verbergen kann, weder die Wirtschaftskrise noch die politische Krise. Aber der Staat ist nicht der einzige Verantwortliche. Es gibt noch andere: die öffentliche türkische Meinung, die öffentliche europäische Meinung, wegen ihrer beider Gleichgültigkeit.

Haben die Türken kein Empfinden für Menschenrechte?

Man ist schon sensibel für Menschenrechte, aber das ist nicht organisiert. Der Staatsstreich von 1980 hat die Gesellschaft terrorisiert, die öffentliche Meinung hat keine Struktur mehr.

Wie beurteilen Sie die Haltung der Europäischen Union?

Seit einer Woche hat sie ihre Haltung geändert. Vorher hat sie sich streng wie ein Zuschauer dieser Situation verhalten. Sie hat sie sogar irgendwie ermutigt und gesagt, daß es auch in europäischen Ländern Isolationszellen gegeben habe.

Die Justiz verfolgt sie aufs neue, weil sie die Türkei aufgefordert haben sich für den Völkermord an den Armeniern zu entschuldigen. Was riskieren Sie? Wer hat 1998 auf Sie geschossen?

Das Attentat wurde von einem hohen Verantwortlichen des Militärapparats befohlen. Meine Anwälte haben versucht, Klage einzureichen und verlangt, daß eine Untersuchung eingeleitet wird. Die geschossen haben, das ist die Konterguerilla, das Äquivalent der GAL in Spanien.

Wollen Sie sagen, daß man Sie mit einem Terroristen gleichsetzt?

Nach diesem Attentat wurde ich inhaftiert. Wegen meiner Verletzungen konnte ich nicht schreiben. Ich verlangte ein Diktiergerät. Die Strafvollzugsbehörde antwortete mir: "Die Forderung des Terroristen Akin Birdal kommt nicht in Betracht." Das selbe geschah den Abgeordneten Orhan Dogan, Hatip Dicle und Leyla Zana (im Gefängnis, weil sie 1992 ihren Eid im Parlament auf Kurdisch leisteten). Sie werden mit Terroristen auf eine Stufe gestellt. So wird es möglich, ihnen alle Rechte zu streichen.

Die kurdische Guerilla scheint auf dem Wege der Auflösung seit der Inhaftierung ihres Chefs Abdullah Öcalan. Öffnet das den Weg für mehr Demokratie?

Die Guerilla ist nicht am Ende. Sie hat eine Feuerpause verkündet. Bis heute hat der Staat das als Vorwand für die Nicht-Demokratisierung benutzt. Das ist die grundsätzliche Frage in der Türkei: Das Interesse des Staates geht vor das Interesse des Einzelnen. Eine wirkliche Demokratie aber schützt zuerst die Rechte des Einzelnen.

Unfähigkeit, die Wirtschaft zu reformieren, Gefängniskrise, Blockade in der Kurdenfrage, das armenische Tabu: Die Türkei scheint wie gelähmt...

Es ist das System, das man ändern muß. Die Gefängnisse sind der Spiegel des Systems, eine Wunde, die ununterbrochen blutet. Wir sind Zeugen des Zusammenbruchs eines Staates, der vollständig ist. Seine Nähte krachen, er kann nichts mehr kaschieren. Was heute zählt ist, das Leiden der Bevölkerung zu verringern und deswegen braucht das türkische Volk internationale Solidarität. Ansonsten (lacht)... müssen wir uns alle nach Europa einschiffen.