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Hamburg, 18. Mai 2001

Wir dokumentieren einen Artikel aus der türkischsprachigen Tageszeitung ÖZGÜR POLITIKA vom 18.5.2001 über eine Erklärung Abdullah Öcalan zu seiner Verteidigung vor dem Europäischen Menschengerichtshof.

'Rechte auch für Kurden'

Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan hat nach einem vorgestern stattgefundenden Treffen mit seinen Anwältinnen vom "Rechtsbüro des Jahrhunderts" (Asrin Hukuk Bürosu), Mehmet Erbil, Irfan Dündar, Filiz Köstak, sowie mit seinem Bruder Mehmet Öcalan eine schriftliche Erklärung veröffentlicht, in der er mitteilt, dass er in seiner Verteidigung für den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EMGH) juristische Grundlagen mit demokratischer Einheit und Frieden vereinigen will. Wörtlich heisst es in der Erklärung: "Ich verfolge eine Lösung vom Recht Europas bis zum Recht der Türkei. Es gibt die Menschenrechtsebene und die juristische Ebene. In meiner Verteidigung möchte ich juristische Grundlagen mit demokratischer Einheit und Frieden verbinden. Wir bringen die theoretischen Perspektiven hervor. Wir stellen die Verbindung her zwischen dem juristischen System und der Verfassung. Der Staatspräsident schreibt juristische Epen. In der Person Sezers wird das Verständnis eines juristischen Kampfes umgesetzt. Staatsanwalt Salk hat für mich die Anklageschrift geschrieben. Bin ich im Recht oder ist es Salk? Bzw. ist Yilmaz im Recht oder Salk? Herr Sezer verteidigt fortwährend den Rechtsstaat. Was er sagt, sollte sich jeder zur Grundlage nehmen. Der Rechtsstaat muss verwirklicht werden. Immer noch werden Menschen aus ihren Häusern geholt und "verschwinden". Bei uns funktioniert der Rechtsstaat nicht. Unser Volk hat noch keine Justiz kennengelernt. Das kurdische Volk muss Gerechtigkeit kennenlernen. Dafür ist ein bewusstes Vorgehen notwendig. Es darf nicht nur bei geschriebenen Worten bleiben. Es ist eine Justizplattform nötig. Diesbezüglich könnte ein Symposium veranstaltet werden."

Das Problem ist eine Frage der Rechte

Der PKK-Vorsitzende teilte weiterhin mit, die kurdische Frage basiere sowohl in Europa als auch in der Türkei auf "einer Verfassung, einem juristischen Problem". Die momentane Phase habe sowohl objektiv als auch subjektiv gesehen mit ihm selbst begonnen, so Öcalan: "Die Quelle des gegen mich verwirklichten Komplotts liegt grösstenteils in Europa und hat ein 200-jähriges Fundament. England und Frankreich haben damit seit 200 Jahren zu tun. Das Manko zeigte sich nach 1990 durch Vermittlung der Kräfte im Süden. Wir wurden wie in einer römischen Arena den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Der Türkei wurde gesagt: 'Nimm dein Opfer und häng es auf'. In der Geschichte Griechenlands kommen unvergleichbare Fälle von Verrat vor. Das muss richtig analysiert werden, damit nicht Tausende sterben. Dies sollte nicht falsch verstanden werden, ich hege keine Feindschaft zum griechischen Volk. So gab es zum Beispiel in den ersten Tagen den Vorfall vom "Mavi Carsi" und ähnliches. Da hatte ich Angst vor dem ungerechten Tod Zehntausender. Viele sehen den Aufstand als den einzigen Weg. Von den Toten wären die meisten Kurden gewesen. Meine politische Moral kann so etwas nicht zulassen."

Dervis' Programm

(...) "Die (deutsche) Zeitschrift STERN schreibt, bei Dervis' Programm handelt es sich um ein Programm "nach Apo". Es ist mit mir verbunden. Wenn Europa und USA ein Programm entwerfen, müssen auch wir und das Volk ein Programm haben. Wir haben einen Weg aufgezeichnet, ich bemühe mich, ihn weiter zu verfolgen. Die Grundlage meiner Verteidigung ist die legale Verteidigung. Es ist der Weg der Richtigkeit und Geschwisterlichkeit. Ich glaube daran, dass das die Freiheit bringt. Meine Verteidigung hier ist juristisch und politisch. Ich möchte das Problem der Gewalt lösen."

'Den Befreiungskrieg habe ich nicht aufgegeben'

Der Befreiungskrieg führe er weiter, so Öcalan: "Der Befreiungskampf wird mit Verstand und Recht geführt. Wir sind für die Unabhängigkeit und Befreiung der Türkei. Das befürworten wir. Mit Kapitulation hat das nichts zu tun. Warum regt sich Ciller auf, weshalb schreit sie? Weil sich die Türen zum Profit verschliessen. Auch Fazilet (Tugendpartei) und Dogru Yol (Partei des Rechten Weges) wollen meine Hinrichtung, weil sie daraus Gewinn schlagen können. Aus diesem Grund habe ich eine kaltblütige Haltung angenommen. Es war eine gute Haltung. Der Komplott war nicht nur gegen mich gerichtet, sondern auch gegen die Türkei. Auch wenn ich niemals leben wollte, habe ich für unsere Völker, für unser Land gelebt."

'200-jähriges Problem'

Die kurdische Frage habe ein 200-jähriges Fundament, so Öcalan: "Es gibt eine verfluchte Geschichte, Zusammenarbeit, die Spiele des Imperialismus Englands und Europas. In Anatolien gab es in der Phase von 1920 ein gutes Bündnis. Das Manko der Kurden lag darin, ihre Forderungen nicht in demokratischer Form vorzubringen. Die Aufstandskultur der kurdischen herrschenden Klasse - das sage ich nicht, um es schlecht zu machen - hat die Republik nicht aufgebaut. Die Engländer haben den einen Aufstand führen lassen, zum anderen 'aufhängen' gesagt."

Auch in den Neunziger Jahren sei dieses Spiel gewollt worden, so Öcalan: "Das wollte ich nicht zulassen. Ich habe gesagt, lasst uns das Problem mit Demokratie und Geschwisterlichkeit lösen. Die Türkei ist gezwungen, das zu verstehen, bzw. die Kurden müssen dafür sorgen, dass es verstanden wird. Der Kern meiner Verteidigung liegt darin. Meine Verteidigung zieht Lehren aus der Geschichte. Sie nimmt das Recht auf Gerechtigkeit in die Hand. Hat unser Volk am Befreiungskrieg teilgenommen? Ja! Hat es seine Rechte bekommen? Nein! Die Suche eines Volkes nach seinen Rechten ist kein Separatismus, sondern die demokratische, laizistische Republik an sich.

Wenn diese Spiele nicht gespielt worden wären, hätte die Republik sogar Japan übertroffen. In der Synthese der Kulturen Anatoliens und Mesopotamiens kann das überwunden werden. Der primitive Nationalismus ist sowohl bei den Kurden als auch bei den Türken das Spinnennetz, das den Blick auf die Zukunft versperrt. In einer Demokratischen Republik zu leben ist ein Verdienst. Wir haben nicht die Auffassung vom kleinen Staat der Sozialisten. Wir wollen eine grosse Einheit der türkischen Republik mit dem Balkan und dem Mittleren Osten. Das bedeutet Reichtum. Darin müssen aber auch die hohen Werte der Völker Platz haben."

Europa hat auf den Komplott gebaut

In scharfem Ton kritisierte der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan die Länder Europas: "Europa hat in meinem Fall nicht auf Justiz gebaut, sondern auf einem Komplott. Ich bin im Moment nicht der Gefangene der Türkei, sondern des Komplotts. Die Initiatoren des Komplotts werden wir vor Gericht zur Abgabe ihrer Aussage rufen. Damit wird auch der Prozess hinfällig sein. Wir werden Europa sagen, 'Du baust nicht auf Justiz auf, sondern auf einem 200-jährigen Massaker, auf einem Komplott. Du kannst nicht darüber diskutieren, ob Apo ein Terrorist ist oder nicht. Denn den Komplott hast du eingeleitet.' Ich bereite eine schriftliche Verteidigung vor. Über Sklaverei habe ich 300 Seiten geschrieben. Ich demaskiere 75 % der Lügen Europas zu seinem Vorgehen in bezug auf Justiz und Politik. Ich habe diesen Komplott Theater genannt. Das Szenario hat jemand anders geschrieben, in Imrali wurde es gespielt. Das Theaterstück muss gestört werden. Wenn die Türkei sich von dem Einfluss des Komplotts befreit und tatsächlich Haltung gegen Sevre annimmt, können wir unser Problem in Freundschaft lösen."

Demokratische Mobilmachung

Der Komplott finde sowohl innen als auch aussen statt, erklärte der PKK-Vorsitzende. Um den Tod von Zehntausenden zu verhindern, müsse sich "jeder in der demokratisch-gesetzlichen Phase einsetzen". Dafür müsse eine "demokratische Mobilmachung" stattfinden, so Öcalan: "Wegen mir soll niemand auch nur Nasenbluten kriegen. Die gesetzlich-demokratische Phase muss bis zum Ende Anwendung finden."

Weiter teilte Öcalan mit: "Wenn die demokratischen Rechte anerkannt werden, kommt auch Geschwisterlichkeit auf. Das Gegenteil bedeutet die Rückkehr zum Krieg. Der Kampf für demokratische Rechte findet nicht für mich statt, sondern für das Volk, für die Demokratie, für die Menschenrechte. Der Staat ist ein Mittel; wenn der Einheit und Gesamtheit kein Schaden zugefügt wird, findet auch der Staat den Ausgang und kann seinen Teil beitragen. Wir müssen uns gegenseitig überzeugen, uns erklären. Das kann nicht mit Gerede stattfinden. Jeder muss die ihm zukommende historische Aufgabe erfüllen. Nicht Abtrennung, sondern demokratische Einheit, nicht Gewalt, sondern würdevoller Frieden, auf der Grundlage dieses Entwurfs habe ich mich bemüht. Ein würdevoller Frieden wird mit einer kraftvollen legitimen Verteidigung erreicht. Für die demokratische Einheit muss mobil gemacht werden. Für die vollständige Beendigung der Gewalt muss ein Dialog ins Leben gerufen werden."