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Hamburg, 11. Mai 2001

Wir dokumentieren eine Erklärung Abdullah Öcalans aus der türkischsprachigen Tageszeitung ÖZGÜR POLITIKA vom 11.5.2001

'Die Lösung liegt in einem linken Bündnis'

Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan hat auf die Wichtigkeit eines "liberalen linken Bündnisses" in der Entwicklung einer verfassungsrechtlichen demokratischen Lösung aufmerksam gemacht. "Alle sind zur demokratischen Mobilmachung eingeladen", erklärte Öcalan in einer schriftlichen Erklärung, die er über seine Anwälte abgab, mit denen er vorgestern zusammengetroffen war. Weiterhin äusserte sich der PKK-Vorsitzende zu seiner Verteidigung, die er für den Prozess vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof vorbereitet. Es handele sich dabei um eine Abrechnung "mit den westlichen Ländern, die den Komplott inszeniert" haben.

'Verfassungsrechtliche demokratische Lösung'

Einhergehend mit einer Einladung zur demokratischen Mobilmachung erklärte Öcalan, der einzige Weg zur Rettung aus der bestehenden Krise und zu einer verfassungsrechtlichen Lösung sei ein "liberales linkes Bündnis". Seit zwei Jahren habe er die Wichtigkeit einer "verfassungsrechtlichen demokratischen Lösung" betont, so der PKK-Vorsitzende: "Es hätte eine demokratische, rechtliche Lösung entwickelt werden können, ohne in Abtrennung und Gewalt zu verfallen."

Öcalan machte auf den Vorschlag des türkischen Wirtschaftsministers Kemal Dervis für ein "liberales linkes Bündnis" aufmerksam und erklärte: "Die Türkei könnte es vielleicht mit dem Dervis-Weg versuchen. Er übt eine wichtige Politik aus. Das Bündnis könnte HADEP, ÖDP, Inönü, CHP, Ecevit miteinschliessen. Weil die DYP/SHP-Koalition von 91 nicht auf eine demokratische Lösung ausgerichtet war, hat die Türkei schwere Verluste erlitten. Wir sollten das verwirklichen, was 91 verpasst worden ist. (...) Damit kann eine verfassungsrechtliche demokratische Lösung erreicht werden. Wenn die Arbeit Dervis' erfolgreich ist, kann auch die Rechte nicht dagegen angehen. Somit wird die Türkei aus der Krise herauskommen."

Aufruf zur demokratischen Mobilmachung

Eine an die Realität der Türkei angelehnte, verfassungsrechtliche demokratische Lösung müsse sich auch in der Region niederschlagen, so Öcalan: "Lasst uns die Lösung nicht irgendwo anders suchen, nicht in der Europäischen Union und nicht in den USA. Sie bieten nur begrenzte Lösungen. Die eigentliche Lösung liegt in der Türkei selbst." Auch die Armee sei nicht ganzheitlich gegen eine demokratische Entwicklung und die Lösung des Problemes in der Türkei. "Ich lade alle zur grossen Demokratie-Mobilmachung ein. Ich lade nicht nur die PKK, sondern alle kurdischen organisierten Kräfte dazu ein, bis zur Erreichung von Frieden für einen Dialog konstruktiv zu arbeiten."

'Ich bin Millionen...'

Zum Thema Todesstrafe und angesichts seines Lebens unter schwersten Isolationsbedingungen setze er weiterhin seinen gesunden Menschenverstand ein, erklärte Öcalan. Den Kräften zum Trotz, die vom Krieg profitieren, habe er immer den Frieden als Grundlage genommen. "Ich bin weder auf eine Amnestie noch auf eine individuelle Rettung aus. Das Problem liegt in der Rettung des Volkes, im Nutzen des Volkes. Es geht um ein moralisches, ein ethisches Verhalten. Das ist meine Weltanschauung und meine Philosophie. So muss es auch verstanden werden. Diejenigen, die sagen 'Unbedingt aufhängen', sind im Innern vom Kriegsprofit, im Äusseren von anderen Kräften abhängig. Warum sollten wir uns von Kriegsprofiteuren abhängig machen? Es ist offensichtlich geworden, wer korrupt ist und Geld unterschlagen hat, sie stehen alle vor Gericht. Nein, ich habe den Frieden zur Grundlage genommen. Ich fürchte mich nicht vor dem Krieg, ich bin keine Einzelperson, ich bin Millionen. Wer mich unbedingt aufhängen will, muss auch die Resultate in Kauf nehmen." (...)

'Ich fürchte, nicht verstanden zu werden'

(...) Der PKK-Vorsitzende erinnerte daran, dass er der Bevölkerung der Türkei niemals feindselig gegenüber gestanden habe, was durch die Ausrufung von drei Waffenstillständen seit 93 gezeigt worden sei. "Ich sage zur Türkei, lasst uns die Geschwisterlichkeit verwirklichen. Das geht nicht, wenn meine Sprache, meine Kultur verboten werden. Es muss in der Politik zu einer Einigung kommen. Wenn es weiter heisst, 'Ich werde dich umbringen, vernichten, aufhängen', sollen auch die daraus entstehenden Resultate in Kauf genommen werden. Diesbezüglich fürchte ich mich nicht davor, aufgehängt zu werden, sondern nicht verstanden zu werden. Ich fürchte mich vor dem Erfolg der blutigen Profitpolitik."

Für eine demokratische Lösung und einen Dialog sei die Kraft der Basis wichtig, fuhr Öcalan fort und brachte seine Sorge zum Ausdruck, dass sich ansonsten anstelle des Dialoges wieder die Gewalt verstärken könne. "Frieden kann nur mit Friedenskräften Erfolg haben. Demokratie kann weder durch Kapitulation noch durch Profit erreicht werden. Wenn sich die demokratische Kraft intensiviert, kann sie Resultate erzielen."

'Das Szenario wurde vom Westen entworfen' (...) In einer Bewertung der Rolle der westlichen Länder an dem Komplott sagte Öcalan: "Das Szenario hat der Westen entworfen, der grundlegende Faktor war der Westen. Der Türkei wurde die Rolle der Bewachung und Vollstreckung zugeteilt. Die griechische Wühlarbeit ist erschreckend; England holt das Flugzeug heimlich aus der Schweiz; in Kenia sind israelische und CIA-Agenten, (...) gegen Italien wird psychologischer Krieg geführt; Deutschland weigert sich, mich aufzunehmen... Griechenland sagt, 'Apo wird auf halbem Weg sterben'; die Waffe sollte mir der Botschafter geben, damit sollte ich Widerstand leisten. Dann hätten auch die Kurden Widerstand geleistet und Zehntausende wären gestorben. (...) All das ist belegt." Mit der Zielsetzung, die Wahrheit ans Licht zu bringen, werde er in seiner Verteidigung sehr in die Tiefe gehen, teilte Öcalan mit, der ausserdem erwähnte, er habe einzig mit der Definition des Begriffes "Versklavung" über 200 Seiten gefüllt.

Weiter erklärte der PKK-Vorsitzende, er bezwecke die Falschheit und Scheinheiligkeit der westlichen Zivilisationen in bezug auf seine Person offen zu legen, und rief die Intellektuellen der Türkei dazu auf, den menschlichen Forderungen der Kurden gegenüber Verständnis aufzubringen und die Wirklicheit für ihre eigene Bevölkerung ans Licht zu bringen. Diese Wirklichkeit müsse auch vom Staat, den Politikern und den Kurden begriffen werden.

'Europa hat gegen Recht verstossen'

"Vor dem Europäischen Gerichtshof möchte ich eine ganze Verteidigung abhalten. Das ist keine technische Frage. Ich wurde zu einem Paket verschnürt und den türkischen Zuständigen übergeben. Das war nicht das Werk von ein, zwei Kenianern. Das Szenario meiner Entführung hat der Westen entwickelt, damit wurde gegen europäisches Recht verstossen. Es gibt Zeugen dafür, wie ich aus Russland verschleppt worden bin, Zeugen für den psychologischen Krieg in Italien und Zeugen für Athen. Es gibt meine eigentlichen Entführer. Wer liess das Flugzeug bringen, wer hielt sich im VIP-Bereich auf, wer war in Korfu und in Kenia? Von Kalenderis und Pangalos über den Ministerpräsidenten muss jeder angehört werden. Man kann nicht sagen, 'Die Türkei ist gekommen und hat ihn entführt'. Wenn wir das vor Gericht nicht zu Gehör bringen können, bleibt es unverständlich. Ich war im Rahmen europäischen Rechtes in der griechischen Botschaft. Während ich auf die Antwort der griechischen Botschaft wartete, wurde ich auf illegale Weise entführt." Falls diese Tatsachen nicht ans Licht der Öffentlichkeit gebracht würden, käme das "dem Verlust dieses Jahrhunderts für die Türkei" gleich.

'Türkei muss Geschwisterlichkeit richtig begreifen'

Öcalan wiederholte, er wünsche nicht, dass die Türkei verliere. Dafür müsse aber auch die Türkei Anstrengungen vorweisen. "Das kurdische Volk ist ein sehr trauriges. Ich wünschte, es wäre nicht so, ich wünschte, ich hätte es besser führen können. Es handelt sich um ein zweihundertjähriges Spiel. Wenn ich kein guter Führer sein konnte, tut es mir leid. Aber ich sehe es auch nicht als Niederlage."

Als Abschluss wiederholte der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan ein weiteres Mal, er bezwecke nicht die Abrechnung mit der Türkei, sondern mit den Kräften des Komplotts. "Was ich von der Türkei erbitte, ist das richtige Verstehen der kurdisch-türkischen Beziehung, von Demokratie und Geschwisterlichkeit. Es gibt die eigentlichen schmutzigen Mächte, mit denen ich abrechnen möchte."