Presseerklärung der Hamburg/Schleswig-Holsteiner Newroz - Delegation,
die namens des Landesverbandes des Südschleswigschen Wählerverbandes SSW und der Hamburger Bürgerschaftsgruppe des Regenbogen die kurdischen Gebiete der Türkei bereiste

Während in Europa die Aufhebung der letzten innergemeischaftlichen Grenzen gefeiert wird, kann man sich im Osten des EU-Beitrittskandidaten Türkei kaum 10 km weit bewegen, ohne kontrolliert zu werden, ohne erklären zu müssen, warum man von A nach B möchte, was man dort wolle, wer man sei und ob man - und dies auch außerhalb des Ausnahmezustandsgebietes - über ein Passierschein verfüge. Andernfalls dürte man nicht weiter. Wir als Deutsche durften, weil wir uns darauf berufen konnten, unsere Reise zwei Wochen zuvor über die deutsche Botschaft angemeldet zu haben. Die Kurdinnen und Kurden haben keine Botschaft, über die sie etwas anmelden könnten. Die von ihnen vor zwei Jahren in fast allen kurdischen Städten gewählten kurdischen Bürgermeister der HADEP, der prokurdischen Demokratischen Volkspartei, dürfen in ihren eigenen Städten nicht ihre eigene Sprache sprechen, allenfalls auf der Straße, nicht aber im offiziellen Bereich. Und das bleibt auch so, hat die Türkische Republik in ihrem "Nationalen Programm" zur Erfüllung der EU-Beitrittskriterien von Kopenhagen am 20. März 2001, am Vorabend des kurdischen Neujahrsfestes erklärt. Aufrechterhaltung der Nichtanerkennung des Kurdischen als Sprache, Aufrechterhaltung des Verbots in Kurdisch zu publizieren. Während in Deutschland muttersprachlicher Zusatzunterricht auf Kurdisch mit schulbehördlicher Genehmigung und Besoldung der Lehrkräfte erteilt wird, existiert die Sprache in der Türkei überhaupt nicht und dürfte, sofern sie dennoch existieren sollte, nicht unterrichtet, nicht gedruckt und nicht gesendet werden.

Während die vom Volk gewählten Bürgermeister in ihren eigenen Städten politisch nichts sagen und nur das organisieren dürfen, was Geld kostet und wofür sie vom Staat kein Geld bekommen und es deshalb in unbezahlter Eigenleistung der Bewohner/innen organisieren, wie die Müllabfuhr, wissen die türkischen Machthaber sehr gut, wer das Volk repräsentiert. In nahezu jeder Sperre wurden wir, gleichviel ob von der Polizei, dem Militär oder der Jandarma gefragt, ob wir auch "zur Partei" wollten. Nicht etwa, ob wir zu einer bestimmten Partei wollten, und wenn, zu welcher, sondern nur, "zur Partei" (der HADEP). Eben weil es in den kurdischen Gebieten der Türkei nur eine Partei gibt, nämlich die HADEP, die das Volk, und eine Kraft, die den türkischen Staat vertritt: das Militär und die ihm nachgeordneten sonstigen Sicherheitsorgane.

Das haben wir in aller Deutlichkeit in Diyarbakir erfahren, als wir zusammen mit mehr als einer halben Millionen Menschen das kurdische Neujahrsfest Newroz feiern konnten. Das haben wir während unserer einwöchigen Reise durch die kurdischen Gebiete im Osten der Türkei auch überall sonst erfahren. In Kars, in Dogubayazit, in Van, in Bitlis ... Wir haben aber auch erfahren, dass nach wie vor wie vor an jeder Ecke ein Panzer - meist deutscher Bauart - steht, dass nach wie vor Menschen "verschwinden" ( wie zuletzt 2 Funktionäre der HADEP in Silopi) und daß nach wie vor Folter und Vergewaltigungen in den türkischen Polizeistationen und Gefängnissen zum Alltag gehören.

Kann in einem künftigen freien Europa der Völker ohne Grenzen ein Staat liegen, der ein Viertel seiner Bevölkerung, ungefähr soviel wie es Dänen, Norweger und Schweden zusammen gibt, sprachlos macht, einsperrt, jeglicher Rechte beraubt - zum Beispiel des Rechtes auf Rückkehr in die vom Militär zerstörten Heimatdörfer - und dies auch noch schriftlich als Zukunftsprogramm der Weltöffentlichkeit vorlegt? Wenn dies weiterhin so toleriert und die Türkei auch noch in die EU aufgenommen wird, ohne irgendetwas an ihrer menschen- und völkerverachtenden Politik ändern zu müssen, dann gereicht es - wie die Kurden zu Recht sagen - der gesamten Menschheit zur Schande, denn wozu verabschieden alle überstaatlichen Zusammenschlüsse wie die EU, die NATO oder die UN die Garantie von Grundrechten, wenn sie für 20 Millionen Menschen einem ganzen Volk, innerhalb des Mitgliedstaates Türkei außer Kraft gesetzt sind und bleiben sollen.

Hamburg, den 25 März 2001 Christian Arndt, Enno Jäger, Robert Jarowoy, Doris Juhnke, Dietmar Kurzeja, Flemming Meyer, Birgit Möbus, Beate Reiss, Ludger Schulte, Reinhard Schwandt, Ingrid Senkbeil, Martin Tack, Gerd Weissmann.