Initiative of Kurdish Intellectuals in Europe
Initiative der kurdischen Intellektuellen in Europa
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20. März 2001

Pressemitteilung

Das türkische National Programm auf dem Wege in die EU - Ein Deal zwischen Brüssel und Ankara?

Nachdem die EU am 8. November 2000 das "EU-Dokument zur türkischen Beitrittspartnerschaft" vorlegte, war der Ball im türkischen Feld. Die Türkei sollte ihr an das EU-Dokument anzupassende "National- Programm" eigentlich im darauffolgenden Monat vorlegen. Dieses "lang ersehnte" National-Programm der Türkei wurde am 19. März 2001, also fast vier Monate später der Öffentlichkeit vorgelegt. Die zum Teil wegen der Rücksicht auf die "Sensibilität" der Türkei verwässerten Forderungen im EU-Dokument zur türkischen Beitrittspartnerschaft wurden diesmal nach türkischer Art "richtig und sachgemäß" behandelt. Selbst viele der Forderungen der EU wurden bis zum "Unkenntlichen" von Ankara verwässert.
In dem "National-Programm" der Türkei werden die wichtigsten Probleme des Landes, die von der seit zwei Jahrhunderten nicht gelösten und immer wieder blutenden Kurdenfrage herstammen, nicht erwähnt. Nachdem die Herrschaften in Brüssel nicht wagten, in ihrem Dokument selbst die Wörter "Kurde" und Kurdisch" zu benutzen, war klar, dass sie auch nicht im türkischen "National-Programm" vorkommen würden. Die Hoffnungen auf kulturelle Rechte an Kurden, wie beispielweise Rundfunk- und Fernsehsendungen oder Erziehung in kurdischer Sprache, wurden zunichte gemacht.
Die Amts- und Schulsprache in der Türkei sei Türkisch. Es sei nicht verboten gewesen, dass jeder Bürger das Recht habe, einen anderen Dialekt oder eine andere Sprache im privatem Bereich zu sprechen. Damit dürfe aber nicht für separatistische Anliegen geworben werden, so heißt es im "National-Programm" der Türkei. Die Aufhebung des Ausnahmezustandes, die Schaffung von Rückkehrmöglichkeiten für die vertriebenen 3-4 Millionen KurdInnen in ihre angestammte Siedlungen, die Abschaffung der Todesstrafe, die Zurückdrängung des allmächtigen Militärs aus der Politik, sowie Meinungs-, Presse und Organisationsfreiheit wurden auf die lange Bank geschoben.
Mit dem türkischen "National-Programm" wurden die Kopenhagener Kriterien sowie Werte und Prinzipien der EU "getürkt". Mit dem vorgelegten Dokument und gleichzeitiger Zunahme der Repressalien gegenüber Menschenrechtlern und KurdInnen gibt das Regime in Ankara die Botschaft: "Ich werde mich nicht verändern. Die EU soll mich so, wie ich bin, aufnehmen". Genau in diesem Sinne war das Vorgehen der EU. Ohne das türkische "National-Programm" abzuwarten, besiegelte die EU am 8. März die "Beitrittspartnerschaft" und gab Gelder für die Türkei frei.
Das unter starker Rücksicht auf die "Sensibilität" der Türkei vorbereitete "EU-Dokument zur türkischen Beitrittspartnerschaft" und die Absegnung des Dokumentes sowie die Freigabe der Gelder, ohne genau zu wissen, was das türkische National-Programm beinhaltet, ließ erwarten, dass aus Ankara nicht positives heraus kommen wird.
Sowohl das EU-Dokument zur türkischen Beitrittspartnerschaft, als auch das türkische "National Programm" sehen nach einem Deal aus. Zu Recht benutzte "Die Presse" (Wien) vom 10. März 2001 die Überschrift "Ein Deal mit der Türkei". Nach dieser Meldung hält der Türkei-Spezialist und Berichterstatter im Europäischen Parlament Hannes Swoboda, "die Beitrittspartnerschaft für eine Voraussetzung dafür, dass das Nato-Mitglied Türkei seinen Widerstand gegen den Zugriff der EU auf Nato-Material für reine EU-Kriseneinsätze aufgibt".
Sowohl in der Brüsseler Beitrittspartnerschaft, als auch im türkischen National-Programm wurden vor den Tatsachen die Augen verschlossen und die Existenz, Grundrechte sowie Bedürfnisse der Millionen von Kurden nicht berücksichtigt. Deshalb bedürfen beide Dokumente eine starke Revision. Sonst haben sie keine Gültigkeit für das kurdische Volk. Um dies zu sehen, muss man nur einen Blick auf die in diesen Tagen von Hunderttausenden KurdInnen gefeierten Newroz-Feierlichkeiten werfen. Dann wird man feststellen, dass die Kurden entschlossen sind, sich für ihre elementaren Grundrechte einzusetzen.
V.i.S.d.P: Mehmet Sahin, Köln.