Forum Rüstungsexporte der deutschen Nichtregierungsorganisationen
c/o amnesty international Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
53108 Bonn Telefon: 0228 983730 Fax: 0228 630036 Berlin, 15. Februar 2001

An den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie
Herrn Dr. Werner Müller
Scharnhorststr. 34-37
10109 Berlin

Offener Brief zur Genehmigung des Baus einer Munitionsfabrik durch ein europäisches Konsortium unter der Führung der Firma Fritz Werner GmbH in der Türkei

Sehr geehrter Herr Minister,

als deutsche Nichtregierungsorganisationen möchten wir Ihnen und der Bundesregierung mit diesem offenen Brief nochmals unsere außerordentliche Besorgnis über den geplanten Bau einer Munitionsfabrik in der Türkei durch ein europäisches Firmenkonsortium unter Führung der Firma Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH mitteilen und Ihnen nochmals unsere Forderungen zu diesem Geschäft vorlegen. Diese Forderungen werden von den beteiligten Organisationen jeweils im Rahmen ihres spezifischen Aufgabenbereiches getragen.

Die Bundesregierung hat im Sommer des vergangenen Jahres gegen massive öffentliche Proteste der Firma Fritz Werner die Genehmigung zum Bau einer Fertigungsanlage für Munition in der Türkei erteilt, trotz dort andauernder Menschenrechtsverletzungen. Die Firma Fritz Werner ist Berichten zufolge federführend in einem internationalen Konsortium zum Bau der Munitionsfabrik, an dem mindestens noch die belgische Firma "New Lachaussee" und die fanzösische Firma "Manurhin" beteiligt sind. Innerhalb der letzten Wochen wurde dieses Rüstungsgeschäft in Belgien erneut aufgegriffen, und die belgische Regierung hat auf politischen Druck aus dem Parlament und aufgrund starker öffentlicher Proteste angekündigt, die Genehmigung für das belgische Unternehmen nochmals zu überdenken und die beteiligten EU-Partner zu konsultieren.

Für die beteiligten Regierungen ergibt sich damit die Gelegenheit, eine im Sinne des Menschenrechtsschutzes und der Achtung des humanitären Völkerrechtes nicht nachvollziehbare Entscheidung aus dem letzten Jahr zu korrigieren.

Wie Ihnen bekannt ist, ist die Menschenrechtslage in der Türkei andauernd besorgniserregend. Folter und Unterdrückung sind weiterhin an der Tagesordnung; erst Anfang dieses Jahres sind die türkischen Behörden zum wiederholten Male gegen den türkischen Menschenrechtsverein IHD vorgegangen. Unter Missachtung internationalen Rechtes führt türkisches Militär immer wieder Angriffe im Norden des Iraks durch. Zusätzlich ist weiterhin fraglich, inwieweit mit deutscher Technologie produzierte Rüstungsgüter durch die türkischen Produktionsfirmen an andere Staaten weiterexportiert werden, trotz deren notorischer Verstöße gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht. In der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte über Rüstungsverkäufe aus der Türkei, so sollen z.B. 1998 500 Maschinenpistolen MP5 (Konstruktion Heckler & Koch, Lizenzproduktion in ~ der Türkei) trotz schlimmster Menschenrechtsverletzungen nach Indonesien geliefert worden sein.

Die Bundesregierung fühlt sich nach ihren eigenen Aussagen bei der Entscheidung über die Genehmigung von Rüstungstransfers an die eigenen "Politischen Grundsätze zum Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütem" und an den "EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren" gebunden. Beide Richtlinien verbieten einen Rüstungstransfer bei konkreten Gefahren für die Menschenrechte im Empfängerland. Diese sind angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit gerade bei der Produktion von Munition für Schnellfeuergewehre evident.

Die Türkei hat anders als die meisten europäischen Staaten bis zum Jahr 2000 weder die Zusatzprotokolle zur Genfer Konvention - die im Besonderen den Schutz der Zivilbevölkerung in zwischenstaatlichen und innerstaatlichen bewaffneten Konflikten regeln - noch das Abkommen über inhumane Waffen und das Ottawa-Abkommen zu Anti-Personenminen gezeichnet bzw. ratifiziert (nach SIPRI Yearbook 2000). Auch diese Tatsachen sollte die Bundesregierung unbedingt in ihre Überlegungen einbeziehen. In Verbindung mit dem Kriterium I, Buchstabe d. und dem Kriterium VI, Buchstaben b. und c. des EU-Verhaltenskodex sollte dies dann in logischer Konsequenz zu einer Ablehnung von Rüstungstransfers an die Türkei führen. Denn im EUVerhaltenskodex heißt es u.a.:

KRITERIUM EINS

Die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, insbesondere der vom UN-Sicherheitsrat und der von der Gemeinschaft verhängten Sanktionen, der Übereinkünfte über Nichtverbreitung und andere Sachbereiche sowie sonstiger internationaler Verpflichtungen.

Eine Ausfuhrgenehmigung sollte verweigert werden, wenn ihre Erteilung im Widerspruch stünde unter anderem zu:

d) der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, keinerlei Antipersonenminen auszuführen.

KRITERIUM SECHS

Das Verhalten des Käuferlandes gegenüber der internationalen Gemeinschaft, insbesondere was seine Haltung zum Terrorismus, die Art der von ihm eingegangenen Bündnisse und die Einhaltung des Völkerrechts anbelangt.

Die Mitgliedstaaten berücksichtigen unter anderem das bisherige Verhalten des Käuferlandes in bezug auf:

b) seine Einhaltung internationaler Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich der Nichtanwendung von Gewalt, einschließlich der Verpflichtungen aufgrund des für internationale und nicht internationale Konflikte geltenden humanitären Völkerrechts;

c) seine Verpflichtung zur Nichtverbreitung und andere Bereiche der Rüstungskontrolle und der Abrüstung, insbesondere die Unterzeichnung, Ratifizierung und Durchführung der in Kriterium Eins unter Buchstabe b aufgeführten einschlägigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen."

Angesichts dieser rechtlichen Situation und der fortdauernden Missachtung der Menschenrechte sollte die Bundesregierung ihre Politik der Rüstungsexportgenehmigungen für die Türkei einer grundsätzlichen Revision unterziehen.

Insbesondere die Genehmigung für den Bau der Munitionsfabrik sollte nochmals überdacht werden, hier ergibt sich in Kooperation mit den europäischen Partnern die Möglichkeit, eine Entscheidung für den Schutz der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu treffen.

Wir möchten Sie daher dringend bitten, sich für eine Rücknahme der Genehmigung an die deutsche Firma einzusetzen, solange die beteiligten Regierungen nicht sicher ausschließen können, dass die in der Türkei zu produzierende Munition zu Menschenrechtsverletzungen oder zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht beiträgt. Wir bitten Sie, sich in der Konsultation mit der belgischen Regierung in diesem Sinne zu verwenden.

Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass die bundesdeutschen Regelungen des Rüstungsexportes nach wie vor unzureichend sind. Wir appellieren daher erneut an die Bundesregierung:

- Rüstungsexporte wirksam und eindeutig an das Kriterium der Einhaltung und des Schutzes der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechtes und der Konfliktvorbeugung zu koppeln und diese Entscheidungen der Öffentlichkeit transparent zu machen,

- eine Konsultation / Beteiligung des Bundestag vor Entscheidungen über Rüstungsexporte einzuführen, die der verfassungsgemäßen Bedeutung der Legislative gerecht wird,

- weitestgehende öffentliche Transparenz vor einer Entscheidung sicherzustellen, wozu angesichts der weitreichenden gesellschaftlichen Bedeutung von Rüstungsexporten und den möglichen dramatischen Auswirkungen im Empfängerland auch eine Gesetzesvorlage zur Aufhebung der Vorschriften für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in diesem Bereich gehören muss,

- jeden Rüstungstransfer zu untersagen, der zu Menschenrechtsverletzungen, zur Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und zum Entstehen, zur Fortführung oder zu einer Verschärfung bestehender Konflikte beiträgt,

- bis zur Verabschiedung neuer, verbindlicher Regelungen, die diesen Kriterien genügen, keine Rüstungsexporte zu genehmigen.

Dieser offene Brief geht in Kopie an die anderen Mitglieder des Bundessicherheitsrates und wird parallel der Presse übergeben.

Wir würden uns über eine kurzfristige Antwort zu unserem Anliegen freuen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

medico international

amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.

AG Rüstungsexport im Netzwerk Friedenskooperative

Bundessprecher, Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen (DFG-VK)

Rüstungsinformationsbüro Baden-Württemberg

Kampagne "Stoppt den Rüstungsexport", Bundeskongreß Entwicklungspolitischer Aktionsgruppen

Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)

Geschäftsführer der ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben

terre des hommes