"Wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren."

15. Februar 2001. Dichtes Gedränge herrscht auf dem Platz vor dem Düsseldorfer Bahnhof. Schwarz gekleidet stehen Demonstranten in einem Halbrund und halten ebenfalls schwarze Transparente. Die versammelten Kurden und Kurdinnen protestieren gegen die Verschleppung von Abdullah Öcalan vor zwei Jahren. "Für die Kurden" fordern sie "einen Platz in der Weltfamilie". Ein Passant zeigt Verständnis: "Ich finde das in Ordnung, wie sollen die sich sonst artikulieren," sagt ein Herr mittleren Alters.

"Heute scheint die Sonne," sagt Ekrem, und blickt zum strahlend blauen Himmel. "Aber wir hoffen, dass auch unsere Sonne weiter scheinen wird." Er meint Abdullah Öcalan. Ekrem ist blaß, auch er war im Gefängnis, allerdings in Deutschland. Erst vor zwei Wochen wurde er entlassen. 14 Monate hatte er wegen PKK-Propaganda gesessen.

Die Menschen stehen dicht gedrängt in kleinen Gruppen, überall wird diskutiert, viele blicken sehr ernst. Ein Ehepaar, das 1989 aus Elbistan (Maras) geflohen ist, will auch gegen die Inhaftierung von Öcalan protestieren: "Öcalan ist nicht irgendwer, er steht für 30 Millionen Kurden. Wenn er getötet wird, gibt es Krieg."

"Die Menschen hier verstehen uns nicht, sagt eine junge Frau, die in der Umgebung von Erzurum, im kurdischen Südosten der Türkei, geboren wurde."Öcalan ist für uns ein Symbol für die Freiheit. Es geht nicht nur um ihn, es geht um uns alle. Er ist auch für uns alle eingetreten." Ihre Freundin, auch aus Erzurum, schaltet sich ein: "Ich möchte Freiheit und Frieden für Kurdistan und für Öcalan. Ich möchte nach Kurdistan zurückkehren und dort in Frieden leben. Was ich für Öcalan mache, mache ich auch für mich."

Eine der wenigen deutschen Frauen in der Demonstration findet es einen "Skandal, dass dieser Mann verhaftet ist und ihm immer noch die Todesstrafe droht." Die gehöre abgeschafft, auch deswegen beteilige sie sich an der Demonstration. Als langjährige Friedensaktivistin sei Frieden in Kurdistan ein wichtiges Thema. "Die BRD ist involviert mit den Rüstungsexporten in die Türkei - darum ist es auch für Deutsche sehr wichtig, sich in dieser Frage zu engagieren."

Langsam setzt sich der lange Zug in disziplinierten Achterreihen in Bewegung. Manche Demonstranten tragen lange Ketten, die die Gefangenschaft ihres Landes, ihres Volkes, von Abdullah Öcalan symbolisieren. Önder, ein 21jähriger Kurde, ruft mit seinen Freunden laute Parolen. Unterstützt durch rythmisches Klatschen, fordern sie Freiheit und verdammen den Verrat an ihrem Führer Öcalan. Immer wieder wird dessen Namen gerufen. "Wenn die deutsche Regierung die faschistische Regierung in der Türkei unterstützt, haben wir auch das Recht, hier zu demonstrieren." Önder ist in der Nähe von Mönchengladbach geboren. "Ich bin mit Deutschen aufgewachsen, aber mit 14, 15 war ich einige Male in der Türkei bei Verwandten. Dort habe ich mit eigenen Augen gesehen, was die Armee und die Polizei mit den Kurden macht. Mein Onkel hat nur mit Glück überlebt."

Sein Bruder Taifun, 25, betont, dass "die kurdische Sache" im Vordergrund steht. "Es geht hier nicht um eine Person. Öcalan ist für uns die Symbolfigur für die ganze kurdische Bewegung, auch für die tragische Geschichte der Kurden. Wir haben nach so vielen Jahren der Unterdrückung unserer elementarsten Rechte die Schnauze voll. Es hat jede Menge politische Konfliktlösungen in den letzten Jahren gegeben, wie mit Kosovo, auch wenn das eher eine Scheinlösung ist. Wir wollen, dass es endlich auch eine Teillösung in unseren Gebieten gibt. Die Sprache ist verboten, vor wenigen Tagen sind HADEP-Politiker verschwunden - das sind Sachen, die können wir in unserem Zeitalter nicht hinnehmen. Egal, ob wir in der Türkei aufgewachsen sind oder in Deutschland. Das ist eine Frage der Menschlichkeit." Taifun kritisiert, dass die deutschen Medien keine Aufklärungsarbeit hinsichtlich der kurdischen Frage leisteten. "Sie bringen nur Sensationsnachrichten" und verhinderten so, dass Deutsche, die offen seien, keine Möglichkeit hätten, sich für Hintergründe zu interessieren. "Das ist ein Problem der Medien, nicht der deutschen Bevölkerung."

Eine Frau im Demonstrationszug hat sich in den kurdischen Farben rot, grün und gelb geschmückt. Wie eine Stola trägt sie eine Fahne der ehemaligen ERNK über den Schultern. "Wir kommen aus Sanliurfa und sind vor 7 Jahren nach Deutschland gekommen," sagt ihr Sohn, der ein Bild von Abdullah Öcalan trägt, "Jetzt sind wir von Abschiebung bedroht, wir schlafen kaum noch zu Hause." Sie sei sei für Baskan Apo, für Abdullah Öcalan, auf der Demonstration. "Wir wollen seine Freiheit, genau wie für uns auch. Wir wollen eigene Schulen, eigene Bücher, wollen unsere Sprache sprechen können. Diejenigen, die ins Gefängnis müssen in der Türkei, haben keine Garantie, ob sie auch lebend wieder herauskommen." übersetzt der Junge für seine Mutter. "Wir wollen ein Land haben, in dem wir ohne Angst vor der Polizei leben können. Wir wollen gar nicht hier leben, wie wollen zurück in unsere Heimat."

Ein junger Mann läuft allein ganz vorne an der Spitze der Demonstration, neben den Frauen mit den Kinderwagen. "Ich bin eher zufällig hier," sagt er nachdenklich. "Eigentlich müßte ich jetzt in der Uni sein und eine Klausur schreiben. Aber das hier ist mein Volk und ich konnte am Bahnhof nicht einfach vorbeigehen. Es geht um Menschenrechte und ich habe mich sowohl meinem Volk als auch den Menschen auf der ganzen Welt gegenüber verpflichtet gefühlt, anzuhalten, meinen Alltag zu stoppen und mit zu demonstrieren." Mit 9 Jahren kam er 1986 nach Deutschland, besuchte Grund- und Realschule, machte 1998 das Abitur. Seit 1999 studiert er Jura an der Uni in Düsseldorf. "Ich komme vom Berg Ararat, aus Agri." Seine Stimme wird leise, brüchig: "Ich habe gesehen, wie unschuldige Menschen dort von Soldaten getötet und Dörfer vernichtet wurden. Nicht aus Zeitungen, ich habe es selber miterlebt." Er stockt, dann sagt er langsam: "Ich kann hier nicht schreien, auch nicht applaudieren, wie es die meisten Menschen hier tun. Mein Inneres brennt und ich kann meine Gefühle nicht aufhalten." Die Frauen neben ihm stoßen ihre Zilgit-Triller aus, klatschen und rufen laut. Dem jungen Mann laufen die Tränen über das Gesicht.

Zwei Jungen verteilen am Rande der Demonstration Flugblätter. Die beiden Brüder sind 12 und 15 Jahre. Sie kamen vor vielen Jahren mit ihrer Familie aus Mardin. "Wir müßten eigentlich in der Schule sein, aber für Öcalan ist es egal. Wir wollen nicht, dass er getötet wird. Wir haben dem Lehrer eine Entschuldigung geschrieben." Ja, sie möchten schon zurück wenn sie groß sind, aber damals hätten die Soldaten ihre Häuser verbrannt und wenn sie jetzt zurück gingen, könnte das wieder passieren. "Sie lassen uns einfach nicht in Ruhe."

"Leider gibt es immer noch einige Verbote, die wir meistern müssen," sagt der junge Vertreter vom Medya-Kulturzentrum in Düsseldorf, das die Demonstration angemeldet hat. "Wir dürfen keine Bilder von Öcalan zeigen," sagt er. "Die Polizei sagt, damit würde Öcalan verherrlicht. Wir dürfen sie nur zeigen, wenn wir darauf schreiben, "Freiheit für Abdullah Öcalan". Also komme ich immer mit einem Edding zur Demonstration."

"Die Friedensbemühungen von Herrn Öcalan lagen und liegen im Interesse der großen Mehrheit der Kurden," sagt eine Vertreterin der Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland, YEK-KOM. "Leider können wir in den letzten zwei Jahren nur wenige Fortschritte vorzeigen. Hier in Deutschland finden wir für die kurdische Sache kaum Gehör. Die Interessen Deutschlands, Europas, Amerikas sind anders gelagert, als die Interessen der Kurden. Wir werden weiterhin alles versuchen, um zu zeigen, dass es uns ernst ist mit einer friedlichen und demokratischen Lösung."

Bei der Abschlusskundgebung sind die Kurden unter sich. Nur einige Polizisten auf Pferden, auf einem Film- und Dokumentationswagen und in Mannschaftswagen beobachten das Geschehen. Wenige Meter weiter um die Ecke, halten die Düsseldorfer Bürger ihre Mittagspause und speisen auf sonnigen Terrassen vor kleinen Gaststätten. Hier hört und ahnt man nichts davon, was die Kurden und Kurdinnen heute bewegt. Ekrem hält eine Rede durch das knatternde Megaphon. Eng hat sich die Menschenmenge um ihn geschlossen. "Wir hoffen," sagt er später, "dass wir irgendwann auch einmal die Herzen der deutschen Bevölkerung gewinnen. Auch wenn das schwierig ist. Wir müssen darum kämpfen. Für uns gilt das alte kommunistische Sprichwort: Wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren."

(Karin Leukefeld, Düsseldorf, 15.2.2001)