FLASH BULLETIN - HINTERGRUND NR. 7: 17. JANUAR 2001

AHMET TÜRK: "WIR WERDEN DEN IN DER POLITIK BESTEHENDEN STATUS QUO ÜBERWINDEN!"

Ende 2000 führte die HADEP ihren Kongress durch. Dabei wurde neben anderen wichtigen Beschlüssen, auch die gesamte Führungsspitze erneuert. Somit setzte sie neue Zeichen für das Jahr 2001. Als "Partei der Veränderung, der Erneuerung und eine Partei der Türkei" lässt die HADEP große Anstrengungen bei der Suche nach einer Lösung der kurdischen Frage und anderen gesellschaftlichen Problemen erkennen. Deshalb haben wir mit dem Vorsitzenden der HADEP, Ahmet Türk, über die Beziehungen zu anderen linken Parteien und den Regierungsparteien, über die kurdische Frage und die Vorstellungen von einer neuen Türkei gesprochen:

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Ende 2000 führte die HADEP ihren Kongress durch. Auffallend war, dass auf diesem Kongress sehr häufig von "Veränderung" und "Erneuerung" gesprochen wurde. Was für eine Veränderung und Erneuerung beabsichtigen Sie?

Die HADEP ist eine Partei, die aus dem herkömmlichen Rahmen der politischen Bewegung in der Türkei hervorsticht. Weil sie sich auf die Massen stützt und die Unterstützung der Kurden gewonnen sowie ein Verständnis von Politik entwickelt hat, welches sich von den traditionellen Parteien unterscheidet, ist sie immer wieder Ziel von Angriffen. Schon kurz nach ihrem Entstehen wurde sie als reine "Kurdenpartei" abgestempelt. Wir hingegen haben von Anfang an betont, dass wir uns als eine Partei für die gesamte Türkei verstehen. Nach unserer Meinung muss ein politisches Verständnis entwickelt werden, das sich sämtlicher Probleme annimmt. Wir betonen die Notwendigkeit einer gleichzeitigen Lösung aller Probleme in Verbindung mit der kurdischen Frage. Es ist richtig, dass in der Türkei ein kurdisches Problem existiert, doch existieren auch andere Probleme wie die der Werktätigen, der Schüler und Probleme im Umgang mit der Freiheit des Gewissens. Es gibt Diskussionen über die Selbstdarstellung des Laizismus usw.

Abgesehen davon leben wir in einer Welt, die sich rasant verändert. Die Türkei ist ein Land, das der Europäischen Union beizutreten beabsichtigt. Dies liegt auch in unserem Interesse. Auf dem Weg in die EU muss die Verfassung wie auch das gesamte Staatsverständnis neu überprüft werden. Dabei möchten wir eine dialogbereite und konstruktive Rolle spielen. Um die Politik zu verändern und effektiv dem Wandel zu dienen, unterziehen wir uns zur Zeit einer selbstkritischen Prüfung. Dies bedeutet Wandel und Umkehr zugleich. Wir wollen diese Phase gemeinsam durchlaufen, in dem wir nicht nur kritisieren sondern im kritischen Dialog auch Wege aufzeigen. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, herrscht momentan in unserem Land eine relativ entspannte Atmosphäre. Deshalb bemühen wir uns, dass diese Phase vertieft und zum Dauerzustand wird. Dafür möchten wir den Aufbau unserer Partei so strukturieren, dass er sämtliche Schichten wie Bauern, Werktätige und Intellektuelle umfasst. Wir werden uns auch den Schichten in unserem Land öffnen, welche mit unserer Partei sympathisieren, aber von Zeit zu Zeit sich von uns entfernt haben. Wir beabsichtigen in unserer Partei ein politisches Verständnis zu entwickeln, in dem sich die genannten Schichten wiederfinden können. Das bedeutet die Entwicklung einer Partei, die ihre Rolle bezüglich eines gesellschaftlichen Friedens besser spielt und einen Aufbau, dessen innere Demokratie und Rechtsmechanismen noch effektiver zum Vorschein treten. Das ist mit "Veränderung" und "Wandel" gemeint.

Jedoch ist "Veränderung" und "Wandel" direkt mit den Entwicklungen im Land sowie denen in der gesamten Welt verbunden. Während wir uns auf dem Weg zur EU befinden, sind die Überwindung der inneren Probleme, die Entwicklung guter nachbarschaftlicher Beziehungen und ein Verständnis notwendig, welches die politischen Gleichgewichte im Mittleren Osten berücksichtigt. Eben weil des öfteren diese Gleichgewichte nicht beachtet und eine adäquate Politik entwickelt wurde, entstanden immer wieder neue Probleme. Sowohl zur Entwicklung eines inneren Friedens als auch bei der Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen im Mittleren Osten, werden wir unsere Auffassungen einbringen. So bestehen Probleme in der Ägäis- und Zypernfrage. Auch in den Beziehungen zum Irak und Iran sind ernsthafte Probleme vorhanden. Wiederum sind die zweideutigen Beziehungen hinsichtlich der kurdischen Autonomiezone im Nord-Irak ein Fakt. Immer wieder wird dort interveniert. Diese Interventionen werden dann als "Hilfe von Außen" deklariert. Dies ist grundsätzlich falsch. Im Gegenteil erschwert es den Überlebenskampf der dortigen Menschen. Die dabei an den Tag gelegte Logik behindert nur den Aufbau einer Selbstverwaltung. All dies wurde neu bewertet und eine dementsprechende Haltung eingenommen.

Haben sie Lösungen für die grundlegenden Probleme der Türkei? Was schlägt die HADEP zur Lösung der Probleme vor?

Speziell in der jetzigen Phase konzentriert sich die DADEP auf die Ökonomie, Außenpolitik und Rechtsreformen. Wir denken auch darüber nach, unsere Organisation und Führung weitreichenden Fortbildungsmaßnahmen zu unterziehen. Hierfür wollen wir eine Arbeitsgruppe einrichten, welche einen Bericht anfertigt, auf dessen Grundlage diese Arbeiten durchgeführt werden können. Die dabei erzielten Ergebnisse werden sich so in der Philosophie unserer Partei wiederspiegeln und dies zur folge haben, dass die dabei erlangten Fortschritte an das Volk weitergegeben werden.

Was für eine Vortstellung von einer neuen Türkei haben sie?

Wir haben schon immer betont, dass wir eine achtenswerte Türkei wollen. Wir wollen eine Türkei, in der die Rechte aller Bürger geachtet und ihre Identität wie auch Kultur respektiert werden. Wir wollen eine Türkei, welche den Normen der Europäischen Union entspricht. Und wir wollen eine Türkei, in der Kurden, Türken und andere ihren rein ethnisch begrenzten Bezug überwunden haben und im brüderlichen Einverständnis vereint, die jeweilige Identität des anderen respektieren.

Was für eine Art von Beziehungen zu den linken Parteien und der Regierung gedenken sie zu entwickeln?

In der Türkei existieren eine Reihe von linken Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind. Diese besitzen Auffassungen vom demokratischen Kampf, welche den unseren nahe stehen. Auch die Basis der jeweiligen Parteien ist gegenüber unseren Auffassungen aufgeschlossen. Diese bringen uns gegenüber Verständnis auf. Somit sind es Parteien, mit denen eine gemeinsame Arbeit möglich ist. Deshalb beabsichtigen wir, eine solidarische Zusammenarbeit mit allen linken politischen Parteien zu entwickeln. Wir üben mit allen politischen Parteien Solidarität, die in der Türkei eine wahre Demokratie aufbauen wollen. Auch wollen wir den Dialog mit den Regierungsparteien entwickeln, da wir in diesem Land Politik machen. Wir müssen uns auch mit denjenigen zusammen setzen und diskutieren, welche unsere Auffassungen nicht teilen. Das gebietet unsere Verantwortung, ob es uns passt oder nicht. Im Bezug auf die MHP lässt sich folgendes sagen: Man kann schwerlich einen konstruktiven Dialog mit Personen erwarten, welche die Realitäten in diesem Land verleugnend Politik betreiben. Wenn es ihn doch geben könnte. Aber dies ist nicht möglich. Außer der MHP gibt es auch noch andere Parteien. So machte die ANAP einige Aussagen, die wir positiv aufgenommen haben. Der Dialog ist sowohl für die Türkei als auch für unser Volk notwendig. Er nützt jedem. Deshalb werden wir uns in der vor uns liegenden Zeit auf den Dialog und die Verständigung konzentrieren. Jedoch sollte dies niemand falsch verstehen. Auch wir haben unsere Überzeugungen und Prinzipien. Niemals werden wir hinsichtlich einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage nachgeben. Niemand kann von uns erwarten, dass wir im Namen des Dialoges von unserem Standpunkt in diesem Punkt abrücken. Jedoch sind wir gegenüber dem Wie einer Lösung offen, da wir nicht von vornherein die Ebene der Diskussion einengen wollen. Das nutzt auch der Türkei. Dies darf jedoch nicht als Anbiederung missverstanden werden.

Was für eine Lösung schlagen Sie für das brennendste Problem der Türkei, die kurdische Frage vor? Was sollte "sofort" verändert werden? Welche Schritte sind zu unternehmen?

Um überhaupt eine Lösung der kurdischen Frage erzielen zu können, bedarf es eines grundlegenden Wandels in der herrschenden Haltung. Die Menschen müssen ihren Glauben frei ausüben und gemäß ihrer Identität sowie Kultur leben können. Wenn ein solches Verständnis sich entwickelt, wird die Lösung des Problems immens erleichtert. Die Kurden erheben einen Anspruch auf ihre Identität. Sie haben mit der Staatsbürgerschaft in der türkischen Republik keine Probleme. Es besteht nur Wunsch nach Anerkennung der eigenen Identität, den freien Gebrauch der eigenen Sprache und die freie Ausübung der eigenen Kultur. Trotz der großen Anzahl von Toten ist kein unüberwindbarer Hass entstanden. In dieser Hinsicht gestaltet sich unsere Arbeit als sehr einfach. Wenn wir uns den Problemen mit einem logischen und menschlichen Verständnis annehmen, lassen sich alle Probleme lösen.

Quelle Özgür Politika, "haftanin sohbeti", 14. januar 2001
Übersetzung:
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