Informations- und Beratungsstelle für Menschenrechte
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Wegen "verbotener Parolen": Hausdurchsuchungen nach Kurdendemonstration - Ermittler des Passauer § 129-Verfahrens stöberte ein Zimmer mit 15 Beamten.


München - Nach einer Demonstration zur Lage in der Türkei und Kurdistan wurden am Samstag, 06.01.01, sechs TeilnehmerInnen festgenommen. Die fünf KurdInnen und ein Deutscher sollen durch Parolenrufe gegen das PKK-Verbot (nach § 20 Vereinsgesetz) verstoßen haben. Während sie stundenlang in Haft saßen, durchsuchte die Polizei in der Nacht zum Sonntag ihre Wohnungen und beschlagnahmte zahlreiche private Gegenstände. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde beim gesamten Vorgehen der Polizei in fanatischem Verfolgungseifer mit Füßen getreten. Verantwortlich dafür ist der Staatsschutzbeamte Herbert Sappl (K 144, PP München), der bereits das (mittlerweile eingestellte) Verfahren gegen 32 Passauer AntifaschistInnen wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" initiiert hatte.

Etwa 250 Menschen - fast ausschließlich KurdInnen - waren am Samstag dem Demonstrationsaufruf der "Deutsch-Kurdischen Gesellschaft e.V." gefolgt. Sie protestierten gegen die Massaker in den türkischen Gefängnissen, die Zwangsverlegungen in die Isolationsgefängnisse und gegen den erneuten türkischen Einmarsch in Südkurdistan (Nordirak). Wie erwartet, begannen - gemäß Münchner Verhältnissen - Staatsschutz und weitere zivile Polizeikräfte noch während der Abschlusskundgebung mit den Festnahmen. Der Vorwurf gegen alle sechs Festgenommenen lautet auf Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Sie hätten durch das Rufen von Parolen wie "Es lebe der Vorsitzende Apo" das PKK-Verbot missachtet. Tatsächlich wird nirgends sonst das Betätigungsverbot für die PKK so scharf umgesetzt wie in Bayern - und speziell in München. Mit einer unüberschaubaren Anzahl von Verfahren und Verurteilungen wird jeder Äußerung zur Kurdistan-Frage ein Maulkorb umgehängt. Einschüchterung und Entsolidarisierung ist die gewünschte Folge.
Anstatt lediglich die Personalien der teilweise überregional angereisten Festgenommenen aufzunehmen, wurden die fünf kurdischen Frauen und Männer und ein Deutscher für bis zu acht Stunden im Polizeipräsidium in Haft genommen, inklusive Verhör und erkennungsdienstlicher Behandlung.

Als ob das nicht schon mehr als ausreichend überzogen gewesen wäre - angesichts des Tatvorwurfs, Parolen gerufen zu haben - wurde noch eins draufgesetzt:
Hausdurchsuchungen mit der Begründung "Gefahr im Verzug". Den Vogel schoss dabei KHK Sappl höchstpersönlich ab. Um das in einer WG vermutete Zimmer eines Beschuldigten zu durchsuchen, zog Sappl - gegen 23.15 Uhr, sechs Stunden nach der Festnahme - fünfzehn(!) BeamtInnen zusammen, die sich dann untätig im Flur und Treppenhaus die Beine in den Bauch standen. USK-Beamte sicherten auf Anweisung den inneren Bereich der Haustüre, da "mit einem bewaffneten Überfall auf die Hausdurchsuchung gerechnet" werden müsse. Zuvor war das Anwesen bereits von Zivilstreifen observiert worden. Der einzigen anwesenden WG-Bewohnerin verweigerte Sappl jede Auskunft über den Grund seines Besuchs. Die Frau wurde am Verlassen ihres Zimmers gehindert, obwohl sie mehrfach auf ihre Funktion als Zeugin der offensichtlichen Durchsuchung hingewiesen hatte. Beschlagnahmt wurden schließlich legale Zeitschriften (Kurdistan-Report, Ronahi), Plakate mit dem Bild der gefallenen Internationalistin Andrea Wolf sowie Presseerklärungen des Kurdistan-Informationszentrums und der Föderation Kurdischer Vereine/YEK-KOM. Zur Erläuterung: der Tatvorwurf lautete auf das Rufen der türkischen Parole "Zahn um Zahn, Blut für Blut - Wir sind mit dir, Öcalan". Wie die sichergestellten Schriften als Beweismaterial für eine gerufene Demo-Parole dienen sollen, bleibt wohl Sappls Geheimnis.

Dem Mann sollte dringend das Handwerk gelegt werden, auch wenn das für gewöhnlich selber erledigt. KHK Sappl war in seinen besseren Tagen Sachbearbeiter des bayerischen LKAs. Auf sein Gutachten aus dem Jahr 1997 stützten sich die bundesweiten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I gegen 32 Passauer AntifaschistInnen wegen angeblicher "Bildung einer kriminellen Vereinigung" (§ 129 StGB). Nach dem Paukenschlag einer bundesweiten Hausdurchsuchungswelle im Mai 1998 wurde es immer stiller um das Verfahren, bis der Leitende Oberstaatsanwalt schließlich zum Jahreswechsel 2000/2001 die ergebnislose Einstellung der § 129-Ermittlung vermelden musste. Sappl wechselte bereits vor zwei Jahren sang- und klanglos auf den Posten eines nichtleitenden Beamten in einem Münchner Staatsschutzkommissariat. Seitdem sieht er es als eine seiner vordringlichen Aufgaben an, bei Einsätzen gegen kurdische Veranstaltungen die Situation durch besonderen Verfolgungseifer gezielt zu eskalieren.
Unabhängig von der Einstellung der ausführenden Beamten gilt jedoch: das alle Maße sprengende repressive Vorgehen gegen demokratische Meinungsäußerungen der kurdischen Bevölkerung und gegen die Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf findet bislang die volle Rückendeckung durch die "bayerische Linie" aus Becksteins Innenministerium.

Während der türkische Staat in ein Nachbarland einfällt, um die Waffenstillstand haltenden PKK-Volksverteidigungskräfte zu vernichten, im eigenen Land hungerstreikende Häftlinge massakriert und zu Tode foltert, greifen die bayerischen Polizeibehörden Menschen an, die gegen die Übergriffe demonstrieren. Dieses arbeitsteilige Vorgehen ist als Komplizenschaft zu verurteilen.

Zum Frieden in Kurdistan und zur Demokratisierung der Türkei gibt es keine Alternative. Die demokratischen Kräfte müssen auch in Europa ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Angriffe auf die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit dürfen nicht hingenommen werden.

Schluss mit der Kriminalisierung kurdischer Organisationen - Weg mit dem PKK-Verbot!

Informationsstelle MESOPOTAMIA - München 09. Januar 2001