Bericht der Göttinger TeilnehmerInnen der Delegationsreise in die Türkei und nach Kurdistan vom 5.-16.3.1999 (vorläufige Kurzfassung)  

Einleitung 
In der Türkei und in Kurdistan ist die Lage für Kurdinnen und Kurden momentan sehr ernst. Die türkische Regierung hat die Repression gegenüber der kurdischen Bevölkerung und allen sonstigen oppositionellen Kräften im Land verschärft. Seit der Türkei am 16. Februar diesen Jahres die völkerrechtswidrige Entführung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia gelang, haben sich die Proteste der kurdischen Bevölkerung sowohl in der Türkei und Kurdistan als auch in Europa verstärkt. Hierzulande wandten sich diese Proteste besonders gegen das offensichtliche Desinteresse der europäischen Regierungen, sich an einer Lösung für die sogenannte Kurdenfrage zu beteiligen. Die Möglichkeit, Öcalan als einen diplomatischen Vertreter der Kurdinnen und Kurden anzuerkennen, wurde durch seine Abschiebung aus Europa zunichte gemacht. Die europäischen Staaten weigern sich konsequent, die auch von ihnen inszenierte Massenvernichtung der kurdischen Bevölkerung öffentlich wahrzunehmen. Diese Weigerung hat schließlich dazu geführt, daß es der Türkei gelang, Öcalan zu entführen und ins Gefängnis zu werfen. Obgleich dabei durch das Kidnapping auf fremden Territorium internationales Recht verletzt wurde, gab es keine nennenswerten  Einsprüche seitens Europas oder der USA. Mittlerweile befindet sich Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali in Haft, und die Türkei beabsichtigt, ihn vor einem Staatssicherheitsgericht wegen Hochverrats und Separatismus anzuklagen. Obwohl diese Gerichte von Europa nicht als unabhängig anerkannt werden und niemand wirklich an einen fairen Prozeß glaubt, kann von internationalem Druck auf die türkische Regierung nicht die Rede sein. Mittlerweile haben sich in mehrere internationale Initiativen gebildet, die die Freilassung von Abdullah Öcalan fordern und sich für eine politische Lösung in Kurdistan einsetzen. Am 17. April ruft im Zuge dessen die Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan“ zu einer Demonstration in Bonn auf. Das Motto lautet „Frieden in Kurdistan-Demokratie für die Türkei“. 
Wenige Wochen nach der Entführung Abdullah Öcalans reiste eine deutsche Delegation in die Türkei und nach Kurdistan, um über die aktuelle politische Situation zu recherchieren. Unter den TeilnehmerInnen waren auch drei Göttinger Studierende. Neben der allgemeinen Lage ging es ihnen insbesondere darum, Informationen über das Schicksal aus Deutschland abgeschobener Flüchtlinge zu sammeln. In den folgenden Beiträgen werden sie über einige wichtige Erfahrungen berichten, die sie auf der Delegationsreise gemacht haben. 

IHD 
Während unseres Aufenthaltes in Istanbul sprachen wir mehrmals mit Mitarbeitern des türkischen Menschenrechtsvereins IHD. Der IHD ist in den meisten Städten und Regionen der Türkei und der kurdischen Gebiete vertreten. Er arbeitet zu Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Verschwindenlassen, Morde im staatlichen Auftrag und anderen Konterguerilla-Aktionen. Die erarbeiteten Daten über den Terror gegen die Bevölkerung werden in regelmäßigen Berichten dokumentiert. In den Gesprächen erhielten wir eine Einschätzung der momentanen Situation und insbesondere der Lage nach Öcalans Verhaftung. Besonders interessiert waren wir an Informationen über die sogenannten Samstagsmütter. Es handelt sich dabei um Frauen, die sich nach Vorbildern aus Südamerika seit über drei Jahren friedlich auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul versammeln, um gegen das staatliche Verschwindenlassen ihrer Söhne zu protestieren. Mit dieser Art von Protest finden sie seit einiger Zeit international viel Beachtung und auch Solidarität. Im letzten Jahr waren einige Samstagsmütter auch in Deutschland, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Am 6. März befand sich die Delegation auf dem Galatasaray-Platz, um die Versammlung der Samstagsmütter zu beobachten. Der gesamte Platz war jedoch schon lange vor zwölf Uhr von der Polizei völlig abgeriegelt worden. Fünf Polizeibusse standen bereit, um eine mögliche Kundgebung zu verhindern, und infolge dessen kam es zu keiner Aktion der Samstagsmütter. Beim IHD sagte man uns, daß seit drei Wochen die Kundgebungen regelmäßig von der Polizei verhindert würden. Dabei kommen auf fünf bis acht Frauen rund 3500 Polizisten. An dem Samstag unseres Besuchs wurde in den Räumen des IHD eine Presseerklärung der Samstagsmütter verlesen, die von einem großen Polizeiaufgebot auf der Straße begleitet wurde. Wie alle anderen oppositionellen Institutionen sieht sich auch der IHD selbst massiver Repression durch die staatlichen Kräfte gegenüber. Man sagte uns, daß es in der letzten Zeit überhaupt nicht mehr möglich gewesen sei, öffentlich und außerhalb den Räumen des IHD Presseerklärungen zu verlesen. Während unseres Aufenthalts waren wir bei einer Verlesung anwesend und ließen uns versichern, daß die riesigen Mengen von Polizei vor dem IHD-Gebäude und im Hausflur keineswegs die Ausnahme, sondern regelmäßiges Bild seien. Durchsuchungen und Beschlagnahmung von Akten und Arbeitsmaterialien sind auch hier an der Tagesordnung und machen eine kontinuierliche Arbeit fast unmöglich. Die ständigen Verhaftungen und Bedrohungen der Mitarbeiter sind ein Mittel des Terrors, das täglich von der Polizei angewandt wird. Im letzten Jahr gab es einen Anschlag auf den IHD-Vorsitzenden Akin Birdal, den dieser nur schwer verletzt überlebte. Viele andere sind bei ähnlichen Aktionen, die zumeist vom Staat selbst inszeniert werden, ums Leben gekommen. Wer von ihnen am nächsten Tag noch lebe und wer nicht, wisse niemand, sagte man uns. Eine Frau erzählte, daß die Mitarbeiter allein in den letzten acht Monaten  zusammen insgesamt 932 Tage in Haft gewesen seien. 
Neben der persönlichen Bedrohung und Arbeitsbehinderung berichtete man uns insbesondere über die Situation in Bezug auf Festnahmen und Folter in Gefangenschaft. Zum damaligen Zeitpunkt rechnete der IHD landesweit mit über 10.000 Festnahmen seit der Entführung Öcalans; seit dem kurdischen Neujahrsfest Newroz am 21. März sind es noch einmal so viele. Die Menschen werden auf der Straße verhaftet oder mittlerweile auch direkt aus ihren Wohnungen abgeholt. Einen stichhaltigen Grund benötigt die Polizei dafür nicht, und es ist auch nicht Sinn und Zweck dieses Verfahrens, sogenannte Verbrechensbekämpfung zu betreiben. Die völlige Willkür, der die Menschen ausgeliefert sind, ist ein äußerst wirksames Mittel der Terrorisierung und Einschüchterung und hat in diesem Sinne System. Genau dazu dient auch die übliche Folter während der Haft, die laut IHD bei praktisch jeder Festnahme erfolgt. Nach türkischem Gesetz kann jemand bis zu zehn Tagen ohne konkreten Grund festgehalten werden, und gewöhnlich wird diese Spanne voll ausgereizt. In dieser Zeit werden die Festgenommenen auf brutalste Art körperlich und seelisch gefoltert. Üblich ist sind dabei Schläge, Aufhängen an den Gliedmaßen, das Quetschen der Hoden, Vergewaltigungen, stundenlanges Liegen auf nassem Steinfußboden , der Entzug von Nahrung und Schlaf, psychische Erniedrigung.  Schutz vor derartigen Mißhandlungen durch Beauftragte des Staates kann niemand gewähren. 
Die Dokumentationen des IHD über die permanenten Menschenrechtsverletzungen sind auch ein Beispiel dafür, daß außerhalb der Türkei und Kurdistan keine Regierung Interesse an der dortigen Situation hat. Die monatlichen Statistiken und Berichte  lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dennoch finden sie zum Beispiel in den Erwägungen über die Abschiebung kurdischer Flüchtlinge aus der BRD keinerlei Berücksichtigung. Für jede europäische Behörde wäre es ein leichtes, beim IHD Informationen über das Schicksal Abgeschobener zu erhalten und damit ihre Entscheidung über deren Sicherheit auf eine entsprechende Grundlage zu stellen. Unsere Gesprächspartner versicherten uns jedoch, daß genau das keineswegs der Fall ist. Die Dokumentation des Staatsterrors stößt in den meisten Fällen auf taube Ohren. 
Knäste 
Die Zahl der politischen Gefangenen in der Türkei ist erschreckend hoch. In den Gefängnissen sitzen allein weit über 8000 PKK-Gefangene, dazu kommen mehrere tausend Angehörige linker türkischer Gruppen. Nach der Entführung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan begannen in allen Gefängnissen Hungerstreiks, die nach wie vor andauern und inzwischen ein erstes Todesopfer gefordert haben. Der 28jährige Cetin Günes starb am 27. März im Gefängnis von Antep an den Folgen der katastrophalen medizinischen Versorgung der Hungerstreikenden. Der Gesundheitszustand vieler anderer ist lebensbedrohlich, und es wird mit weiteren Opfern gerechnet. Mindestens 155 Personen befinden sich im Todesfasten. In diesem Fall zielen die Streiks darauf, eine Garantie für das Leben und die Gesundheit Öcalans zu erreichen, und nicht, wie in vielen vorangegangenen Beispielen, auf eine Verbesserung der menschenunwürdigen Haftsituation. Grundsätzlich ist es äußerst schwierig, über die Situation der Gefangenen Informationen zu erhalten. Besuche sind lediglich Verwandten und Personen gleichen Namens erlaubt, auch Anwälte haben meist große Schwierigkeiten, ihre Mandanten zu sehen. Ein Programmpunkt während der Reise war der Besuch Eva Juhnkes im Gefängnis von Batman. Eva schloß sich 1993 der kurdischen Befreiungsbewegung und wurde 1997 von türkischem Militär aus dem Irak verschleppt. In einem absolut willkürlichen Verfahren wurde sie zu 15 Jahren Haft verurteilt. In Ankara wohnten wir der Verkündung des Urteils in ihrem Revisionsprozeß bei, das wie zu erwarten negativ ausfiel. In Batman hatte ihre Mutter Doris Juhnke die Möglichkeit, ihre Tochter zu besuchen und sich von der Lage der Gefangenen berichten zu lassen. Eva selbst befindet sich mit einer Gruppe anderer Frauen in einem durchgehenden Hungerstreik und war zu dem Zeitpunkt körperlich in schlechter Verfassung. In einem Bericht erzählen die Gefangenen von regelmäßiger Folter durch Soldaten und Gefängnispersonal. Besonders häufig praktizierte Foltermethoden sind das Anwenden elektrischen Stroms, sexuelle Folter oder die sogenannte Jungfräulichkeitsuntersuchung, die von ausschließlich männlichen Soldaten durchgeführt wird und der auch Eva Juhnke unterzogen wurde. Nächtliche Zellendurchsuchungen mit Verwüstung und Diebstahl der persönlichen Sachen, Beschlagnahmung der von Besuchern mitgebrachten Gegenstände, Belästigung und Bedrohung der Besucher selbst sowie die Verhinderung der Kommunikation nach außen und innen sind alltäglich für die Gefangenen. 
Ein ebenso drastisches wie gewöhnliches Beispiel der Situation stellt auch der Prozeß um das Massaker im Gefängnis von Diyarbakir dar. Am 11. März war ein Verhandlungstermin angesetzt, dem die Delegation beiwohnen wollte. In diesem Prozeß sind 72 Soldaten und Polizisten angeklagt, die im September `96 mit Eisenstangen bewaffnet eine Gruppe von Gefangenen angriff, die sich auf dem Weg zu einem Verwandtenbesuch befand. Zehn Menschen wurden brutal ermordet, 23 weitere überlebten nur schwer verletzt. Eine Verhandlung gegen die Mörder wurde nur auf Druck der von Anwälten der Angehörigen eröffnet. Einer dieser Anwälte erklärte uns in einem Gespräch, daß die Soldaten im Auftrag des Staates handelten und daher durch diesen geschützt würden. Dementsprechend übernehme der Staatsanwalt im Prozeß in der Rolle des Verteidigers der Mörder, während die eigentliche Anklage durch die Anwälte der Nebenklage geführt werde. Er versicherte uns, daß eine derartige Praxis absolut üblich sei und dieser Fall nur einer von unzähligen. Jeder Prozeß gegen staatliche Folter durch Polizisten oder Militär laufe auf solche Weise ab. Daher verwundert es auch nicht, daß diese Verhandlung in der Türkei überhaupt keine Öffentlichkeit besitzt, daß keine Zeitung sie auch nur erwähnt. Ebensowenig verwunderlich ist die Tatsache, daß auch in Europa das Interesse an den Verhältnissen in der Türkei gleich null ist. Obgleich zahllose Beispiele wie die des Diyarbakir-Massakers gefunden werden können und es von Tag zu Tag mehr werden, konzentriert sich die Aufmerksamkeit der westlichen Länder auf eine möglichst rasche Abschiebung der Flüchtlinge, die vor solchen Grausamkeiten in andere Staaten geflohen sind. Die finanzielle und militärische Unterstützung des türkischen Regimes bedeutet eine Unterstützung solcher Verhältnisse, wie wir sie mit  dem Tathergang im Gefängnis von Diyarbakir geschildert bekamen. 
Aber die Repression in den Gefängnissen bleibt nicht ohne Gegenwehr. Die Gefangenen sind in Sälen mit 5 bis 50 Personen untergebracht. Dort haben sie ein kollektives Leben organisiert, in dem Ausbildung und Schulung einen festen Platz haben. Ausgehend von den Erfahrungen u.a. in deutschen Knästen, daß Totalisolation den wirksamsten Angriff auf die politische Identität der Gefangenen darstellt, gibt es seit langem Bestrebungen, die Kollektive auseinanderzureißen. Es wurden viele neue Gefängnisse gebaut, die aus Einzel- oder Doppelzellen bestehen. Bisher konnte durch den gemeinsamen Widerstand der politischen und Kriegsgefangenen, z.B. im großen Hungestreik 1996, bei dem 12 Gefangene starben, verhindert werden, daß sie in solche Zellen verlegt werden. Die Gefängnisse in der Türkei sind nicht nur Kerker, sondern immer auch ein Kampffeld der politischen Gefangenen und Kriegsgefangenen gegen den gemeinsamen Feind, den türkischen Faschismus. 
Flüchtlinge 
In Göttingen befinden sich seit geraumer Zeit zehn Kurdinnen und Kurden im Kirchenasyl, denen abgesprochen wird, in der Türkei politisch verfolgt zu werden und die von Ausweisung und Abschiebung bedroht sind. Daher interessierte uns ganz besonders die Frage, wie es aus der BRD Abgeschobenen Menschen in der Türkei ergeht. Dazu befragten wir zunächst in der Zweigstelle des IHD in Istanbul Þaban, Vorstandsmitglied des Vereins, und Kadriye, eine dort beschäftigte Anwältin. Sie erklärten uns: 
„Zunächst einmal werden alle Abgeschobenen am Flughafen festgenommen und verhört. Sie besitzen ja keine gültigen Papiere. Oft werden sie von den Beamten des Bundesgrenzschutzes regelrecht an die türkische Polizei übergeben. Danach werden sie verhört und zwar mit den in der Türkei üblichen Foltermethoden. Sie werden gefragt: ‘Wieviel Geld habt ihr der PKK gespendet? An welchen Demonstrationen habt ihr teilgenommen? Etc. Denn die Polizei weiß natürlich, daß viele, viele Menschen die PKK unterstützen. Daß sie überhaupt aus der Türkei geflohen sind, macht sie doppelt verdächtig. Wenn dann auch noch der geringste Verdacht vorliegt, daß es sich um politisch aktive Menschen handelt, werden sie sofort an Ort und Stelle oder bei der Anti-Terror-Polizei in Aksaray gefoltert.’ 
Eine weitere unserer Fragen gilt denjenigen, die ihren Militärdienst in der Türkei noch nicht abgeleistet haben. Dort gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, und da sich die Türkei seit 15 Jahren in einem Krieg befindet, werden die sogenannten „Deserteure“ entsprechend behandelt. Wir erfuhren: „Die Grundausbildung ist ohnehin sehr hart. Seit einiger Zeit, insbesondere aber seit der Zunahme der Hetze gegen Kurden seit der Ankunft von Öcalan in Rom, häufen sich die Berichte, daß kurdische Rekruten Selbstmord begehen oder bei sogenannten ‘Unfällen’ ums Leben kommen. Daß sie ermordet wurden, ist natürlich unheimlich schwer nachzuweisen, aber es gibt immer mehr Anfragen an uns, solche Fälle zu untersuchen. Wenn ein junger Mann, der seinen Wehrdienst noch nicht geleistet hat und der in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt hat, nach seiner Abschiebung sofort zum Militär gebracht wird, schwebt er natürlich in höchster Lebensgefahr. Er wird als Vaterlandsverräter und Fahnenflüchtiger betrachtet, eine Folter bei der Ausbildung ist ihm praktisch sicher. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß er die Militärzeit nicht überlebt.“ 
Einer der jungen Männer im Göttinger Kirchenasyl ist in der Lage, daß er nach einer Abschiebung zum Militär müßte. Wir sind sehr beunruhigt. Þaban fährt fort zu erläutern. Ohnehin seien es auch auf Seiten der türkischen Armee überwiegend Kurden, die im Krieg ihr Leben lassen. Natürlich gebe es keine offizielle Statistik, da es ja angeblich keine unterschiedlichen Nationalitäten gebe, aber es werde gerade an einer inoffiziellen gearbeitet. Auf den Militärfriedhöfen könne man an den Grabsteinen sehen, daß auch die meisten der gefallenen Soldaten aus kurdischen Provinzen stammten. Sie werden an der Front im Krieg gegen ihr eigenes Volk verheizt. 
Obwohl uns die Antwort klar ist, fragen wir noch einmal nach dem Abkommen zwischen Kanther und Mentese, demzufolge aus Deutschland Abgeschobene nicht gefoltert werden dürfen, jederzeit ein Anwalt und ein Arzt Zugang zu den Festgenommenen haben muß. Die Antwort: „Wir haben immer gesagt, daß es keine Folter verhüten wird, und wir haben Recht behalten. Während der Verhöre kommt niemand zu den Festgenommenen. Etliche sind dort gefoltert worden, zum Teil sind sie noch Monate später in Behandlung beim Behandlungszentrum für Folteropfer.“ Wir sehen Fotos eines Gefolterten: Große Wunden an Schädel und Beinen, ein resignierter Gesichtsausdruck. Die tiefsten Wunden kann man nicht auf Fotos festhalten. Wir fragen, ob sich denn deutsche Regierungsstellen, beispielsweise die Botschaft, für das Schicksal der Abgeschobenen interessiere: „Nein“, lautet die Antwort. Wer dann? Fragen wir. „Niemand außer uns“, kommt die prompte Antwort. Und wie funktioniert das? „Unsere Mittel sind natürlich sehr begrenzt“, wird uns erläutert. „wir sind darauf angewiesen, daß sich die Opfer von Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen bei uns melden. Viele tun das nicht, weil sie nach der Folter so verängstigt sind und ihnen immer wieder gedroht wird, wenn sie zum IHD gingen, würden sie umgebracht. Trotzdem kommen viele, und es gelingt uns immer wieder, die Folter nachzuweisen. Nur interessiert das deutschen Behörden gar nicht. Sie kommen auch niemals von sich aus auf uns zu, sie überprüfen also selbst gar nicht, ob dieses Abkommen eingehalten wird.“ 
In der letzten Zeit sei ihre Arbeit noch schwieriger geworden. Die Polizei verfolge jetzt eine neue Taktik. Die Abgeschobenen werden nicht mehr sofort am Flughafen verhört, sondern freigelassen und auf dem Weg in ihre Heimat festgenommen und dort gefoltert, fernab von jedem Menschenrechtsverein, dessen Zweigstellen in Kurdistan fast alle geschlossen sind. Dadurch wird es noch schwieriger, Folterfälle  zu dokumentieren. 
Zuletzt möchte Saban noch etwas von sich aus hinzufügen: „Die Lage für Abgeschobenen ist in jedem Fall katastrophal. Sie haben große Schwierigkeiten, z. B. Arbeit zu finden, können oft nicht in ihre zerstörte Heimat. Viele landen schließlich in den Slums der Metropolen.“ 
 

Kultur und kulturelle Arbeit  
Der Krieg, den die Türkei gegen die kurdische Bevölkerung führt, ist immer schon ein Vernichtungskrieg gegen eine andere Kultur gewesen. Der aus der türkischen Staatsideologie sich ergebende Nationalismus begründete die seit 1923 (Gründung des türk. Staates) angewandte Politik der totalen Leugnung einer kurdischen Existenz und der gewaltsamen Assimilation. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Verbot der kurdischen Sprache von 1926. Kulturelle Entwicklung jeglicher Art wie z.B. in der Literatur, Theater und Musik sollte im Keim erstickt werden, um die Grundlagen einer eignen Identität zu zerstören. 

Heute hat sich an der desolaten Lage nur wenig geändert. In Gesprächen mit Mitarbeitern des MKM (Mesopotamisches Kulturzentrum) ergab sich für die kulturelle Arbeit das gleiche Bild wie etwa für die Parteien. Zum damaligen Zeitpunkt waren die Veranstaltungsräume in mindestens fünf Städten von der Polizei versiegelt, 12 Mitarbeiter des MKM Istanbul in Haft und weitere unter Anklage. Es finden laufend Durchsuchungen statt, die Leute werden nach Hause verfolgt und bedroht, Minderjährige sowie Gäste festgenommen, Frauen und Mädchen sexuell belästigt. Aufführungen werden verboten, Gruppen werden daran gehindert, Tourneen besonders ins Ausland zu unternehmen. "Seit September `98 befinden sich die Kulturzentren unter offener Polizeiblockade," sagte eine Mitarbeiterin. Damals wurden Feiern zum Gründungstag des MKM offiziell verboten. Der Krieg der Türkei gegen die Kurden bedeute nicht ihre totale Vernichtung, sondern die totale Vernichtung ihrer Kultur. „Wir sind in einer Lage, in der wir nicht mehr Luft holen können.“ Wenige Tage nach unserer Ankunft in Deutschland wurde das MKM von der Polizei überfallen und geschlossen. 

Die Lage der Gefangenen  
Es gibt in der Türkei momentan weit über 10.000 politische Gefangene, die der PKK zugerechnet werden. Sie alle befanden sich laut Anwälten seit der Verschleppung Öcalans in rotierenden Hungerstreiks. Zum Zeitpunkt unserer Reise gab es möglicherweise auch Einzelne, die sich im Todesfasten befanden; mittlerweile beträgt die Zahl der Gefangenen im Todesfasten 115. Eva Juhnke, die im Gefängnis von Batman sitzt, befand sich während des Besuchs ihrer Mutter mit einer Gruppe von mitgefangenen Frauen im durchgehenden Hungerstreik. Eva ist deutsche Staatsbürgerin, die sich der Guerilla anschloß und `97 vom türkischen Militär gefangengenommen und völkerrechtswidrig in die Türkei verschleppt wurde. Sie wurde wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft zu 15 Jahren Haft verurteilt. Während unseres Aufenthalts in Ankara wurde eine Revision ihres Verfahrens abgelehnt. Eva war zum Zeitpunkt des Besuchs in sehr schlechter körperlicher Verfassung, da die medizinische Versorgung der Gefangenen grundsätzlich vollkommen unzureichend ist. Über den allgemeinen Gesundheitszustand in den Gefängnissen äußerten sich auch die Anwälte uns gegenüber sehr besorgt. 
Die Dokumentation der Situation in den Gefängnissen ist äußerst schwierig, da es nur Verwandten oder Personen gleichen Namens erlaubt ist, Besuche zu machen. Berichte zeugen jedoch von der totalen Rechtlosigkeit der Gefangenen und dem Terror, der seitens des Gefängnispersonals gegen sie verübt wird. Die Gefangenen sind Folter und sexuellen Mißhandlungen ausgesetzt, berichten von regelmäßigen nächtlichen Durchsuchungen ihrer Zellen, der Beschlagnahmung ihrer persönlichen Gegenstände. Besucher werden in und vor den Gefängnissen in Form von Durchsuchungen, Befragungen und Beleidigungen belästigt, um von den Gefangenen ferngehalten zu werden. Daß nicht einmal das Leben der Häftlinge garantiert werden kann, zeigt der Prozeß zum sogenannten „Diyarbakir-Massaker“, der während der Reise beobachtet werden sollte. Angeklagt sind Polizisten und Soldaten, die im September `96 einen brutalen Angriff auf 33 Gefangene verübten, neun von ihnen die Schädel zertrümmerten und alle übrigen schwer verletzten. Einer der Verletzten wurde kurz darauf während des Transports in ein anderes Gefängnis zu Tode gefoltert. Seitdem befindet sich keiner der Mörder in Haft, keiner erscheint zu den Verhandlungen, sie versehen weiterhin ihren Staatsdienst. Ein Anwalt der Nebenklage, die die Familien der Gefangenen vertritt, berichtete uns, daß der Staatsanwalt in diesem Prozeß die Rolle des Verteidigers übernehme. Ohne den Druck der Nebenkläger wäre der Prozeß überhaupt nicht zustande gekommen, denn die Folterer handelten im Auftrage des Staates und könnten deshalb durch diesen nicht gerichtet werden. Weiterhin wurde uns versichert, daß dies nur einer von zahllosen Fällen sei, jeder Prozeß wegen staatlicher Folter laufe nach demselben Muster ab. In der Türkei existiere die Möglichkeit eines fairen Verfahrens nicht, denn der Staat legitimiere jede Art von Terror, die er zur Wahrung seiner Interessen für nötig hält. 

Flüchtlinge 
Nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD (Ýnsan Haklarý Derneði) sind Folter und unmenschliche Behandlung auch für aus Europa abgeschobene Menschen weiter Normalität. Konkrete, aktuelle Beispiele, die uns genannt wurden: 
· Mehmet Özçelik wurde nach seiner Abschiebung aus Hannover im November tagelang schwerst gefoltert, er ist immer noch in medizinischer Behandlung. Er hatte Asyl beantragt mit der Begründung, für die PKK tätig gewesen zu sein. 
· I.G. wurde im April 1998 abgeschoben und mehrmals festgenommen und gefoltert. Die Verletzungen aus der Folter sind fotografisch dokumentiert. Die Fotos liegen uns vor. 
· M. K. wurde am 3.3.99 aus Düsseldorf abgeschoben, sofort festgenommen und zum Militär gebracht, um seinen Wehrdienst zu leisten. Dort bestehe für ihn als Kurden und Asylbewerber Lebensgefahr, es seien schon mehrere in der gleichen Lage getötet worden. 
· A.B. droht die Abschiebung. Sein Vater, M.B., ist mehrfach verhaftet und gefoltert worden, weil nach A.B. gefahndet wurde. In einer türkischen Tageszeitung ist ein Artikel erschienen, in dem behauptet wird, daß A.B. als Separatist eine Kirche besetzt habe. Daher stuft der IHD die Gefährdung seines Lebens als „ziemlich hoch“ ein. 
Die VertreterInnen des IHD erklärten, das Abkommen zwischen Kanther und dem damaligen türkischen Innenminister, in dem jener zusagt, daß aus Deutschland Abgeschobene nicht gefoltert werden, in keiner Weise eingehalten und seine Einhaltung auch nicht überprüft wird. Sie selber lehnen die Zusammenarbeit mit Regierungen ab und dokumentieren nur die Fälle der Menschen, die sich trotz aller Drohungen an sie wenden. Alle anderen werden von niemandem erfaßt, insbesondere nicht von deutschen Behörden. Die Fälle von Folter, die dadurch lückenlos dokumentiert werden können, sind nicht genügend, damit die "notwendige Verfolgungsdichte" (ein deutsches Oberlandesgericht) erreicht wird. 
Noch weiter erschwert wird die Dokumentationsarbeit durch eine neue Praxis, die die Polizei anwendet, seit doch einige Fälle wie der von Mehmet Ali Akbaþ, der nach seiner Abschiebung schwerst  gefoltert wurde, lückenlos nachgewiesen werden konnten: Die Abgeschobenen werden am Flughafen nur kurz vernommen, es liegt angeblich nichts gegen sie vor. Wenn sie dann in ihre Heimatstadt reisen, um sich neue Papiere zu besorgen, werden sie dort von der Gendarmerie verhaftet, und es liegt plötzlich genug vor, um sie zu verhören und zu foltern. Da in den kurdischen Provinzen alle IHD-Filialen geschlossen sind, können sie sich anschließend praktisch an niemanden wenden. Den deutschen Behörden wird ein Fall weniger bekannt, die „Verfolgungsdichte" sinkt, die Wahrscheinlichkeit für weitere Abschiebungen steigt, der Kreis schließt sich. 

Wahlen 
Bezüglich der Parlaments- und Kommunalwahlen am 18.4. führten wir Gespräche mit der HADEP (Partei der Demokratie des Volkes, pro-kurdisch-progressiv) in Istanbul und Batman sowie in Batman mit der Fazilet Partisi (Tugendpartei, islamistisch) und der ANAP (Mutterlandspartei, staatstragend-konservativ). Die HADEP kann in den kurdischen Provinzen mit Stimmanteilen bis zu 80% rechnen, alle anderen Parteien außer der FP sind dort bedeutungslos. Allerding müßte die HADEP trotzdem um den Einzug ins Parlament fürchten, da eine landesweite 10%-Sperrklausel eingeführt wurde. Für uns ergab sich folgendes Bild: 
Die wesentlichen Oppositionsparteien, HADEP und FP, sind massiv von Verboten bedroht. Gegen beide läuft ein Verbotsverfahren, insbesondere die HADEP wird extrem in ihrer politischen Arbeit behindert. In vielen Städten sind Parteibüros mehrfach in den letzten Wochen durchsucht worden, mehrere Tausend Mitglieder und FunktionärInnen wurden festgenommen. Das Zentralbüro in Istanbul war wie leergefegt, alle Arbeitsmaterialien waren beschlagnahmt. Ein Eilantrag, die Teilnahme der HADEP an den Wahlen zu verbieten, lehnte das Verfassungsgericht zwar ab, Ziel ist aber offenbar, der Partei jegliche Art von politischer Arbeit unmöglich zu machen. 
Gleichzeitig wird die Bevölkerung, insbesondere in Kurdistan auf dem Land, bedroht, ihre Dörfer würden niedergebrannt, wenn sich in den Urnen auch nur eine Stimme für die HADEP fände. Unter diesen Umständen kann von freien Wahlen nicht im entferntesten die Rede sein. Die Wahlen am 18.4. sind in keiner Weise legitim. 

Öcalan 
Prozeß: Der Prozess soll am 30. April beginnen, also nach den Wahlen. Die Anklage wird vermutlich die Todesstrafe fordern. Der Prozeß soll vor einem der berüchtigten Staatssicherheitsgerichte  (DGM) stattfinden, in denen maßgeblich das Militär das Sagen hat. Europa erkennt die DGM nicht als unabhängige Gerichte an. Öcalan soll persönlich für die inzwischen ca. 40.000 Toten des Krieges verantwortlich gemacht werden. Damit soll die gesamte Problematik personalisiert und entpolitisiert werden. Zitat Präsident Demirel: „Wir werden diese Sache zu Ende bringen.“ 
Alle Nachrichten über den weiterhin auf Imrali - wo auch der Prozeß stattfinden soll - inhaftierten Öcalan laufen über einen Krisenstab, der sich aus Militär- und Regierungskreisen zusammensetzt. 
Während unseres Aufenthalts war es Anwälten erstmals möglich, nach Imrali zu fahren; vorher war über Öcalans Gesundheits- und sonstigen Zustand überhaupt nichts Sicheres zu erfahren, was zur allgemeinen Besorgnis beitrug, daß der Staat einen als „natürlichen Tod“ deklarierten Mord planen könnte. 
 Öcalan ist weiterhin von Nachrichten abgeschnitten; offenbar wird er unter Psychopharmaka gesetzt. Anwaltsbesuche finden unter unzumutbaren Bedingungen statt: Gespräche können nur unter Überwachung geführt werden, selbst ein Händedruck ist verboten, die Anwälte und ihre Familien werden von Faschisten bedroht, Büros von Öcalan-Anwälten wurden wiederholt von der Polizei überfallen. Gegen den mit der Verteidigung beauftragten Ahmet Zeki Okcuoglu läuft ein „Separatismus“-Verfahren mit dem Ziel, ihm die Anwaltslizenz zu entziehen.  In der Nebenklage sollen Familien von im Krieg getöteten Soldaten zu Wort kommen; die Verteidigung versucht, Angehörigen von getöteten Guerilla-Kämpfern das gleiche Recht zu verschaffen. 
Folgen der Öcalan-Verschleppung: Der Staat hat die Repression gegen die kurdische und sonstige Opposition weiter verschärft, es rollt eine Razzien- und Festnahmewelle; allein in der ersten Woche nach der Entführung Öcalans wurden im gesamten Staatsgebiet mindestens zehntausend Menschen festgenommen. Nach türkischem Gesetz ist es möglich, eine Person ohne Strafvorwurf bis zu zehn Tage in Polizeihaft zu nehmen (auch wiederholt hintereinander), was vor allem systematische Folter bedeutet. 
Die Repression richtet sich dabei gezielt gegen unliebsame Einrichtungen , Organisationen und Personen, wie z.B. die Öcalan-Anwälte und führende Mitglieder der HADEP. Vom 2. Vorsitzenden der HADEP in Istanbul, Veli Haydar Gülec,  hörten wir zwei Sätze, die die Situation charakterisieren. Zur Lage der HADEP hieß es: „Wir führen unseren Wahlkampf derzeit bei der Antiterror-Polizei.“ (Die sog.“Aniterror-Einheiten“ stellen die politische Polizei dar und sind wegen Folter und Morden berüchtigt.) Die allgemeine Lage (in Istanbul) wurde als „nichterklärter Ausnahmezustand“ beschrieben. 
Auf der anderen Seite hat die Verschleppung Öcalans großen Zorn in der kurdischen Bevölkerung hervorgerufen; immer wieder wurde uns berichtet, daß jede Nacht in den Großstädten Aktionen aus der Bevölkerung heraus stattfinden, meistens Molotow-Würfe gegen Parteibüros konservativer und faschistischer Parteien, Autos von Faschisten, Busse etc. . 

PRESSE 
Die oppositionellen Medien befinden sich nicht nur auf türkischem Staatsgebiet unter Druck. Jüngstes Beispiel ist die zunächst vorläufige Schließung des Fernsehsenders MED-TV, der - normalerweise - aus London sendet. 
Eine endgültige Schließung droht. Nachdem die kurdische Bewegung nach der Öcalan-Entführung nicht in die erwartete buchstäbliche Kopflosigkeit gestürzt ist, soll auf diese Weise offenbar ein wichtiges Kommunikations- und Informationsmedium der Bewegung zum Schweigen gebracht werden. 
Die oppositionelle Presse in der Türkei und Kurdistan ist ständiger Repression ausgesetzt. Diese findet ihren Ausdruck teils auf juristischem Wege, etwa in Verboten z.B. der Zeitung „Ülkede Gündem“, die schon unter den verschiedensten Namen erschien und immer wieder verboten wurde, und Zensurmaßnahmen, von denen vor allem die einzige legal erscheinende oppositionelle Tageszeitung „Evrensel“ betroffen ist; Nachrichten aus Kurdistan gibt in dieser Zeitung nicht, ihre Büros in kurdischen Städten wurden geschlossen, im Ausnahmezustandsgebiet darf sie nicht erscheinen. Außerdem ist die Presse immer wieder Ziel der polizeilichen Repression; so sind die Redaktionen unbequemer Zeitungen eines der Hauptziele der laufenden Razzien- und Festnahmewelle. Am 5. März wurden u.a. die Büros der sozialistischen Zeitschrift „Atilim“ von der Polizei überfallen und 43 Menschen festgenommen; ebenfalls am 5. März wurde die Redaktion der Gewerkschaftszeitung „Dayanisma“ überfallen. 
Unter den Festgenommenen war auch der Gewerkschafter und Journalist Süleyman Yeter. Zwei Tage später starb er in der Haft; Zeugenaussagen und der Autopsiebericht belegen, daß er zu Tode gefoltert wurde. Offenbar handelte es sich um einen gezielten Mord, denn Yeter war bereits 1997 von derselben Spezialeinheit festgenommen und gefoltert worden; zusammen mit anderen hatte er - was selten vorkommt - die beteiligten Polizisten angezeigt und diese kurz vor seiner Ermordung im Prozeß, in dem er als Zeuge auftrat, wiedererkannt. Da der Prozeß noch läuft, muß der Mord an Yeter auch als Drohung gegen die anderen Zeugen gewertet werden, wie auch als Drohung gegen alle, die es wagen, Folter zur Anzeige zu bringen. 
Der Fall Yeter gelangte bis in die europäischen Medien - es ist zu bezweifeln, daß dies ebenso gewesen wäre, wenn sich ein solcher Mord in Kurdistan ereignet hätte. 
Die staatstreuen Medien überschlagen sich nicht erst seit der Verschleppung Öcalans mit Anti-PKK-Hetze; Begriffe wie „Babymörder“ gehören zum üblichen Vokabular z.B. der „Hürriyet“, wenn es um den Vorsitzenden der PKK geht. Während der Zeit, in der dieser völlig von der Außenwelt abgeschnitten war, gab es in den Medien eine Fülle von abstrusen und verwirrenden Meldungen, die Öcalan mal als „Haschisch-abhängig“ darstellten, mal behaupteten, er habe „alles“ gestanden und bereut, mal von einem Herzinfarkt sprachen. Waren vor der Öcalan-Entführung noch vorsichtige Diskussionen über das „Kurdenproblem“ möglich, so ist das Thema inzwischen auch für kritischere Journalisten zu heikel. 
Üblich ist auch die Vorverurteilung Festgenommener oder Angeklagter durch die Medien; traut man der Zeitung „Radikal“ und dem Fernsehsender „Star TV“, so wurden allein in der Zeit unseres Aufenthalts drei „Bombenleger“ verhaftet, von denen jeder der einzige Verantwortliche für die Bombenanschläge der vorherigen Woche gewesen sein soll. Andere Ereignisse, wie etwa die Hungerstreiks in den Gefängnissen, existieren in den Medien dagegen überhaupt nicht. 
Es ist kein Wunder, daß sich eine derartige, von Zensur und Staatspropaganda geprägte Medienpolitik sich auch in der ausländischen Presse niederschlägt; Berichte über die Türkei sind daher stets mit Vorsicht zu genießen. Hinzukommt, daß auch in den europäischen Staaten ein Interesse an der einseitigen Berichterstattung existiert; daß die deutschen Medien sich in den Wochen nach dem 16. Februar beim Thema Kurden und PKK kaum von den türkischen unterschieden, ist nicht weiter überraschend.