HAZ, 1.7.99

EU-Perspektive für Ankara

Einen Tag nach dem Todesurteil gegen den kurdischen PKK-Führer Abdullah Öcalan hat sich die Bundesregierung dafür ausgesprochen, der Türkei die Perspektive eines Beitritts zur Europäischen Union offenzuhalten. Außenamts-Staatssekretär Wolfgang Ischinger sagte im Menschenrechtsausschuß des Bundestages, der Beitrittswunsch Ankaras sei das "stärkste Momentum" und der "letzte Hebel" zur Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei. Die Bundesregierung beobachte aber weiter mit Sorge die Verfolgung von Meinungsäußerungen, die gesamte Kurdenfrage sowie Mißhandlungen, Folter und das "Verschwindenlassen" von Menschen.

Die CDU/CSU warf der Bundesregierung "vorauseilendes Wohlwollen" in der EU-Erklärung zum Öcalan-Urteil vor. Ischinger sagte dazu, die am Vortag verbreitete Stellungnahme der deutschen EU-Präsidentschaft sei keine gemeinsame Erklärung, sondern nur eine Äußerung der Bundesregierung gewesen. In der Erklärung wurde an die Türkei appelliert, die Todesstrafe nicht zu vollstrecken. Ferner wurde auf die Perspektive eines EU-Beitritts hingewiesen. Wie in Bonn verlautete, war eine gemeinsame Reaktion der EU vor allem wegen der Haltung Athens nicht zustandegekommen. Griechenland lehnt einen Beitritt der Türkei ab und wandte sich gegen den Hinweis auf eine mögliche spätere Aufnahme Ankaras.

Die Anwälte Öcalans wollen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen das Urteil einreichen. Öcalan-Anwalt Kemal Bilgic kündigte an, nicht erst die Berufungsverhandlung vor einem türkischen Gericht abzuwarten, sondern wegen der Gefahr für das Leben seines Mandanten sofort nach Straßburg zu ziehen.

In der Türkei wurde das Todesurteil von den meisten Türken gefeiert. Viele Kommentatoren warfen am Mittwoch aber die Frage auf, ob eine Hinrichtung wirklich im Interesse des Landes sei. Bei Kämpfen zwischen dem türkischen Militär und der verbotenen Guerilla-Organisation Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurden unterdessen im Südosten der Türkei zwölf PKK-Rebellen getötet.

dpa/rtr/gh, Bonn