junge Welt 1.7.99

War der Öcalan-Prozeß rechtsstaatlich?
junge Welt sprach mit Hans-Eberhard Schultz

Der Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz ist einer der Vertreter von PKK-Chef Abdullah Öcalan, der am Dienstag auf der Insel Imrali zum Tode verurteilt worden ist

F: Man hat mit dem Todesurteil gegen Öcalan gerechnet. Ist damit das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen?

Mit Sicherheit nicht. Juristisch wird das Urteil angefochten, und das Kassationsgericht hat dann darüber zu entscheiden. Diese Entscheidung wird mit relativer Sicherheit auch das Urteil bestätigen. Dann kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg angerufen werden. Und da bin ich recht optimistisch.

Was die politische Ebene betrifft, muß das türkische Parlament entscheiden und letzten Endes der Staatspräsident. Der Ausgang ist ungewiß. Die Gefahr ist angesichts der chauvinistischen Stimmung und des Einflusses des türkischen Militärs groß, daß Herr Öcalan tatsächlich hängen muß, wenn nicht der Europäische Gerichtshof das stoppt und sich in der Türkei die Kräfte durchsetzen, die bereit sind, sich auch danach zu richten. Und das wiederum hängt entscheidend davon ab, ob in Europa die Politiker und Staatenregierungen ernst machen mit ihren Ankündigungen. Bundesaußenminister Fischer hatte ja schon im letzten November, als auf die Auslieferung aus Italien verzichtet wurde, offiziell verkündet, daß die Bundesregierung eine politische Lösung auf den Weg bringen wolle. Dieser Ankündigung ist nichts konkretes gefolgt, jedenfalls hat man nichts davon gemerkt. Wenn der Türkei klargemacht würde - und nicht nur in Worten, sondern in Taten: politisch, diplomatisch, finanziell und auch militärisch - daß bei Vollstreckung des Urteils, wenn sie nicht endlich eine politische Lösung der Kurdenfrage anpackt, die Türkei nicht in die Europäische Union aufgenommen wird, könnte ich mir vorstellen, daß eine Chance besteht, Herrn Öcalans Leben zu retten.

F: Was wäre von der Bundesregierung zu verlangen?

Die deutsche Bundesregierung müßte sich einmal in diesem konkreten Fall, vor allem darüber hinaus, für eine internationale Kurdistankonferenz unter Einschluß der Betroffenen einsetzen - also der Türkei auf der einen Seite, aber auch der PKK als legitime Vertreterin der Kurden wie andere kurdischer Organisationen auch. Dort muß über internationale Aufsicht der UNO und Garantien gesprochen werden.

F: Wie bewerten Sie den Verlauf des Verfahrens gegen Öcalan?

Es wird jetzt sogar von Vertretern des Europaparlaments davon gesprochen, daß es sich um einen fairen Prozeß gehandelt habe. Das ist so nicht richtig. Fair war allenfalls die Verhandlungsführung des Vorsitzenden, der Herrn Öcalan nicht - wie in solchen Verfahren sonst üblich - das Wort entzogen hat oder den Angeklagten zusammengestaucht oder gar im Saal zusammenprügeln ließ. Aber darin erschöpft sich ja nicht die Forderung nach einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren. Das setzt ja erst einmal voraus, daß der Angeklagte als nicht schuldig gilt. Die Unschuldsvermutung wurde von Anfang an mit Füßen getreten. Zudem ist die Verteidigung völlig behindert worden. Es hat bis heute kein einziges unüberwachtes Verteidigergespräch stattgefunden, was unabdingbare Voraussetzung für eine Verteidigung ist, die diesen Namen verdient. Das hatte auch der Europäische Gerichtshof auf unsere Beschwerde hin am 4. März in einer einmaligen Entscheidung kritisiert und die Türkei dazu aufgefordert. Die Türkei hat gar nicht daran gedacht, das zu erfüllen. Die Verteidiger sind statt dessen einem faschistischen Mob ausgesetzt gewesen, waren ihres Lebens nicht mehr sicher. Im Verfahren selbst ist keinem einzigen ihrer Anträge stattgegeben worden, kein einziger Zeuge, kein Sachverständiger ist gehört worden; es hat praktisch keinerlei Beweisaufnahme stattgefunden. Und das ist der dritte Punkt, der dieses Verfahren als nicht rechtsstaatlich kennzeichnet.

F: Wie schätzen Sie die Rolle Öcalans während des Verfahrens ein? Die Bilder vom Verfahren ließen einen nicht sehr standhaften Eindruck hinterlassen.

Dieser Eindruck wurde vom türkischen Staatsfernsehen, das als einziges mit Bildern vom Verfahren berichten konnte, offenbar gezielt vermittelt. Dieser Eindruck stimmt mit der Realität aber nicht überein, wie ich mir von verschiedenen Prozeßbeobachtern vor Ort und den Verteidigern habe mitteilen lassen. Herr Öcalan ist vielmehr sehr selbstbewußt aufgetreten, hat seine Ansichten dargelegt. Dagegen, daß er, womit kaum jemand gerechnet hat, sich bei den Familien der Opfer des Krieges auf türkischer Seite entschuldigt hat, ist nichts einzuwenden. Er hat weiter gesagt, daß Türken und Kurden Brüder sind, auch das - glaube ich - ist kein Problem insofern, daß er das auch schon früher äußerte. Das Problem besteht ja nicht zwischen den Völkern, sondern mit dieser Regierung, mit diesen Militärregime. Man sollte wohl schon noch einige übermittelte Passagen genau überprüfen, ob das eine Abkehr von bisherigen Positionen der PKK oder nur einen Appell an den demokratischen Staat, dem er dann, wenn er wirklich demokratisch ist, dienen will.

Die Informationen, die wir hier vom Prozeß über die Medien erhielten, sind natürlich ganz klar beeinflußt. Die türkischen Massenmedien hatten es offensichtlich darauf abgesehen, ihn als einen winselnden Hund darzustellen, der um sein Leben bettelt. Das war jedoch in keiner Weise so. Er hat immer wieder deutlich betont, daß es nicht um seinen Kopf geht, sondern daß es um das kurdische Volk geht. Leider haben das viele deutsche, westeuropäische Massenmedien kritiklos übernommen. Natürlich nicht generell. Es ist in anderen Medien wiederum sehr gut berichtet worden. Und auch in der Türkei hat sich mit der Zeit das Bild etwas gewandelt. Führende Kommentatoren haben begonnen, ernsthaft darüber nachzudenken, ob man sich nicht mit diesem Problem endlich befassen und sich diesem stellen müßte.

F: Würden Sie vermuten, daß während der Zeit des Verfahrens von den türkischen Sicherheitskräften auch Folter angewendet wurde?

Das kann ich endgültig nicht beurteilen. Eins aber ist klar: Die Entführung mit der sich anschließenden Isolationshaft über fünf Monate ist eine Mißhandlung im Sinne des Artikel 3, der nicht nur Folter, sondern auch erniedrigende Mißhandlungen verbietet. Das ist nach Ansicht der UN-Menschenrechtskommission in vergleichbaren Fällen mit Sicherheit der Fall. Ob er tatsächlich gefoltert worden ist - vor Gericht hat er gesagt, er sei physisch nicht gefoltert worden - das kann ich nicht beurteilen.

F: Was werden die Öcalan-Verteidiger jetzt unternehmen?

Ich bin in der Türkei nicht zugelassen und kann dort also nicht als Anwalt mit Vollmachten tätig werden. Es soll jetzt auf juristischer Ebene angefochten werden und eine Menschenrechts- beschwerde in Strasbourg vorbereitet werden.

Interview: Jana Muth