Hamburger Morgenpost, 30.6.99

Öcalan zum Tode verurteilt - Trauer auf der Straße, Sitzblockade 

Der friedliche Protest der Kurden Das Todesurteil gegen Abdullah Öcalan - es kam nicht unerwartet. Trotzdem protestierten gestern insgesamt 200 Kurden gegen den Richterspruch. Sie zogen - begleitet von 400 Polizisten - friedlich durch die City, besetzten eine Kreuzung. Was in den Kurden vorgeht, ist nur schwer in Worte zu fassen, liegt irgendwo zwischen Wut und Trauer. "Wir sind vor allem enttäuscht", sagt ein Kurde auf dem Weg vom "Volkshaus" an der Feldstraße zu seinem Auto. Ziel: die Demonstration auf dem Gänsemarkt. Ausschreitungen, versichert er, seien nicht zu erwarten - "Anweisung von oben". Auch Hamide Scheer von den "Samstagsmüttern", die jeden Sonnabend vor allem in der Türkei gegen das Verschwinden ihrer kurdischen Söhne protestieren, rechnet nicht mit Gewalt: "Wir werden im Rahmen der Gesetze dagegen protestieren." Zumindest vorläufig. Denn während einer Sitzblockade auf einer Kreuzung an der Mönckebergstraße sagt die Übersetzerin, was passieren könnte: "Unsere Wut ist größer als die Trauer. Schreitet der Europäische Gerichtshof nicht ein, und das Urteil wird vollstreckt, kann die Stimmung kippen." Nicht weit entfernt, im "Café Dersimo" an der Feldstraße, ist die Stimmung weniger kämpferisch. Auf die Frage, ob die Gäste Kurden oder Türken seien, antwortet einer: "Das ist doch egal." Statt Haß und Wut nur Niedergeschlagenheit. Auch im Volkshaus herrscht zwar reges Kommen und Gehen, die Stimmung ist aber nicht so aufgeheizt wie nach der Verhaftung Öcalans im Februar. Keine Versammlungen in Kurden-Zentren, keine Angriffe auf Konsulate - gestern morgen überwogen Trauer und Enttäuschung. Bliebe abzuwarten, was nach einer Exekution passiert. Jan Freitag