Spiegel online, 25.6.99

Schlußplädoyer im Öcalan-Prozeß

Der Angeklagte hat gelobt, sich künftig für Frieden zwischen Türken und Kurden einzusetzen, die Anklage verlangt die Todesstrafe. Am Donnerstag hatte die Verteidigung von Abdullah Öcalan das Wort. Und drohte: Sollte der PKK-Chef sterben, würden viele neue Öcalans nachfolgen.

Dem 50jährigen, den seine Anhänger Apo nennen, wird Hochverrat und Separatismus vorgeworfen. In ähnlichen Verfahren gegen einige seiner Mitstreiter war bisher immer die Todesstrafe verhängt worden. Allerdings wurde in der Türkei seit 15 Jahren niemand mehr hingerichtet. In dem jahrelangen Kampf zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Arbeiterpartei PKK um einen eigenen Kurdenstaat wurden bisher rund 30.000 Menschen getötet, die meisten von ihnen Kurden.

Während ihrer Verteidigungsrede wurden Öcalans Anwälte am Donnerstag mehrfach von Vertretern der Gegenseite unterbrochen, die ihnen Propaganda vorwarfen. Angehörige von PKK-Opfern verließen aus Protest den Saal. Die Anwälte kritisierten wiederum das Gericht. Es sei "nicht unabhängig und nicht unparteiisch". Das Staatssicherheitsgericht sei ein politisches Gericht.

Abdullah Öcalan
Der 50jährige Öcalan, der monatelang in Europa auf der Flucht war, ist seit Mitte Februar in türkischem Gewahrsam. Geheimdienstmitarbeiter hatten ihn unter spektakulären Umständen aus seinem Versteck in der griechischen Botschaft in Nairobi gelockt und in die Türkei entführt. Seitdem sitzt er als einziger Gefangener auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali, wo auch der Prozeß stattfindet. Nach seiner Verhaftung waren von der PKK weltweit schwere Krawalle inszeniert worden.

Der Angeklagte selbst hat inzwischen davor gewarnt, ein eventuelles Todesurteil gegen ihn zu vollstrecken. Sollte er am Leben bleiben, könne er helfen, Frieden zwischen den Kurden und der Türkei zu schaffen. Sollte er sterben, würde dies unweigerlich zu neuer Gewalt führen.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) warnte Ankara erneut davor, ein Todesurteil zu vollstrecken. Dies würde die Bemühungen der Bundesregierung, der Türkei eine stärkere Anbindung an die Europäische Union zu ebnen, "erheblich beeinträchtigen". Ein Todesurteil müßte nach türkischem Recht vor der Vollstreckung vom Parlament und von Präsident Süleyman Demirel bestätigt werden.