Peiner Allgemeine Zeitung 25.6.99

Urteil gegen Öcalan am Dienstag - Verteidiger plädieren für Haft

Istanbul (dpa) - Mehr als vier Monate nach der Festnahme des separatistischen Kurdenführers Abdullah Öcalan soll das Urteil am nächsten Dienstag vekündet werden, wie das zuständige türkische Staatssicherheitsgericht am Donnerstag bekanntgab.

Die Anwälte des PKK-Chefs, dem die Todesstrafe droht, plädierten für eine Haftstrafe. Demnach soll der Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans wegen der Bildung einer bewaffneten Vereinigung verurteilt werden. Darauf steht Haft von mindestestes 15 Jahren. «Wir wollen, daß mit dem Urteil dem Frieden die Tür geöffnet wird», sagte Öcalan-Anwalt Kemal Bilgic am achten Tag des Hochverratsprozesses auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul.

Das zuständige Zweite Staatssicherheitsgericht aus Ankara wird am kommenden Dienstag das Urteil fällen. Die Staatsanwaltschaft wirft Öcalan Angriffe auf die Einheit des Staates und zahlreiche Morde an türkischen Soldaten und Zivilisten vor. Im Kampf zwischen der PKK und dem türkischen Militär sind in den vergangenen 15 Jahren rund 30 000 Menschen getötet worden. Im Falle eines Schuldspruchs droht dem PKK-Chef die Todesstrafe.

Staatspräsident Süleyman Demirel machte deutlich, daß das Urteil noch nicht das Ende des Verfahrens sei. Er verwies Medienberichten zufolge auf Revisionsinstanzen, das Parlament und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann die Ausführung stoppen», sagte Demirel. Zudem müsse das Parlament in Ankara einer Hinrichtung ausdrücklich zustimmen. In der Türkei ist seit 1984 niemand mehr hingerichtet worden.

Öcalan-Anwältin Mükrime Tepe nannte das Gericht am Donnerstag «nicht unabhängig und nicht unparteiisch». Das Staatssicherheitsgericht sei ein politisches Gericht, das gegen die Prinzipien einer unabhängigen Rechtssprechung verstoße. Bei den späteren Ausführungen der Öcalan-Anwälte herrschte Unruhe im Gerichtssaal. Die Anwälte gingen auch ausführlich auf historische Hintergründe des Kurdenproblems ein.

Einige Anwälte der Nebenklage und Hinterbliebene verließen bei der Verteidigungsrede der Öcalan-Anwälte unter Protest den Verhandlungssaal. Ein Vertreter der Nebenklage beschimpfte die Anwälte des PKK-Führers als Vaterlandsverräter. Sicherheitskräfte mußten die aufgebrachten Hinterbliebenen am Mittag beruhigen.

Nachdem Öcalans Anwälte ihre Verteidigung beendet hatten, fragte das Gericht den Angeklagten, ob er der Verteidigung seiner Anwälte noch etwas hinzufügen wolle. «Ich möchte nicht so viel über die Verteidigung meiner Anwälte sagen. Ich habe meine eigene Verteidigung vorgebracht. Aber es gibt Punkte, denen ich zustimme», sagte Öcalan.

Am Mittwoch hatte Öcalan in seiner Verteidigungsrede erneut zu einer friedlichen Lösung des Kurdenkonfliktes aufgerufen. «Das darf nicht so weitergehen», sagte der Separatistenführer. «Ich sage das nicht, um zu leben oder für mich persönlich.» In der türkischen Presse wurde seine Rede als Versuch bezeichnet, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Nach der Reform der umstrittenen Staatssicherheitsgerichte steht Öcalan vor einem rein zivilen Gericht. Bislang gehörten dem Staatssicherheitsgericht neben zwei zivilen auch ein Militärrichter an. dpa