fr, 24.6.
Öcalan fordert friedliche Lösung der Kurdenfrage
PKK-Chef hielt Verteidigungsrede / Bundesinnenminister Schily warnt die Türkei vor der Todesstrafe

Von Gerd Höhler

Der wegen Hochverrats mit der Todesstrafe bedrohte Führer der rebellierenden Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, hat in seiner Verteidigungsrede erneut zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage aufgerufen.

ATHEN, 23. Juni. "Was ich von nun an in meinem Leben tun könnte, wäre, einen Prozeß des Friedens und der Brüderlichkeit einzuleiten", sagte Öcalan am Mittwoch vor dem Staatssicherheitsgericht auf der Gefängnisinsel Imrali. Der PKK-Chef appellierte in seiner dem Gericht vorgetragenen, etwa 40 Seiten umfassenden Verteidigungsrede an die Politiker sowie an das türkische und kurdische Volk: "Wir sollten unsere Verluste und unsere Leiden nicht als Anlaß für Haß und Rache sehen, sondern als Anlaß für etwas, das uns zu einer Lösung und zum Frieden führt." Mutmaßungen, er versuche mit den Friedensappellen seiner Hinrichtung zu entgehen, wies Öcalan zurück: "Ich sage das alles nicht, um am Leben zu bleiben oder aus persönlichen Gründen."

Deutlicher als bisher forderte der PKK-Chef, der sich schon zu Beginn des Prozesses bei den Hinterbliebenen der Opfer des Kurdenkonflikts entschuldigt und seine Hilfe bei einer Friedenslösung angeboten hatte, ein Ende des bewaffneten Kampfes: "Die Beendigung der Rebellion der PKK ist möglich und nötig", sagte er, denn "die Größe der Türkei ist eine Realität, und darin gibt es auch Platz für die Kurden."

Einer der Gründe für die Kurdenrevolte sei das erst 1991 teilweise aufgehobene Verbot der kurdischen Sprache in der Türkei gewesen, erklärte der PKK-Chef und appellierte an die Regierung, die noch bestehenden Einschränkungen aufzuheben, etwa das Verbot des Kurdischen in den Massenmedien und Schulen, denn "solche Gesetze provozieren Rebellion und Anarchie". Die staatliche Repression sei es gewesen, die die PKK hervorgebracht und von anfangs 60 auf heute 10 000 Kämpfer habe anwachsen lassen.

Die Verhandlung am Mittwoch hatte sich um mehr als eine Stunde verzögert, weil die Verteidiger Öcalans wegen stürmischen Wetters erst verspätet auf Imrali eintrafen. Sie wollten im Anschluß an die Verteidigungsrede ihres Mandanten ein etwa 100 Seiten umfassendes Plädoyer verlesen. Mit dem Urteil wird für die nächste Woche gerechnet.

Sollte Öcalan hingerichtet werden, will die PKK ihren Kampf verschärfen. Der Europa-Chef der Organisation, Ferhan Harran, kündigte in einem Interview mit der Zeitung Die Woche an, wenn es jetzt "keinen positiven Schritt der Türkei" gebe, würden außer den 40 000 bereits im Kurdenkrieg getöteten Menschen "vielleicht weitere 200 000 Menschen sterben". Auch Öcalans Bruder Osman, ein führender PKK-Kommandeur, drohte im kurdischen Exil-Fernsehsender CTV mit einer "Eskalation" des bewaffneten Kampfes, falls sein Bruder exekutiert werde.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) warnte laut afp, ein Todesurteil würde einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union erschweren. Die Regierung in Ankara solle die "historisch einmalige Chance" nutzen, das Kurdenproblem friedlich zu lösen, sagte er der Berliner Morgenpost. Die Bundesregierung erklärte, sie wolle sich in Ankara für eine faire, korrekte Behandlung Öcalans einsetzen.