Hamburg: Zehntausend für Öcalan
Redner befürchten Blutvergießen im Falle eines Todesurteils gegen PKK-Vorsitzenden

Zehntausend Menschen haben am Samstag in Hamburg für die Freilassung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und für eine friedliche Lösung des Konfliktes in Kurdistan demonstriert. Die Polizei zählte 4 600 Menschen in dem Protestzug, der sich aus der Innenstadt zur Moorweide in die Nähe des Dammtorbahnhofs bewegte, wo bei strahlendem Sonnenschein die Abschlußkundgebung stattfand.

Die kurdischen Veranstalter hatten in ihrem Aufruf auf die menschenunwürdige Behandlung des PKK-Vorsitzenden in türkischer Haft und auf Prozeßumstände, die eine Verteidigung unmöglich machen, hingewiesen. »Viele Beobachter sprechen davon, daß das Todesurteil für Abdullah Öcalan bereits gefallen ist«, heißt es in einem Flugblatt. Die Türkei und Europa werden aufgefordert, »die drohende Todesstrafe abzuwenden und somit den Anfang einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage einzuleiten«.

Die Kurden erhielten in Hamburg Unterstützung von dem südafrikanischen ANC-Abgeordneten Ebrahim Ismet Ebrahim. Der forderte während einer Pressekonferenz am Rande der Demonstration die europäischen Länder zum Handeln »für eine Lösung des Konfliktes in Kurdistan unter Einbeziehung aller Parteien« auf.

Der anwesende Uri Avnery, ehemaliger Abgeordneter der israelischen Knesset und Mitglied der Friedensbewegung »Gush Shalom«, warnte vor den möglichen Folgen einer Hinrichtung Öcalans: »Dann wird sehr viel Blut fließen.« Auch das Anliegen der kurdischen Veranstalter war es offensichtlich, die von Öcalan vor Gericht gemachten Aussagen als vorerst letzte Möglichkeit für eine friedliche Lösung hervorzuheben. In einer Erklärung der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) wird gewarnt: »Wer bereit ist für einen großen Frieden, ist auch bereit zu einem großen Krieg.« Der wird zweifelsfrei ausbrechen, sollte der Kurdenführer hingerichtet werden.

Aber vor einer Entscheidung über das Schicksal des PKK- Vorsitzenden dürfte noch ein langes politisches und juristisches Tauziehen liegen. Ercan Kanar, einer der Anwälte von Öcalan, sagte in Hamburg gegenüber Medienvertretern: »Das kann noch Monate dauern.« Erst gebe es noch eine Einspruchsmöglichkeit gegen das für Ende Juni zu erwartetende Urteil und dann müsse vor einer Vollstreckung der Todesstrafe das türkische Parlament über den Fall entscheiden.

Bis dahin wird der PKK-Vorsitzende noch viel weltweite Solidarität erfahren, was das Auftreten des ANC-Abgeordneten auf der Demonstration belegt. Aber das Ganze ruft natürlich auch Leute auf den Plan, die Öcalan wohl lieber als Opfer, denn als Chef einer schlagkräftigen Guerilla-Armee sehen. Einen bitteren Beigeschmack hinterließ ein Auftritt der verteidigungspolitischen Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, Angelika Beer, die sowohl auf der Pressekonferenz als auch zu den Massen sprechen durfte. Ohne Buhrufe und Tomaten. Beer nutzte die Gelegenheit, um den Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen und als positiven Impuls für die Kurden darzustellen. »Nach dem Krieg zur Verteidigung der Rechte der Kosovo-Albaner dürfen wir dem Krieg in der Türkei nicht weiter zusehen«, konstatierte sie unverfroren. Bomben auf Ankara forderte sie zwar nicht. Doch hier haben die Veranstalter den Grünen ein Forum für ihre Kriegspropaganda verschafft - ein Bärendienst für die Sache der Kurden. Wer möchte schon gemeinsam mit einer Verfechterin des NATO-Krieges auf die Straße gehen?

Jörg Hilbert, Hamburg
junge Welt, 21.6.99