Neue Zürcher Zeitung, 19.06.1999

Gerichtsreform in der Türkei gebilligt
Parlamentarische Mehrheit für eine Hinrichtung Öcalans

Das türkische Parlament hat am Freitag eine Vorlage zur Reform der umstrittenen Staatssicherheitsgerichte mit grosser Mehrheit angenommen. In den drei Richter umfassenden Sondergerichten sollen in Zukunft keine Militärrichter mehr vertreten sein. Die Regierung hofft, mit dieser Reform einer möglichen Kritik am Öcalan-Prozess zuvorzukommen.

it. Istanbul, 18. Juni

Das türkische Parlament hat am Freitag einer Reformvorlage zur sogenannten Zivilisierung der halbmilitärischen Staatssicherheitsgerichte mit grosser Mehrheit zugestimmt. In den dreiköpfigen, nach dem Staatsstreich von 1980 gebildeten Sondergerichten war bis anhin immer ein Militärrichter vertreten. Dieser Platz soll nun durch zivile Juristen eingenommen werden. Die Reform sei ein bescheidener, aber wichtiger Schritt auf dem Weg der Demokratisierung, erklärte der Justizminister, Hikmet Sami Türk, Anfang der Woche. Es handelt sich um die erste Vorlage seit der Bildung der neuen Koalitionsregierung. Dass am Freitag alle grossen Parteien im Parlament für die Vorlage stimmten, signalisiert, wie gross der nationale Konsens in dieser Frage ist.

Reaktion auf europäische Kritik

Die Reform zielt in erster Linie darauf hin, die hängigen Ungereimtheiten in bezug auf den Prozess gegen Öcalan so zu bereinigen, dass weder die Prozessführung noch das Urteil gegen den Kurdenführer von internationalen Institutionen kritisiert werden kann. Im Sommer 1998 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der türkischen Staatssicherheitsgerichte öffentlich in Frage gestellt. Die Anwesenheit eines Militärrichters in den Staatssicherheitsgerichten sei mit dem Prinzip einer unabhängigen Justiz unvereinbar, hiess es damals in Strassburg. Diese Kritik wurde noch lauter, als auf der Gefängnisinsel Imrali der Prozess gegen Öcalan begonnen hatte. Im Verfahren gegen Öcalan wird nun an die Stelle des Militärrichters ein beisitzender Richter treten, der im Gerichtssaal bisher anwesend war.

Die Grundlage der oft kritisierten Sondergerichte wird aber nicht angetastet. Die Staatssicherheitsgerichte befassen sich gemäss Artikel 143 der Verfassung mit «Straftaten, die gegen die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk, gegen die freiheitliche, säkulare Ordnung und gegen die Republik begangen werden und die innere und äussere Sicherheit des Staates unmittelbar betreffen». Türkische Demokraten wie der Politologe Bakir Caglar beanstanden seit langem, dass diese vage Definition von «Straftaten gegen den Staat» in Wirklichkeit die Politisierung der Justiz zur Folge habe.

Tatsache ist, dass auf Grund dieses Artikels Dutzende von politischen Opponenten der kemalistisch orientierten Staatsführung in den letzten zwei Jahrzehnten von Sondergerichten verurteilt worden sind. Wie viele Urteile seit 1980 gefällt worden sind, lässt sich nur erahnen. Seit Jahresbeginn wurden laut Angaben des Justizministers über 7000 Fälle von Staatssicherheitsgerichten eröffnet. Es steht jedoch fest, dass die Armeeführung wie auch die überwältigende Mehrheit der türkischen Bevölkerung die Staatssicherheitsgerichte für die Sicherheit und den Zusammenhalt des Landes als unentbehrlich erachten. Die in der Verfassung verankerten «Straftaten gegen den Staat» - in aller Regel ein Kennzeichen autoritärer Regime - bleiben deshalb von der Reform der Regierung Ecevit unangetastet.

Düstere Aussichten für den Kurdenführer

Inzwischen zeichnet sich ein neuer Konflikt zwischen Ankara und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ab. Streitpunkt ist die Todesstrafe. Die Abschaffung der Todesstrafe nicht nur de facto, sondern auch de iure sei ein fundamentales Prinzip des Europarats, sagte im Gespräch der Vizepräsident des Rechtsausschusses des Europarats, Rudolf Bindig. Die Mitglieder des Europarats hätten sich daran zu halten. Ankara hat die Todesstrafe zwar nicht abgeschafft, seit 1984 aber keine Todesurteile vollstreckt. Seit dem Beginn des Prozesses gegen Öcalan mehren sich in der Türkei die Stimmen für dessen Hinrichtung. So plädierte zuerst nur der Führer der türkischen Nationalisten, Bahceli, für die Hinrichtung des Kurdenführers. Es haben sich nun aber auch der Vorsitzende der Mutterlandspartei, Yilmaz, und die Führerin der Partei des rechten Wegs, Ciller, dafür ausgesprochen, das Urteil gegen Öcalan zu vollstrecken. Gemäss den türkischen Gesetzen kann es gar nicht anders lauten, als den Tod für den Angeklagten zu fordern. Die drei konservativen Parteien verfügen zusammen im Parlament über eine Mehrheit.