junge 05.06.1999

»Bevor wir alle zu Mördern werden«
Türkische Initiative in Hamburg unterstützt Abdullah Öcalan

»Eines Morgens wachen Sie auf und überall, zu Hause, auf der Arbeit und auf der Straße ist es verboten, Türkisch zu reden. Alle sollen sagen: >Ich bin Deutscher<. Niemand darf türkische Musik hören. Neugeborene dürfen keine türkischen Namen erhalten«, so heißt es in einem Flugblatt, mit dem sich die »Türkische Initiative zur Verteidigung des Lebens von Abdullah Öcalan« in Hamburg an die türkischsprachige Bevölkerung wendet. »Wir wollen sie für die Bedingungen sensibilisieren, unter denen die kurdische Bevölkerung in der Türkei leben muß«, so die Aktivistin Hülya Yüce.

Im Februar, als Abdullah Öcalan aus Kenia verschleppt wurde, gründeten Türkinnen und Türken spontan die Initiative. Den Namen »Türkische Initiative« habe man bewußt gewählt, um auszudrücken, »daß wir uns mit dem Kampf des kurdischen Volkes um Selbstbestimmung solidarisieren«, erläutert die Türkin. »Wir möchten den stillen Konsens, der in der Türkei in bezug auf Kurdistan herrscht, brechen. Öcalan wurde in dem Moment international zur Zielscheibe, als er sich am vehementesten für den Frieden einsetzte. Seine Hinrichtung würde die unüberwindliche Feindschaft zwischen dem kurdischen und dem türkischen Volk zur Folge haben. Diejenigen, die seine Hinrichtung fordern, haben nichts anderes als die Fortführung des Krieges im Sinn. Die ohnehin wenigen Gegenstimmen in der Türkei zum Krieg in Kurdistan würden endgültig zum Schweigen gebracht.«

Zwar sei es der türkische Staat, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehe, aber alle, die die Fortführung dieses Krieges ermöglichten, machten sich mitverantwortlich. »Auch die türkische Linke, die lange den vom Staat ausgehenden Terror gegen das kurdische Volk ignoriert hat, ist mitverantwortlich«, so Hülya Yüce. Durch den 15jährigen Krieg und die rassistische und nationalistische Staatspolitik, vor allem seit dem Putsch von 1980, sei das politische Klima in der Türkei vergiftet. Auch die türkische Linke sei nicht frei von nationalistischem Gedankengut. Da aber ohne den Frieden in Kurdistan auch keine Demokratie in der Türkei möglich sei, »sollten wir unsere Verantwortung wahrnehmen und gegen die drohende Hinrichtung Abdullah Öcalans kämpfen.« (Foto: Kurdenproteste Ende Mai in Berlin)

Ziel der Initiative ist es, Öffentlichkeitsarbeit unter der türkischsprachigen Bevölkerung zu leisten. Die eingerichtete Internet-Seite erfreut sich dabei großer Beliebtheit. In München und Nürnberg, aber auch in anderen europäischen Ländern, in der Schweiz, Frankreich und in Schweden, sei man diesem Beispiel schon gefolgt.

Für den 18. Juni ist in Hamburg eine Diskussionsveranstaltung an der Uni geplant. Neben Anwälten Öcalans sind unter anderem Danielle Mitterrand, der ehemalige Knesset-Abgeordnete Uri Avnery und Hakuk Gerger, Gründungsmitglied des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, zur Zeit Dozent an der TU Darmstadt, eingeladen. Ibrahim Ismail aus Südafrika, ehemaliges Mitglied des militärischen Flügels des ANC, wird die Geschichte seiner Verschleppung aus Swasiland erzählen. »Zwischen dem Kidnapping von Ibrahim Ismail und dem von Abdullah Öcalan gibt es viele Parallelen«, sagt Hülya Yüce. »Auch dabei gab es ein internationales Zusammenspiel verschiedenster Geheimdienste.«

Es gehe auch darum, die Solidaritätsbewegung Abdullah Öcalan mit denen für Angela Davis oder Mumia Abu-Jamal zu vernetzen. »Auch wenn wir Türkinnen und Türken eine besondere Verantwortung haben«, sagt Yüce, »so kann die Hinrichtung letztendlich nur durch internationalen Druck verhindert werden«.

Birgit Gärtner, Hamburg/AP-Foto: Jan Bauer