Stuttgarter Zeitung 4.6.99

Die Friedensinitiative als Rettungsanker
Die PKK unterstützt den Aufruf ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan, die Waffen niederzulegen
Mit seinem Appell zum Gewaltverzicht will Kurdenführer Öcalan auch beweisen, daß er seit langem an einer politischen Lösung der Kurdenfrage arbeitet.

Von Astrid Frefel, Istanbul

¸¸Geben sie mir und der PKK eine Chance. Ich kann die Kämpfer in drei Monaten von den Bergen herunterbringen. Die Kurden können ihren Platz in einer demokratischen Republik finden. Einen anderen Platz haben sie nicht. Das einzige Problem ist die Sprache und die kulturelle Identität. Der bewaffnete Kampf soll unverzüglich beendet und ein Legalisierungsprozeß eingeleitet werden.'' Mit dieser Aussage hat Öcalan gleich am ersten Tag seines Prozesses für Verwunderung gesorgt. Im weiteren Verlauf der Verhandlung zeigt sich immer deutlicher, daß dieser Appell zum Gewaltverzicht nicht nur der Versuch ist, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu retten; der PKK-Chef will beweisen, daß er seit Jahren an einer politischen Lösung der Kurdenfrage gearbeitet hat.

Die PKK selbst hat Öcalan den Rücken gestärkt. Über die kurdische Nachrichtenagentur DEM ließ sie am Dienstag verbreiten, die ganze Organisation stehe hinter den historischen Anstrengungen ihres Vorsitzenden. Aber wenn die türkische Republik dies als ein Zeichen der Schwäche auslege, begehe sie einen Irrtum. Und wie um die Drohung zu untermauern, sprengte sich im kurdischen Südosten zur gleichen Zeit ein Selbstmordattentäter in die Luft.

Die PKK hatte bereits mehrere Male einen einseitigen Waffenstillstand erklärt, aber der türkische Staat hatte darauf nie reagiert. Mit Terroristen könne man nicht verhandeln, lautete die Begründung. Die Existenz eines Kurdenproblemes wird nach offizieller Lesart immer noch verneint. Danach gibt es nur ein Terrorproblem. In seiner Verteidigung verwies Öcalan auf die Kontakte mit dem damaligen Regierungschef Turgut Özal in den frühen 90er Jahren, Zusammentreffen mit ausländischen Politikern und zwei angebliche Briefe von Islamistenchef Necmettin Erbakan während dessen Regierungszeit. Er soll die PKK aufgefordert haben, den Terror zu beenden, im Gegenzug wollte seine Regierung Investitionen im zurückgebliebenen kurdischen Südosten der Türkei fördern.

Auf juristische Argumente ließ sich Öcalan gar nicht erst ein. Die Tatsache, daß er vor einem Staatssicherheitsgericht steht, in dem auch ein Militärrichter sitzt, überging er im Gegensatz zu seinen Anwälten. Und das ist nur einer der Widersprüche zwischen dem Angeklagten, für den der Staatsanwalt wegen Verrats und Separatismus die Todesstrafe fordert, und seinen juristischen Vertretern. Öcalan legt seine Strategie weitgehend selbst fest. Der Kurdenführer räumt ein, er sei der Hauptverantwortliche für die Aktionen der PKK. Er schränkte aber ein, daß es seit 1990 interne Auseinandersetzungen gebe und es zu Anschlägen und Morden gekommen sei, die nicht er befohlen habe.

Mit dem Eingeständnis, daß Teile der Organisation eigenständig agieren, entkräftet Öcalan allerdings seine Beteuerung, er könne die PKK zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes bewegen, ein Stück weit. Doch der türkische Staat will ohnehin nichts von einer Politisierung des Falles Öcalan wissen.